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DDR und die Mauer: So spektakulär flüchteten Menschen in die Freiheit

So spektakulär flüchteten Menschen aus der DDR in die Freiheit

Vor 60 Jahren sperrte die DDR mit der Berliner Mauer ihre Bürger endgültig ein. Doch in spektakulären Fluchten entkamen manche Menschen dem «Arbeiter-und-Bauern-Staat». Eine Auswahl.
13.08.2021, 14:59
Marc Lüpke / t-online
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t-online

Stillstand erst in West-Berlin

Am Abend des 5. Dezember 1961 traut ein Trupp von DDR -Grenzsoldaten seinen Augen kaum. Unter Volldampf rast ein Zug auf die bestens gesicherte Grenze nach Berlin-Spandau zu – und macht keinerlei Anstalten, rechtzeitig zum Halten zu kommen. Wenig später kracht es, die Lok durchbricht die Sperren. Kein Wunder, sie wiegt mehr als 100 Tonnen und verfügt über eine Leistung von rund 1100 Pferdestärken.

East German police use picks and shovels to tear up railroad tracks used by engineer Harry Deterling to throttle a hijacked train to West Berlin with 24 friends and relatives aboard on Dec. 5, 1961. T ...
DDR-Polizisten räumen die Geleise ab, die Harry Deterling und seinen Begleitern die Fluch erlaubt haben.Bild: keystone/AP Photo

Was geschieht, ist kein Eisenbahnunglück, sondern wohlkalkuliert. Der Grossteil der Fahrgäste ist entsprechend vorbereitet. Sie haben sich auf den Boden der Waggons ausgestreckt, Lokführer und Heizer vorn im Kohlentender verborgen. Alles für den Fall, dass die Grenzsoldaten das Feuer auf den Zug in die Freiheit eröffnen. Denn genau darum handelt es sich.

Lokführer Harry Deterling, 27 Jahre alt, hat die Aktion geplant. Wohl wissend, dass nach dem Beginn des Mauerbaus am 13. August 1961 auch dieses Schlupfloch auf Schienen nach West-Berlin bald geschlossen werden sollte. Als sein Zug am folgenden 5. Dezember quietschend zum Stehen kommt, befindet er sich in Sicherheit. Zusammen mit seiner Frau und den vier Kindern ist Deterling nun ein freier Mann, genau wie 21 andere Flüchtlinge, die mitgefahren sind.

Während die Teilnehmer der spektakulären Flucht am nächsten Tag erst einmal die dramatischen Ereignisse verarbeiten, werden auf DDR-Seite die Schienen demontiert, auf denen der Zug nach Westen gerollt war. Denn der Eiserne Vorhang sollte nach Willen der SED eisern bleiben.

Er war es aber nicht. Denn immer wieder suchten und fanden DDR-Bürger unter Lebensgefahr den Weg heraus aus der DDR gen Westen. Daran konnte auch die Mauer, die Berlin 28 Jahre teilte, nichts ändern. Bodo Müller, selbst einst in der DDR wegen versuchter «Republikflucht» inhaftiert, schildert in seinem Buch «Faszination Freiheit» einige der spektakulärsten Fluchtgeschichten.

Per Aqua-Scooter in die Freiheit

Im Schutz der Dunkelheit geht Bernd Böttger am 8. September 1968 in das Wasser der Ostsee. Die See ist rau, doch einen Weg zurück gibt es nicht. Denn der gebürtige Sebnitzer will an diesem Tag aus der DDR fliehen. Und das auf äusserst findige Art.

Einen Aqua-Scooter hat der Tüftler entwickelt, eine Art motorgetriebenen Schlitten fürs Wasser. Dieser zieht Böttger bald durch die Ostsee, etwas unterhalb der Oberfläche. Zum Schutz vor der Entdeckung durch die DDR-Grenzer. Böttger weiss um die Gefahr, war bereits nach einem früheren Fluchtversuch inhaftiert worden.

Doch dieses Mal geht alles gut, ein passierendes DDR-Patrouillenboot wird nicht auf ihn aufmerksam. Immer näher kommt Böttger seinem Ziel Dänemark . Und er hat noch mehr Glück: Lange vor dem Festland trifft er auf die «Gedser Rev», ein dänisches Feuerschiff. Böttger ist in Sicherheit.

