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Warum auch der Zuchtlachs keine nachhaltige Alternative ist

Weshalb auch der Zuchtlachs nicht der Heilige Gral der Fischindustrie ist

An Karfreitag wird statt Fleisch traditionell Fisch gegessen. Der beliebteste Fisch in der Schweiz ist der Lachs, der grösstenteils aus Aquakulturen stammt und deshalb als besonders nachhaltig gilt. Doch dass auch der Zuchtfisch das Problem der Überfischung nicht löst, zeigt eine neue Arte-Recherche.
07.04.2023, 13:1808.04.2023, 18:13
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An Karfreitag landet bei vielen Menschen Zuchtlachs auf dem Teller, der in der Werbung oft als nachhaltige Lösung für die Ozeane beworben wird. Denn im Unterschied zu Wildlachs wird Zuchtlachs in Aquakulturen gezüchtet – und muss nicht aus den Weltmeeren gefischt werden.

Doch ist Zuchtlachs wirklich nachhaltig? Und bewahrt er die Meere vor der Überfischung? Die kurze Antwort: Es ist kompliziert.

Eine neue Folge von «Mit offenen Daten» des deutsch-französischen Senders Arte deckt auf, dass auch der europäische Zuchtlachs hinsichtlich des Umweltaspektes nicht der Heilige Gral der Fischindustrie ist. Die Erkenntnisse der Recherche:

Raubbau

Das grösste Problem für die Umwelt ist die Nahrung, mit der die Zuchtlachse in den Aquakulturen gefüttert werden: Der Lachs ist ein Raubfisch, das bedeutet, er ernährt sich von anderen Fischarten. In der Zucht erhält der Fisch sein Futter in Form von Fischöl- und Fischmehlkörnern.

Und um dieses Futter für Zuchtlachse herzustellen, müssen erst tonnenweise andere Fische gefangen werden – meist weit weg von Europa.

Die Zuchtfische leben in Aquakulturen, in denen die Lachse laut WWF in viel zu kleinen Unterwasserkäfigen «gemästet» werden.
Die Zuchtfische leben in Aquakulturen, in denen die Lachse laut WWF in viel zu kleinen Unterwasserkäfigen «gemästet» werden.Bild: Shutterstock

Einer der weltweit grössten Exporteure von Fischmehl ist Mauretanien. Westafrika ist zwar reich an Fisch, doch die Hauptnahrung der Zuchtlachse, die Goldsardine, gehört seit 2016 zu den von Überfischung bedrohten Fischarten.

Trotzdem werden noch immer Tonnen an Goldsardinen gefangen, in Turbinen geschreddert und zu Öl und Mehl weiterverarbeitet. Um dann an Zuchtlachse verfüttert zu werden, die wiederum auf unseren Tellern landen.

Produktion der Nahrung

Nouadhibou ist die zweitgrösste Stadt Mauretaniens und besitzt den grössten Hafen des Landes. Der Arte-Recherche zufolge entstand hier 2005 die allererste Fischfabrik. Seit 2012 erlebt die Hafenstadt einen regelrechten Fischfabriken-Boom – aller Warnungen zum Trotz. Mittlerweile zeigen Satellitenbilder 28 Fabriken, die hauptsächlich Investoren aus China, der Türkei und Marokko gehören.

Der wichtigste Wirtschaftszweig von Nouadhibou ist die Fischerei. Aus gutem Grund: Die Stadt liegt an der Küste Mauretaniens.
Der wichtigste Wirtschaftszweig von Nouadhibou ist die Fischerei. Aus gutem Grund: Die Stadt liegt an der Küste Mauretaniens. screenshot: google maps
Konkret liegt die Stadt auf einer Halbinsel an der westafrikanischen Atlantikküste Mauretaniens.
Konkret liegt die Stadt auf einer Halbinsel an der westafrikanischen Atlantikküste Mauretaniens.
screenshot: google maps

Besonders brisant: Für 1 Kilogramm Fischmehl benötigen die Fabriken zwischen 4 und 5 Kilogramm Wildfisch. 2020 haben die Fabriken in Nouadhibou fast 830'000 Tonnen Fisch gefangen – das entspricht zwei Dritteln des Fischfangs in mauretanischen Gewässern.

