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Wie der Friede von Basel die Sklavenrevolution in der Karibik beflügelte

Im Holsteinerhof in Basel wurden 1795 folgenschwere Beschlüsse gefällt, die weit über die europäischen Grenzen hinausgingen. Peter Ochs, der Stadtschreiber der Rheinstadt, hatte dabei seine Hände mit  ...
Im Holsteinerhof in Basel wurden 1795 folgenschwere Beschlüsse gefällt, die weit über die europäischen Grenzen hinausgingen. Peter Ochs, der Stadtschreiber der Rheinstadt, hatte dabei seine Hände mit im Spiel.Bild: Wikimedia / e-rara / Library of Congress

Basel und die Freiheits­kämp­fer von Saint-Domingue

Der 1795 geschlossene Friede von Basel hatte weitreichende Folgen: für den Basler Stadtschreiber Peter Ochs, das revolutionäre Frankreich und für die Geschehnisse der grössten Sklavenrevolution in der Karibik.
02.08.2025, 18:2102.08.2025, 18:21
Esperanza Anido Calvo und Roberto Zaugg / Schweizerisches Nationalmuseum
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In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli 1795 schlüpfte Don Domingo d’Yriarte durch eine Lücke in der Weinlaube in den Garten des Holsteinerhofs. Dort unterzeichnete der spanische Gesandte – nach bis zuletzt geheim gehaltenen Verhandlungen – einen Friedensvertrag mit dem französischen Diplomaten François Barthélemy.

Für den Besitzer des Holsteinerhofs, den Basler Stadtschreiber Peter Ochs, war dies bereits der zweite politische Erfolg innert weniger Monate. Im April hatte Ochs an der Aushandlung eines Vertrags zwischen Preussen und Frankreich mitgewirkt. Im August folgte ein drittes Abkommen, zwischen Paris und Hessen-Kassel. Zusammen sind diese Verträge als Friede von Basel bekannt.

Zeitgenössische Karikatur: Der Holsteinerhof in Basel als diplomatischer Treffpunkt.
Zeitgenössische Karikatur: Der Holsteinerhof in Basel als diplomatischer Treffpunkt.Staatsarchiv Basel-Stadt, Bild 13.143
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Frankreich gelang es in Basel, die Front der europäischen Mächte, die sich seit 1793 der revolutionären République entgegenstellten, zu spalten. Dass die Verhandlungen in der Ochs’schen Vorstadtresidenz stattfanden, hing zum einen mit der neutralen Position der Eidgenossenschaft zusammen, zum anderen mit den Netzwerken von Peter Ochs.

Die Rolle des Schweizer Ochs

Der weltgewandte, aufklärerisch gesinnte Ochs war seit 1791 mehrmals in diplomatischer Mission nach Paris gereist und hatte Kontakte auf höchster Ebene mit den revolutionären Entscheidungsträgern geknüpft. Als 1794 der Kommandant der preussischen Armee Kanäle suchte, um Frankreichs Bereitschaft zu Verhandlungen auszuloten, war der Basler deshalb der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt.

Der Basler Friede ist für seine innereuropäischen Konsequenzen bekannt – und als Moment, in dem Peter Ochs als wichtigster Ansprechpartner Frankreichs ins Rampenlicht rückte. Dass die Verhandlungen auch weitereichende Folgen bis in die Karibik zeitigten, wird hingegen häufig vergessen.

Herrenporträt von Peter Ochs, 1791.
Herrenporträt von Peter Ochs, 1791.Bild: Universitätsbibliothek Basel

Folgen bis in die Karibik

Die französischen Revolutionäre hatten 1789 proklamiert, alle Menschen würden gleich und frei geboren – die Sklaverei in den Kolonien hatten sie allerdings nicht aufgehoben. Auf der Insel Hispaniola, die seit dem 17. Jahrhundert zwischen dem spanischen Santo Domingo im Osten und dem französischen Saint-Domingue im Westen geteilt war, führten diese Widersprüche zur Explosion.

1791 gelang es den Versklavten, die 465’000 der insgesamt 524’000 Bewohner von Saint-Domingue stellten, einen koordinierten Aufstand zu entfesseln, der sich rasch auf weite Teile der Kolonie ausbreitete. Ab 1793 verzahnte sich die Rebellion mit dem Krieg, den Grossbritannien und Spanien gegen Frankreich führten.