Der Tunnel in die Freiheit

Bildnummer: 53559396 Datum: 07.06.2009 Copyright: imago/Kai Horstmann
Sonderf�hrung von Dr. Maria Nooke zum Thema Tunnelfluchten in der Bernauer Stra�e. Hier vor dem Haus in der Strelitzer Strasse 54 ...
In diesem Haus in der Strelitzer Strasse 54 endete der Tunnel 57.bild: imago-images

Schwerstarbeit wird seit April 1964 in einer früheren Bäckerei in der Bernauer Strasse in West-Berlin betrieben. Oder besser gesagt: unterhalb der Bäckerei. Denn dort treiben fast drei Dutzend Studenten einen Tunnel Richtung DDR voran. Die Männer wollen nicht rein in den Arbeiter-und-Bauern-Staat, sie wollen Menschen herausholen. 

Der Keller des Hauses Strelitzer Strasse 55 ist das Ziel aller Bemühungen. Doch so ganz zielsicher sind die Fluchthelfer nicht, letzten Endes erreichen sie das Ex-Toilettenhaus des Gebäudes. Es ist der 2. Oktober 1964. Rund 140 Meter haben sich die Männer durch das Erdreich gequält.

Am 3. Oktober treffen vorher verständigte fluchtwillige DDR-Bürger beim Tunnel ein. In einer ersten Aktion werden 28 Menschen unterhalb der Grenze in die Freiheit geschleust. Einen Tag später soll es weitergehen. Doch ein Spitzel verrät die Aktion, DDR-Grenzer und Stasi-Leute erscheinen in der Strelitzer Strasse 55. Schüsse fallen, ein Grenzer stirbt. Den Fluchthelfern gelingt selbst die Flucht durch den Tunnel, 57 Menschen hat das Bauwerk die Freiheit ermöglicht.

Der Bus, der zum Panzer wurde

Kugeln prasseln am 26. Dezember 1962 beim Grenzübergang Drewitz/Dreilinden auf einen Bus ein. Schaden richten sie allerdings kaum an. Denn mit viel Zeit und Aufwand haben zwei der Insassen das Fahrzeug gepanzert. Neun Millimeter dicke Stahlplatten schirmen es ab, selbst die Reifen sind mit Metall gegen Schüsse geschützt. Ein Rammsporn vorne hilft dabei, die insgesamt drei Schlagbäume zu durchbrechen, die dem rasenden Bus auf seinem Weg nach West-Berlin im Wege stehen.

Hans Weidner heisst der Eigentümer des Busses, am Steuer sitzt der Fahrer Jürgen Wagner, an Bord befinden sich auch ihre Frauen und Kinder. Weidner, ein Kriegsinvalide mit nur einem Bein, ist eigentlich ein tüchtiger Unternehmer – womit er in der DDR definitiv fehl am Platz war. Als ihm die Verstaatlichung seiner kleinen Firma droht, beschloss er, mithilfe seines bald stattlich gepanzerten Busses zu fliehen.

Zuvor hatte Weidner, der einst selbst an Bord eines Panzers gedient hatte, erkundet, welcher Grenzübergang für den Durchbruch gen Westen am besten geeignet ist. Drewitz/Dreilinden bot sich an wegen der langen Piste, auf der der Bus auf Touren kommen konnte. Der Fluchtversuch war ein Erfolg, das Ende des Weihnachtsfestes erlebten die Familien dann bereits in West-Berlin.

Drei Brüder zeigen es Erich Honecker

Ingo Bethke war der Erste. Im Frühjahr 1975 überwand er Todesstreifen und Elbe, Ersteren mit viel Glück, Letztere mithilfe einer Luftmatratze. Holger Bethke war der Zweite. Per Stahlseil und Rollen sauste er acht Jahre nach Ingos Flucht von einem Haus in Ost-Berlin in den Westen hinüber. Fehlte nur noch Egbert, der dritte der drei Brüder Bethke.

