3000 Jahre Weltgeschichte in einer unruhigen Region haben die assyrischen Statuen im Nordirak überdauert. Nun wurden die bedeutenden Kulturzeugen in wenigen Minuten von religiösen Fundamentalisten der Terrormiliz IS zerstört. Mit Presslufthämmern, Sprengsätzen und Fackeln vernichten die Dschihadisten innerhalb der schrumpfenden Grenzen ihres selbsterklärten Kalifats alle Kulturgüter, die nicht den absurden Kriterien ihres Steinzeitislams genügen.
In der nordirakischen Millionenstadt Mossul jagten die Islamisten laut Medienberichten die öffentliche Bibliothek der Stadt in die Luft. Vernichtet wurden mehr als 8000 seltene Bücher und Handschriften, darunter Manuskripte aus dem 18. Jahrhundert. Schon im Dezember wurde die Zentralbibliothek der Universität von Mossul abgefackelt. Die Unesco beklagte Anfang Februar die «kulturelle Säuberung der Region» und «eine der grössten absichtlichen Zerstörungen von Büchern in der Menschheitsgeschichte».
Und die IS-Kämpfer sind nicht die einzigen Islamisten, die in grossem Stil Kulturgüter zerstören. Weltweite Empörung löste im März 2001 die Sprengung der riesigen Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban aus. 2012 rissen die Kämpfer der Islamistengruppe Ansar Dine ein Mausoleum in Timbuktu ab, das – wie die Buddhas in Afghanistan – zum Unesco-Weltkulturerbe gehörte.
Weiter südlich wüten die Kämpfer der nigerianischen Terrormiliz Boko Haram, die ihr atavistisches Kulturverständnis schon im Namen vor sich her trägt: Er bedeutet so viel wie «(westliche) Bücher sind Sünde». Angesichts der Schlächtereien dieser islamistischen Miliz, die ganze Landstriche entvölkert, mag man die zerstörten Kirchen, die sie auf ihrem blutigen Weg hinterlässt, schon gar nicht mehr erwähnen.
Mit der Zerstörung von Sakralbauten anderer Religionen unterstützen die Islamisten zunächst die religiöse Säuberung der von ihnen beherrschten Gebiete. Doch der dschihadistische Furor richtet sich auch gegen antike Kulturgüter, deren religiöse Funktion längst mit ihrer Religion erloschen ist: Selbst die Pyramiden von Gizeh müssten, wenn es nach dem Willen eines ägyptischen Islamisten geht, verschwinden.
Besonders eifrig zerstören die Fundamentalisten aber Schreine, Moscheen und Grabstätten von Spielarten des Islams, die ihrem eigenen puristischen Verständnis dieser Religion zuwiderlaufen. Wie die Stalinisten sich mit besonderem Vernichtungswillen auf die Trotzkisten stürzten, so eifrig verfolgen manche sunnitischen Extremisten ihre schiitischen Glaubensbrüder.
Extrem puristische Strömungen innerhalb des sunnitischen Islams, namentlich Salafisten und Wahhabiten, legitimieren ihr Zerstörungswerk mit explizit bilderfeindlichen Stellen in den Hadithen – also den gesammelten dem Propheten Mohammed zugeschriebenen Äusserungen. Auch wenn im Koran selbst ein explizites Bilderverbot fehlt, ist der konsequent monotheistische Islam insgesamt eher wenig bilderfreundlich.
Auch prächtige Grabmäler oder Schreine, die sich zum Wallfahrtsort entwickelt haben, erregen schnell den Argwohn der Puristen, die darin Götzenanbetung sehen. Dies bekommen besonders die Schiiten zu spüren, aber auch die Muslime in Westafrika, die oft einen Islam praktizieren, der von Volksfrömmigkeit geprägt ist.
Wenn sunnitische Kämpfer in Mali Sufi-Schreine unter Berufung auf göttlichen Befehl dem Erdboden gleichmachen, erinnert das an den Bildersturm in der Reformation, als ein protestantischer Mob im Vollgefühl der religiösen Rechtschaffenheit Bilder und Skulpturen gewaltsam aus den Gotteshäusern entfernte. Dabei tat sich der Zwinglianismus besonders hervor: Nirgendwo sonst ausser vielleicht in den calvinistischen Niederlanden wurden die Kirchen so gründlich ausgeräumt wie in dessen Einflussbereich.
Hintergrund dieser Aktionen, die übrigens kaum jemals ohne explizite oder implizite Billigung durch die Obrigkeit stattfanden, war ein theologischer Streit, der das Christentum fast von Anfang an entzweite. Die Christen hatten das Verbot des Götzendienstes und das Verbot der bildlichen Darstellung Gottes vom Judentum geerbt, doch in der Praxis wurden diese Verbote immer weniger beachtet. Das 2. Konzil von Nicaea (787) erlaubte dann die Verwendung von Bildern in der Liturgie.
Dagegen erhob sich zeitweilig Widerstand, so im 8. und 9. Jahrhundert die Ikonoklasten (wörtl. «Bildzerbrecher») in der Ostkirche und in der Westkirche später eben die Reformatoren, die Bilder im Gotteshaus als abergläubischen Götzendienst betrachteten. Diesem abendländischen Bildersturm fielen unschätzbare Kulturwerte zum Opfer.
Nicht nur die Protestanten zerstörten aber religiöse Kulturgüter. Bei den Katholiken taten sich insbesondere die spanischen Konquistadoren hervor, die bei der Eroberung des Aztekenreiches beispielsweise nahezu alle Kodizes der indigenen Kultur vernichteten – nicht nur religiöse – und so der eroberten Gesellschaft das kulturelle Gedächtnis raubten.
Im Gegensatz zum reformatorischen Bildersturm richtete sich diese Zerstörungswut aber gegen eine fremde Religion und Kultur. Nicht zuletzt ging es freilich auch darum, vor aller Welt zu zeigen, wer die Macht hat. Und das dürfte auch bei den IS-Kämpfern, die im Zweistromland uralte Kulturgüter zerstören, der Fall sein.