Dabei wurde bereits 2015 eine Obergrenze eingeführt, um die Sardinenbestände zu schützen: Die Fabriken dürfen jährlich jeweils nicht mehr als 2000 Tonnen Fischmehl produzieren. Doch kaum eine der Fabriken hält sich an diese Quote, wie ein von Arte veröffentlichtes Dokument zeigt. Einige der Fabriken produzierten 2017 sogar noch immer 30'000 Tonnen Fischmehl.

Bedrohung für die Bevölkerung

Doch nicht nur die Meere, auch die Menschen und die Tiere selbst leiden unter der Produktion des Zuchtlachs-Futters.

Arte analysierte Abwasserberichte der Küstenstadt, welche zeigen, dass die Grenzwerte der Abwasserverschmutzung deutlich überschritten werden. Dies könnte damit erklärt werden, dass immer wieder tausende verendete Jungfische an die Küste Mauretaniens geschwemmt werden, wie Videos zeigen.

Ein Meer von verendeten Jungfischen.
Ein Meer von verendeten Jungfischen.screenshot: Arte

Zudem ist die Ernährungssicherheit der Bevölkerung vor Ort bedroht, da mit den eingesetzten Fangbooten bis zu 400 Tonnen Fisch pro Fahrt aus dem Meer entnommen werden können.

Die Rolle der EU – und der Schweiz

Sobald der Wildfisch zu Mehl oder Öl verarbeitet wurde, wird er zu 98 Prozent ins Ausland exportiert – vorwiegend nach China. Doch den mauretanischen Behörden zufolge gelangen 23 Prozent der exportierten Menge nach Europa. Dies, obwohl die Weltnaturschutzunion IUCN, zu der auch die Schweiz gehört, die Goldsardine in Westafrika als gefährdet einstuft.

Lachsfischerei in Norwegen. Das skandinavische Land ist einer der weltweit grössten Erzeuger von Zuchtlachs.
Lachsfischerei in Norwegen. Das skandinavische Land ist einer der weltweit grössten Erzeuger von Zuchtlachs. Bild: Shutterstock

Der Hauptproduzent von Zuchtlachs in Europa ist Norwegen. 2022 hat das skandinavische Land 1,4 Millionen Tonnen Lachs gezüchtet – und in alle Welt exportiert.

Auch die Schweiz ist ein Abnehmer von Zuchtlachs aus Norwegen. Der Lachs gehört hierzulande nicht nur zum beliebtesten, sondern auch zum meistimportierten Fisch.

Wie der Zuchtlachs gefüttert wurde, wird bei den meisten Produkten im Supermarkt nicht auf die Verpackung gedruckt – geschweige denn, woher das Futtermittel stammt.

Die Bio-Falle

Aber biologisch gezüchteter Lachs ist bestimmt besser? Leider ist das ein Irrtum. Der Recherche zufolge werden die Bio-Zuchtfische zu 70 Prozent mit Fischmehl- und Ölkörnern gefüttert, die herkömmlichen Zuchtfische erhalten davon nur 20 Prozent. Die restliche Nahrung bestehe bei den nichtbiologischen Zuchtfischen aus Pflanzenmehl, das aber oftmals aus genmanipulierten Kulturen stamme.

Arte kommt zum Schluss, dass in jedem Kilogramm Bio-Zuchtfisch bis zu 4 Kilogramm Wildfisch stecken.

Hier kannst du die ganze Sendung nachschauen.

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123 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rodger
07.04.2023 13:37registriert November 2020
In meinem Studium in Lebensmittelwissenschaften ist mir wohl eines der nachhaltigsten Fischzuchtprogramm begegnet. Es heisst Fisch vom Hof. Dabei werden von Bauern in nicht mehr genutzten Viehställen kleine Karpfen gezüchtet und mit selbstangebautem Getreide gefüttert. Die Karpfen schmecken auf grund der Wasserqualität und der Grösse beinahe wie Eglis, legen aber im Vergleich zu Raubfischen pro 1.1-1.2kg Futter 1kg Masse zu. Das ist exterm effizient zumal das Futter nicht aus Weissfisch besteht und eh schon die viel bessere Bilanz hat.
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Overton Window
07.04.2023 13:26registriert August 2022
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Snowy
07.04.2023 15:43registriert April 2016
Am Ende des Tages kommen wir aber einfach nicht drum rum, unseren Fleisch/Fisch Konsum massiv zu verkleinern.
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