Bildnummer: 56904559 Datum: 14.06.2011 Copyright: imago/anemel
Berlin, Flucht aus Ostberlin, die Brüder Bethke Arm in Arm, links Egbert Bethke, 56, und rechts sein Bruder Ingo Bethke, 57 Flucht aus Os ...
Egbert und Ingo Bethke 2011 in Berlin.Bild: imago images

Aus diesem Grund erwarben die zwei Geschwister im Westen 1987 einen Ultraleichtflieger – und lernten, damit umzugehen. Zwei Jahre später ist es nach viel Geld und Zeit so weit: In den frühen Morgenstunden des 26. Mai heben die beiden Bethkes in zwei kleinen Fliegern ab. Auf dem Luftweg geht es zurück in die DDR. Der Treptower Park ist das Ziel, dort wartet der dritte Bruder Egbert. Ingo Bethke landet, hurtig steigt Egbert zu, noch schneller ist die Maschine wieder in der Luft und fliegt Richtung West-Berlin.

Die Himmels- und Grenzstürmer fühlen sich vor einem Beschuss durch die DDR-Grenzer relativ sicher, denn ihre Fluggeräte sind mit Hoheitszeichen der Sowjets versehen. So verläuft die Rückreise problemlos. Als Landebahn haben sich die Brüder dann etwas ganz Besonderes ausgesucht: Sie kehren vor dem Gebäude des Reichstages auf die Erde zurück.

Flugzeugentführung, Schüsse am Kanal und Flucht per Ballon

Todesmutig wagten im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Menschen die Flucht aus dem Arbeiter-und-Bauern-Staat. Wer unversehrt den Westen erreichte, gehörte zu den Glücklichen. Denn die Unmenschlichkeit des DDR-Regimes forderte zahlreiche Opfer. Grenzer erschossen Menschen an der Mauer, andere Flüchtlinge ertranken, etwa in der Ostsee. So unbarmherzig die SED die Bevölkerung einsperrte, so einfallsreich suchten die Menschen Auswege.

Conrad Schumann (Ex-DDR-Volkspolizist) 03/86 ru Ex-DDR-Volkspolizist Conrad Schumann im März 1986 mit dem Foto seiner Flucht vom 15. August 1961, fotografiert von Peter Leibing
Ex-DDR-Volkspolizist Conrad Schumann mit dem ikonischen Foto seiner Flucht.Bild: imago-images

Knapp 30 Minuten Flugzeit benötigten 1979 etwa zwei Familien bei ihrer abenteuerlichen Flucht per Ballon von Thüringen nach Bayern, 1978 hatte bereits ein Ost-Berliner namens Detlef Tiede aus Verzweiflung einen polnischen Flieger nach West-Berlin entführt. Die ganze Grausamkeit an Mauer und deutsch-deutscher Grenze kristallisiert sich allerdings besonders im Fall des Wilfried Tews heraus.

Mehr als 100 Schüsse gaben DDR-Grenzsoldaten im Mai 1962 auf den Schüler ab, als er den Berlin-Spandauer-Schifffahrtskanal durchschwamm. Der 14-Jährige wurde dabei mehrmals angeschossen. Gerettet wurde Tews nur, weil wiederum West-Berliner Polizisten das Feuer eröffneten. Der DDR-Grenzer Peter Göring kam dabei ums Leben.

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18 Kommentare
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Der Micha
13.08.2021 15:59registriert Februar 2021
Bei der Tunnel-Geschichte vermisse ich einen entscheidenen Fakt. Der Grenzsoldat ist nämlich nicht durch einen Schuss eines Fluchthelfers gestorben. Der Grenzer wurde von einem anderen Grenzsoldaten ausversehen erschossen worden.

Die DDR wusste es, hat es aber vor der Öffentlichkeit verschwiegen um die Fluchthelfer als Mörder und Spione zu propagieren.
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KLeeX
13.08.2021 19:43registriert Januar 2014
Mein Onkel hat beim Bau der Grenze geholfen, ganz am Anfang wo der Durchgang noch sehr löchrig war, dann ist er einfach wärend des Baus abgehauen mit dem Fahrrad das er für die Flucht vorbereitet hatte.
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Lienat
13.08.2021 19:05registriert November 2017
Wer mal in Berlin ist, dem empfehle ich einen Besuch im Museum am Checkpoint Charlie. Dort sind Dutzende solcher Fluchtversuche dokumentiert. Absolut sehenswert! Das Sprichwort "Not macht erfinderisch" kommt nicht von ungefähr.
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