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So profitierte Zürich von der Sklaverei

Sklaverei
Im Zuge des transatlantischen Sklavenhandels wurden etwa 12 Millionen Menschen von Afrika nach Amerika verschleppt. Bild: shutterstock

Zürich hatte «vielfältige und relevante» Verbindungen zur Sklaverei

29.09.2020, 13:0729.09.2020, 16:18
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Die Stadt Zürich war an der Sklaverei und dem Sklavenhandel finanziell beteiligt und so mitverantwortlich für die Versklavung tausender Afrikanerinnen und Afrikaner. Die Unterstützung erfolgte durch Staatsanleihen, den Handel und Plantagen.

Die Verbindungen Zürichs zur Sklavenwirtschaft waren «vorhanden, vielfältig und relevant», wie Frank Schubert, Mitautor einer Studie der Universität Zürich, am Dienstag vor den Medien sagte.

Diese Verbindungen waren Ausdruck einer Tradition einer langen Verflechtung und Vernetzung mit der aussereuropäischen Welt. Im Jahr 1727 kaufte die Stadt gemäss der Studie 120 Aktien der englischen South Sea Company, einer Sklavenhandelsgesellschaft.

1754 engraving of Old South Sea House, the headquarters of the South Sea Company, which burned down in 1826,[1] on the corner of Bishopsgate Street and Threadneedle Street in the City of London
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Hauptquartier der South Sea Company in London. Bild: Wikimedia

8636 Sklaven verschleppt

Das Unternehmen hatte bis 1739 ein Monopol auf den Import versklavter Arbeitskräfte in die spanischen Kolonien Südamerikas. Während der Zeit der Zürcher Beteiligung verschleppte es 8636 Afrikanerinnen und Afrikaner dorthin.

Gleichzeitig verschiffte die Company 27'858 Sklavinnen und Sklaven im inneramerikanischen Sklavenhandel. Die Zürcher Beteiligung an der Company sei zwar weitaus kleiner gewesen als etwa jene Berns, sagte Schubert. Laut Studie hielt die Stadt Bern 1300 Anteile. Doch Zürichs Anteil sei grösser gewesen als jener des englischen Königs.

Zürich überprüft über 80 Denkmäler
Die Stadt Zürich reagiert auf die Studie. Sie prüft jetzt, wie die Bezüge der Stadt zu Rassismus und Kolonialismus im öffentlichen Raum sichtbar gemacht werden können.
Die Stadt wird über 80 Denkmäler überprüfen, wie Stadtpräsidentin Corine Mauch (SP) am Dienstag sagte. Dafür zuständig sei die Arbeitsgruppe Kunst im öffentlichen Raum (AG Kiör). Mit Ergebnissen rechnet die Stadt im Jahr 2023.
Man dürfe die Augen nicht vor der eigenen Vergangenheit verschliessen, sagte Mauch weiter. «Zürich war an der Verschleppung tausender Menschen beteiligt.» Der Kolonialismus ohne eigene Kolonie sei unsere gemeinsame Vergangenheit.
Die Stadt Zürich hatte die Studie in Auftrag gegeben und sich mit 20'000 Franken daran beteiligt. (sda)

Beteiligungen an Sklavenschiffen

Zürich investierte auch über die halbstaatliche Zinskommission Leu & Co. in die Sklavereiwirtschaft. Die 1755 gegründete Kommission hatte laut Studie den Auftrag, Staatsgelder gewinnbringend im Ausland anzulegen. Auch das Bürgertum investierte in Leu-Obligationen.

Von 1757 bis 1798 lieferte die Zürcher Kommission Geld an die dänische Krone, welche dieses zum Ausbau und der Sicherung ihres Kolonialbesitzes brauchte. Auf den dänischen Antillen arbeiteten damals mehrere tausend Sklavinnen und Sklaven. Drei Mal investierte der dänische König direkt in den Sklavenhandel und brachte so neue Sklavinnen und Sklaven auf die Inseln.

