Sergio Canavero heisst der Mann, nicht Frankenstein. Der italienische Chirurg will ein Verfahren entwickelt haben, das – je nach Standpunkt – Anlass zu grossen Hoffnungen oder schlimmen Befürchtungen gibt: Canavero sagt, in zwei Jahren sei er so weit, um einen menschlichen Kopf auf einen Spenderkörper zu transplantieren.
Canaveros Projekt, das er 2013 erstmals ankündigte und laut dem Wissenschaftsportal Newscientist.com anlässlich der Jahreskonferenz der American Academy of Neurological and Orthopaedic Surgeons (AANOS) im Juni dieses Jahres offiziell vorstellen wird, kommt nicht aus dem Nichts: In den letzten 50 Jahren haben Wissenschaftler bei verschiedenen Tieren mit Kopftransplantationen experimentiert.
Die Versuche waren teilweise erfolgreich, scheiterten in letzter Konsequenz aber immer an der mangelhaften Verbindung des Rückenmarks. Den ersten Versuch einer Kopftransplantation unternahm 1954 der sowjetische Wissenschaftler Wladimir Demichow: Er verpflanzte die Vorderpartie eines Welpen auf den Rücken eines grösseren Hundes.
1970 ersetzte erstmals ein Forscher erfolgreich einen Kopf durch einen anderen: Der amerikanische Neurochirurg Robert J. White transplantierte in einem umstrittenen Experiment den Kopf eines Rhesusaffen auf den Körper eines anderen. Das Tier, dessen Gehirn vom Spenderkörper ernährt wurde, überlebte neun Tage, war aber vom Hals abwärts gelähmt.
Dieses Problem hat Canavero nach eigener Aussage gelöst. Sein Verfahren, das der Chirurg «Gemini» nennt, soll die Nervenstränge mit Hilfe von Chemikalien sofort zusammenwachsen lassen. Ausserdem kommt eine ultra-scharfe Klinge zum Einsatz, mit der die Nerven durchschnitten werden. Der «saubere Schnitt» sei der Schlüssel zur Verbindung des Rückenmarks, betont Canavero.
«Das ist natürlich etwas ganz anderes als das, was bei einer klinischen Rückenmarksverletzung geschieht, wo grobe Beschädigungen und Vernarbungen die Regeneration erschweren», schreibt Canavero in ein, die 2013 im Fachmagazin er Stud ie«Surgical Neurology International» publiziert wurde. Der saubere Schnitt erlaube durchtrennten Axonen (Nervenzellfortsätzen), sich mit ihrem Gegenstück zu verbinden. Dabei würden sogenannte «Fusogene» genutzt, die verletzte Zellmembrane sofort wiederherstellten.
Laut Canavero könnte dieser Prozess durch ein synthetisches Polymer unterstützt werden, das sich auch in Augentropfen oder Abführmitteln findet: Polyethylenglycol (PEG). PEG habe bei Hunden das Zusammenwachsen eines durchtrennten Rückenmarks befördert, sei einfach zu verabreichen und bei Menschen unbedenklich, schreibt der Neurochirurg. Die Methode sei zwar nicht perfekt, gibt er zu, aber nur gerade zehn Prozent der abwärts verlaufenden Nervenstränge seien ausreichend, um einem Menschen eine gewisse Bewegungsfähigkeit zurückzugeben.
In zwei Jahren soll die Entwicklung dieser Fusogene weit genug fortgeschritten sein, um eine Operation am Menschen zu ermöglichen, glaubt Canavero. Damit der Eingriff erfolgreich verlaufen kann, müssen sowohl Spender wie Empfänger im selben Operationsraum anwesend sein.
Das Ärzteteam kühlt den Kopf, der transplantiert werden soll, auf eine Temperatur von zwischen 12 °C und 15 °C herunter. Auch der Körper des Spenders, dessen Herzschlag während der Operation gestoppt wird, muss auf diese Temperatur gekühlt werden. Das verlängert die Zeit, in der die Zellen ohne Sauerstoff überleben können.
Die Chirurgen legen dann bei beiden Körpern die grossen Blutgefässe am Hals frei und verbinden jene des Kopfes mithilfe von kleinen Schläuchen mit denen des Spenderkörpers. Dafür haben die Ärzte nur eine Stunde Zeit. Sobald der Kopf an das Kreislaufsystem des neuen Körpers angeschlossen ist, wird bei beiden Personen das Rückenmark durchtrennt.
Nun wird der Kopf auf den fremden Körper versetzt und die jeweiligen Enden des Rückenmarks, die wie dichtgepackte Spaghetti aussehen, werden miteinander verbunden. Die Ärzte fluten dann diese Region mit PEG. Das Polyethylenglycol soll das Fett der Zellmembranen dazu bringen, sich zu vermischen.
Zuletzt nähen die Chirurgen die Muskeln und Blutgefässe zusammen. Der Patient wird für drei oder vier Wochen im künstlichen Koma gehalten, damit er sich nicht bewegt. Das Rückenmark wird durch implantierte Elektroden regelmässig stimuliert, was neue Nervenverbindungen stimulieren soll. Der Patient mit dem neuen Körper soll dank physiotherapeutischer Unterstützung nach etwa einem Jahr gehen können, schätzt Canavero.
Eine Kopftransplantation wäre nicht zum Schnäppchenpreis zu haben. Canavero veranschlagt die Gesamtkosten eines solchen Eingriffs auf nicht weniger als zehn Millionen Euro. Als notwendigerweise gut betuchte Kandidaten für eine Transplantation kämen beispielsweise Tetraplegiker in Frage, die noch über genügend intaktes Rückenmark verfügten. Auch Menschen, die unter chronischer Muskellähmung leiden wie der bekannte britische Physiker Stephen Hawking, könnten sich nach einer Transplantation an einem neuen, gesunden Körper erfreuen – in der Theorie.
Denn Canaveros Argumentation ist nach wie vor hypothetisch: Noch nie hat man das Rückenmark eines Lebewesens mit dem eines anderen verbunden, auch nicht bei Tieren. Dagegen gibt es Erfahrungen mit Experimenten, bei denen das Rückenmark von Ratten durchtrennt und danach wieder verbunden wurde. Allerdings mit begrenztem Erfolg: Die wiederhergestellte Nervenverbindung erlaubte den Tieren nur einen Teil der Kontrollfähigkeiten zurückzugewinnen.
Fachleute wie der Neurologe Jerry Silver üben denn auch harsche Kritik an Canaveros Vorhaben. Silver hatte 1970 das Rhesusaffen-Experiment von White im Labor miterlebt. «Ich erinnere mich, wie der Kopf aufwachte; der Gesichtsausdruck wirkte, als fühlte das Tier schrecklichen Schmerz und Konfusion und Angst. Es war einfach furchtbar. Ich glaube nicht, dass man das jemals wiederholen sollte – schon gar nicht an Menschen.»
Kopftransplantationen hält Silver für «ziemlich barbarisch» und obendrein auch für höchst unwahrscheinlich: «Ich sehe nicht einmal, dass sie in 100 Jahren möglich sein werden. Wenn jemand heute so etwas tun würde, wäre das absolut furchtbar. Können Sie sich vorstellen, dass Sie im Zimmer umherschauen und nicht mehr als ein Kopf sind?»
Es sei unethisch, nur schon solche Experimente durchzuführen, sagt Silver. «Das ist schlechte Wissenschaft, das sollte nie geschehen.» (dhr)