Ihrer automatischen Mailantwort fügt Emma Hodcroft vorsichtshalber Links von BBC-Interviews zu Omikron an und schreibt, sie könne nicht auf alle Medienanfragen antworten. Auf einer Fahrt von Basel nach Bern findet sie dann doch Zeit, um per Telefon – unterbrochen von Tunnels – die Hintergründe zur neuen Variante zu klären. Die 35-jährige Virenjägerin ist seit dem Start der Pandemie eine gefragte Frau. Damals war die Tochter einer Texanerin und eines Schotten Post-Doktorandin an der Uni Basel bei Richard Neher und erforschte HIV. Seit einem Jahr arbeitet sie am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Uni Bern mit Epidemiologe Christian Althaus.
Omikron war schon vor der Warnung aus Südafrika in anderen Ländern, so in Schottland oder Holland. Wie geht das? Wussten diese Länder bis dahin nicht, wonach suchen?
Emma Hodcroft: Beim Sequenzieren der Viren sehen wir immer viele Mutationen, aber es ist nicht immer klar, ob sie ein Virus zu einer neuen Variante machen mit verändertem Wirkmechanismus auf den menschlichen Körper. Also wird nach einer Variante erst gezielt gesucht, wenn jemand auf eine Häufung aufmerksam wurde.
Den Virensequenzierern weltweit fiel diese Variante also nicht automatisch auf?
Im Falle von Omikron war es der Virologe Tom Peacock in London, der als Erster auf «Github.org» darauf aufmerksam machte, dass B.1.1'529 eine ungewöhnlich hohe Zahl an Mutationen am Spike-Protein hat. Erst dann begannen die nationalen Teams verstärkt danach zu suchen, und das südafrikanische Team fand eine Häufung. So erklärt sich auch, warum nun nach und nach andere Länder melden, sie hätten Omikron-Nachweise, die teilweise noch früher als jene in Südafrika datieren. Aber in anderen Ländern gab es offenbar noch keine deutliche Häufung bis jetzt, die Fälle zeigen nur, dass die Mutation schon um die Welt gereist ist, bevor sie entdeckt wurde.
Tulio de Oliveira, der Direktor der südafrikanischen Sequenzierungsplattform Krisp, warnt davor, Länder mit Reisebeschränkungen zu bestrafen, die besonders schnell und gut auf Mutationen aufmerksam machen. Sehen Sie das auch so?
Ja, da sollte man sehr vorsichtig sein. Es ist sehr gut vorstellbar, dass Länder sich künftig zurückhalten, wenn sie besorgniserregende Mutationen entdecken, weil sie gesehen haben, wie andere dafür bestraft wurden – und dadurch die Wirtschaft grossen Schaden nahm. Speziell wenn Länder so stark von Tourismus abhängig sind wie Südafrika. Dabei sollte inzwischen klar sein, dass man mit Reisebeschränkungen nur etwas Zeit kaufen kann, die Mutation aber sowieso kommen wird, falls sie ansteckender ist.
Tulio de Oliveira war plötzlich auf Newskanälen weltweit. Kannten Sie ihn schon zuvor?
Ja, ich kannte ihn, denn vor der Pandemie hat er in der HIV-Forschung gearbeitet wie ich auch.
Wie ist es mit den anderen Forschenden, welche die Gene der Viren sequenzieren – haben Sie plötzlich mehr Kollegen auf der ganzen Welt?
Ja, die Kontakte haben sich verbessert, und es sind mehr geworden – das ist die gute Seite der Pandemie. Wir mussten einfach enger zusammenarbeiten, um genug schnell zu werden.
Wie tauschen Sie sich aus?
Die neusten Hinweise verbreiten sich auf Twitter, aber auch auf wissenschaftlichen Blogs und via E-Mail werden viele Informationen ausgetauscht. Die Daten der gensequenzierten Viren aus den Ländern werden auf Gisaid.org hochgeladen. Das ist eine Plattform, die den freien Zugang zu Genomdaten von Influenza- und Sars-CoV-2-Viren ermöglicht. Damit werden die grafischen Darstellungen gemacht, so wie auf meiner Plattform Covariants.org, dem Cov-spectrum der ETH, der kalifornischen Outbreak.info oder der englischen Cov-lineages.org.
In welchem Land gibt es die besten Virenmutanten-Jäger?
Das ist schwierig zu messen, weil nicht alle genau dieselben Dinge erforschen. Aber es gibt Teams, die sehr offen und aktiv ihre Ergebnisse teilen.
Gehört Südafrika dazu?
Absolut, die haben unglaubliche Arbeit geleistet in dieser Pandemie. Sie sammeln die Daten sehr schnell und teilen sie auch. Das kommt vermutlich daher, weil Südafrika viel Erfahrung aus der HIV-Forschung hat. Die Forscher in Südafrika zeigten nach der Entdeckung von Beta vor einem Jahr und nun auch mit Omikron, wie gut sie mit der Welt zusammenarbeiten. Sie wussten von Omikron nur wenige Tage früher. Die Welt kann sozusagen live ihre Forschung verfolgen.
Wurden Viren sequenziert, bevor Sars-CoV-2 auftauchte?
Ja, es wurde weltweit bisher beim Grippevirus gemacht. Die Hoffnung ist, dass man mit diesen Informationen bessere Grippe-Impfstoffe herstellen kann. Ich habe vor, das globale Virensequenzieren nach der Pandemie auf andere Viren auszuweiten. Über manche Viren, die Menschen zu schaffen machen, wissen wir viel – über andere, ebenfalls sehr häufige, nur wenig.
Weiss man beim Influenzavirus besser, welche Mutationen was für die Krankheit im Menschen bedeuten?
Ja, wir verstehen die Mutationen im Grippevirus schon besser. Das ist natürlich so, weil wir schon Jahrzehnte an diesem Virus forschen. Jedoch wissen wir auch da nicht, wie das Grippevirus weiter mutieren wird, und so hinkt man bei Influenza mit den Impfungen ebenfalls immer einen Schritt hinterher. Das ist bei der Grippe aber deutlich weniger schlimm, weil jede und jeder von uns schon eine Grundimmunität hat. Bei Sars-CoV-2 sind wir ohne Grundimmunität viel stärker von einem guten Impfschutz abhängig.
Gegenüber BBC forderten Sie, dass die Welt die Impfstoffe gerechter verteilen müsse, um die Pandemie zu stoppen. Müssen wir beim Boostern ein schlechtes Gewissen haben?
Nein, wenn ein Land die Boosterdosen schon gekauft hat und man sie angeboten bekommt, sollte man sie unbedingt nehmen. Sie werden sicher nicht mehr irgendwo sonst hin geliefert. Aber wir müssen die Regierungen reicher Länder dazu bringen, mehr Impfdosen zu spenden. Es ist nicht mehr so sehr eine Frage von Produktionskapazitäten, sondern der Finanzierung und Logistik. Das sind lösbare Probleme.
Ein israelischer Radiosender zitierte diese Woche unbestätigte Daten, gemäss denen die Pfizer-Impfung nur ein bisschen weniger wirksam gegen Omikron sein soll, zumindest für Leute mit einer 3. Impfdosis. Wie verlässlich sind solche Meldungen?
Frühe Daten sind wichtig. Aber wenn die Zahl der Daten klein ist, dann kann sich die Aussage später auch ins Gegenteil verkehren. Deshalb würde ich auf eine solch frühe Aussage nicht vertrauen.