Die Insel Hispaniola war seit dem 17. Jahrhundert zwischen Saint-Domingue im Westen (heute: Haiti) und Santo Domingo im Osten (heute: Dominikanische Republik) geteilt.
Die Insel Hispaniola war seit dem 17. Jahrhundert zwischen Saint-Domingue im Westen (heute: Haiti) und Santo Domingo im Osten (heute: Dominikanische Republik) geteilt.Bild: gallica / Bibliothèque nationale de France

Der Gouverneur von Santo Domingo suchte die Allianz mit den Aufständischen und bot allen, die künftig unter spanischem Banner gegen Frankreich kämpften, Freiheit und finanzielle Unterstützung an.

Mindestens 12’000 Rebellen gingen auf dieses Angebot ein. Sie wurden als «Hilfstruppen» offiziell in die spanische Armee integriert und fortan mit Waffen und Lebensmitteln beliefert. Unter ihnen waren Jean-François Papillon und Georges Biassou, zwei in der Karibik geborene Sklaven, die zu den Rebellenführern der ersten Stunde gehörten, und Toussaint Bréda, ein ehemaliger Sklave, der schon vor der Revolution die Freiheit erlangt hatte und zu jenem Zeitpunkt noch unter Biassou kämpfte.

Eine gespaltene Insel

Zugleich besetzten die Briten Teile von Saint-Domingue, wo sie von den weissen Siedlern mit offenen Armen empfangen wurden. Frankreich lief Gefahr, seine wertvollste Kolonie zu verlieren. In dieser Notlage entschieden sich die von Paris entsandten Vertreter, die Abschaffung der Sklaverei auf Saint-Domingue zu verkünden.

1794 bestätigte der Nationalkonvent diesen Entscheid und weitete ihn auf das gesamte französische Kolonialreich aus. Die Französische Republik ging so einen offenen Konflikt mit den weissen Siedlern ein, konnte aber den Grossteil der schwarzen Aufständischen an sich binden.

Toussaint, der nun den selbstgewählten Nachnamen «Louverture» annahm, wechselte die Fronten und schloss sich mit tausenden Freiheitskämpfern dem französisch-republikanischen Lager an. Biassou, Jean-François und ihre Truppen misstrauten hingegen den Franzosen weiterhin und blieben ihrem Pakt mit Spanien treu.

Toussaint Louverture schloss sich 1794 den Franzosen an. Das Porträt entstand um 1800.
Toussaint Louverture schloss sich 1794 den Franzosen an. Das Porträt entstand um 1800.Bild: Wikimedia / John Carter Brown Library

Ein Funke im Stroh

Der 1795 im Holsteinerhof unterzeichnete Frieden mischte die Karten nun plötzlich neu. Frankreich gab Madrid die Kontrolle über die Gebiete, die es während des Krieges in Nordspanien erobert hatte, wieder zurück. Im Gegenzug sollte Spanien Santo Domingo an Frankreich abtreten.

Als die Nachricht in der Karibik eintraf, sandte der französische Gouverneur von Saint-Domingue eine kleine Delegation nach Santo Domingo, um die Modalitäten der Übergabe zu definieren. Auf dem Weg zum Sitz des spanischen Gouverneurs verteilten die Delegierten Pamphlete, die eine baldige Abschaffung der Sklaverei in Aussicht stellten.

In den Dörfern kam es dadurch zu spontanen Fluchtbewegungen von Versklavten, was die spanischen Behörden dazu bewog, die Delegation aus der Kolonie rauszuwerfen. Der Gouverneur weigerte sich vorerst, den Franzosen Santo Domingo zu übergeben – und die Franzosen liessen es zunächst darauf beruhen: Sie waren froh, dass Spanien aus dem Krieg ausgeschieden war und konzentrierten sich fortan auf die Bekämpfung der Briten, die immer noch einen Teil von Saint-Domingue besetzt hielten.

Nach dem Krieg

Mit dem Ende des Krieges wurden die ehemaligen Rebellen, die 1793 zu spanischen Hilfstruppen geworden waren, aus dem Dienst entlassen. Die Präsenz tausender kriegserfahrener Schwarzer, die sich ihre Freiheit erkämpft hatten, stellte aber eine Bedrohung dar. Die Franzosen fürchteten, dass die Briten sie anwerben könnten – was sie in einigen Fällen auch taten.