Neben der Stadt Zürich war auch die Zürcher Wirtschaft mit der Sklaverei verbunden. So beteiligte sich etwa ein Hans Konrad Hottinger mit seiner Firma Hottinger & Cie in den Jahren 1791 und 1792 an Sklavenschiffen. Hottinger erhielt für jene Geschäfte, die sich nicht auf den Sklavenhandel beschränkten, zudem «regelmässig» Kredite der Zinskommission Leu & Co.

Zürcher Stoffe wurden gegen Sklaven getauscht

Daneben war auch die Zürcher Textilindustrie strukturell mit der Sklavenwirtschaft verbunden. Im 18. Jahrhundert waren in Zürich gefertigte Indienne-Stoffe ein zentrales Frachtgut im Sklavenhandel. Die Tücher wurden in Westafrika gegen Sklavinnen und Sklaven getauscht. Sie waren eines der wenigen europäischen Produkte, die dafür akzeptiert wurden, wie Studien-Mitautor Schubert sagte.

Dazu kam im 19. Jahrhundert die Baumwolle für die Zürcher Textilindustrie «nahezu ausschliesslich» vom amerikanischen Kontinent und damit aus Sklavenproduktion. Den Textilfabrikanten war dieser Umstand bekannt. Sie glaubten aber, dass ohne Sklavenarbeit die Baumwollwirtschaft zusammenbrechen würde, sagte Schubert.

Die Textilindustrie war auch Ausgangspunkt der hiesigen Maschinenindustrie. Das Unternehmen Escher, Wyss & Cie. etwa entwickelte sich von einer Baumwollspinnerei zu einer Maschinenfabrik. Die Ursprünge dieses Industriezweigs sind damit mit der Sklaverei verknüpft, wie die Studie festhält.

Familie Escher profitierte

Die Studie beleuchtet auch die Verbandelungen der Familie Escher mit der Sklavereiwirtschaft. So habe Alfred Escher nur indirekt mit der Kaffeeplantage mit über 80 Sklaven seines Onkels auf Kuba zu tun gehabt. Allerdings half er seinem Vater Heinrich ab 1846 bei deren Verkauf. Betrieb und Verkauf der Plantage dürfte zum Vermögen beigetragen haben, das Alfred Escher von seinem Vater 1853 erbte.

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Eisenbahnpionier Alfred Escher. Bild: IBA-ARCHIV

Den Verkauf der Plantage fädelten die Eschers dabei so diskret wie möglich ein. Denn ab den 1830er- bis 1860er-Jahren kam es in den Medien erstmals zu einer Debatte über die Beteiligung der Familie am Sklavenhandel. «Mitte des 19. Jahrhunderts galten Sklaverei und Sklavenhandel in Zürich als verwerflich», sagte Schubert. (sda)

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95 Kommentare
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Toerpe Zwerg
29.09.2020 13:25registriert Februar 2014
Danke! Sehr spannend.

Man braucht sich nichts vorzumachen - alle und jeder hat zur damaligen Zeit in irgendeiner Form von der Sklaverei profitiert. Ausser natürlich der Sklaven.
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Dave1974
29.09.2020 13:37registriert April 2020
Jetzt werden wohl einige denken: "Naja, das ist schon lange her."
Wie wär es dann mit Gedanken über die heute geführte Sklaverei und wie manche heute noch und nöcher damit verdienen!?

Stichworte: Zwangsarbeit, Schuldknechtschaft, Zwangsprostitution, Zwangsheirat, Menschenhandel.

Gerade die Schuldknechtschaft wird in sogenannt beliebten Reisezielen recht unverblümt nach wie vor betrieben und man geht trotzdem "gerne" hin und macht Geschäfte mit solchen Ländern.

Wissen will man davon natürlich nichts.
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insert_brain_here
29.09.2020 13:31registriert Oktober 2019
Unmoralisch und hierzulande illegal? War für uns Schweizer noch nie ein Grund nicht trotzdem davon zu profitieren, man braucht nur den Gegnern der Konzernverantwortungsinitiative zuzuhören.
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