Louverture wollte sich seiner ehemaligen Mitstreiter Biassou und Jean-François entledigen. Die Spanier sorgten sich, dass von diesen Ex-Aufständischen der Funke der Rebellion auf die eigenen Sklaven überspringen könnte, was auch geschah: 1796 begehrten rund 100 Sklaven auf der Plantage Boca Nigua auf und ersuchten – wenn auch vergebens – einige ehemalige Mitglieder der Hilfstruppen um Unterstützung.

Im August 1791 zerstörten die Aufständischen hunderte Plantagen im nördlichen Saint-Domingue. Darstellung von 1795.
Im August 1791 zerstörten die Aufständischen hunderte Plantagen im nördlichen Saint-Domingue. Darstellung von 1795.Bild: Wikimedia

Die meisten Freiheitskämpfer, die sich 1793 Spanien angeschlossen hatten, blieben letztlich als freie Landarbeiter auf Santo Domingo. Aber die Anführer, viele Hilfstruppen-Offiziere und ihre Familien mussten die Insel verlassen.

Das Schicksal der Hilfstruppen

Rund 800 Menschen wurden in Richtung Kuba verschifft. Der dortige spanische Gouverneur weigerte sich allerdings, sie an Land zu lassen. Hunderte kriegserprobte Schwarze aufzunehmen, stellte für die Inselkolonie und ihre Sklavengesellschaft ein Risiko dar. Die Exilierten wurden deshalb in kleineren Gruppen auf Honduras, Mexico, Panama, Spanien und Nordamerika verteilt. Für diese Freiheitskämpfer bedeutete der im fernen Basel geschlossene Frieden eine einschneidende Zäsur.

Im März 1796 kam eine Gruppe von 142 Männern, Frauen und Kinder unter Jean-François im andalusischen Cádiz an. Unter ihnen befanden sich auch ein paar Sklaven, die einigen ehemals selbst versklavten Hilfstruppen-Offizieren gehörten. Diese hatten für die eigene Freiheit gekämpft, nicht aber für die Abschaffung der Sklaverei an sich.

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In Cádiz blieben die Schwarzen aus Saint-Domingue anfangs geeint. Die ehemaligen Hilfstruppenangehörigen empfingen eine Pension von der spanischen Krone, hatten allerdings Mühe, um über die Runden zu kommen. Das bezeugen zahlreiche Bittschriften.

Eine kleinere Gruppe unter Biassou verschlug es nach San Agustín, ins damals noch spanische Florida. Einige verdienten sich als Handwerker ihr Leben. Anderen – darunter Biassou, der auch einen stattlichen Sold empfing – wurden landwirtschaftlich nutzbare Grundstücke zugesprochen.

Im Jahr 1800 dienten er und seine Männer Spanien ein letztes Mal – nämlich gegen die indigenen Seminole, die sich wider die spanische Herrschaft aufgelehnt hatten.

Porträt von Georges Biassou, Anfang 19. Jahrhundert.
Porträt von Georges Biassou, Anfang 19. Jahrhundert.Bild: Internet Archive

Die Unabhängigkeit

Biassou wurde 1801 in allen Ehren in San Agustín zu Grabe getragen. Jean-François starb 1805 in armen Verhältnissen in Cádiz. Ihr ehemaliger Mitstreiter und späterer Gegner Toussaint Louverture, der auf Hispaniola zur führenden Figur aufgestiegen war, wurde 1802 von einem französischen Expeditionskorps verhaftet und deportiert.

Napoleon Bonaparte liess ihn im Fort de Joux nahe der Schweizer Grenze im französischen Jura einkerkern, wo er 1803 dahinschied. Ein Jahr danach gelang es den Rebellen allerdings die Franzosen definitiv zu schlagen: Die Republik Haiti, wie Saint-Domingue fortan hiess, erlangte die Unabhängigkeit.

Peter Ochs war seinerseits mit dem Frieden von Basel definitiv zum international anerkannten Diplomaten aufgestiegen und pflegte beste Beziehungen zur französischen Regierung. Er war 1798 massgeblich an der Gründung der Helvetischen Republik beteiligt und wurde auf Druck der Franzosen auch Mitglied des Direktoriums. Dass der Basler ein Jahr später aus dieser Exekutive gedrängt wurde, ist jedoch eine andere Geschichte.

>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Basel und die Freiheits­kämp­fer von Saint-Domingue» erschien am 22. Juli.
blog.nationalmuseum.ch/2025/07/basel-und-die-freiheitskaempfer-von-saint-domingue
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