Ganz neu ist die Idee nicht, bereits Ende des 19. Jahrhunderts wird über Telegrafen- und Telefonleitungen live eingespielte Musik übertragen. In Paris können Gutsituierte ein «Théâtrophone»-Abonnement lösen und zu Hause an den Telefonhörern in Stereo Opernaufführungen lauschen. Das Telefon ist das Radio avant la lettre. Die Idee, die Technik der drahtlosen Telegrafie für Sprechfunk oder Musikübertragung zu nutzen, liegt also in der Luft.
Die Basis für die Nutzung der Radiowellen legt dann Guglielmo Marconi. 1896 sicherte sich der Italiener ein erstes Patent und 1909 erhält er für seine praktischen Arbeiten zur Funktelegrafie den Nobelpreis für Physik. Radiowellen-Empfänger stehen schon ab 1910 vereinzelt in Schweizer Uhrengeschäften. Dank dem Zeitzeichen des Eiffelturms können Uhrmacher mechanische Uhren exakt einstellen und deren Gang überprüfen.
«Das erste Mal» lässt sich historisch oft kaum verlässlich ausmachen. Die gilt auch im Fall der «ersten» Schweizer Radiosendungen. Frühe Ausstrahlungen reklamiert etwa die Flugfunkstation Lausanne für sich. Für den Flugplatz Lausanne-Blécherette beschafft 1922 der Techniker und diplomierte Funker Roland Pièce (1897-1972) in Frankreich eine Flugfunkstation. Im August desselben Jahres nimmt die Sendeanlage «Champ-de-l’Air» den Betrieb auf. Dieser Flugfunksender befindet sich nicht direkt beim Flugplatz, sondern in der Stadt Lausanne etwas nördlich der Kathedrale.
Der nach dem Flurnamen benannte Lausanner-Sender bezieht Räumlichkeiten, die von der Stadt Lausanne zur Verfügung gestellt werden. Der benachbarte «Service météorologique vaudois» liefert für die Flugstrecke Paris-Lausanne relevante Wetterdaten und Prognosen. Ein Flug findet allerdings nur einmal wöchentlich statt. Dazwischen blieb Pièce Zeit für Versuche. Im September 1922 spielt er mit einem Wachswalzen-Phonographen Musik ab und unterhält via Sprechfunk-Mikrofon die Flugzeugbesatzung. Laut Pièces Erinnerungen, ging bei dieser Premiere auch die Ouvertüre aus Rossinis «Wilhelm Tell» über den Äther.
Am 26. Oktober 1922 wird der Sender «Champ-de-l’Air» offiziell eingeweiht. Im Geheimen organisieren Pièce und seine Mitarbeiter eine erste Radioübertragung vom Radiostudio ins Hotel Beau Rivage am Ufer des Genfersees in Lausanne-Ouchy. Ein Ensemble singt live im Senderaum und ein Bundesrat, hohe PTT-Beamte, der französische Botschafter und Vertreter der Stadt Lausanne und des Kantons Waadt sammeln erstmals Erfahrungen mit dem neuen Medium. So hat sich dies zumindest laut den 1972 publizierten Erinnerungen von Pièces zugetragen. In den Tageszeitungen der Region finden sich auf diesen Event allerdings keine Hinweise. Von einem ähnlichen Anlass berichtet die «Gazette de Lausanne» erst am 30. April 1923.
Klar ist hingegen, dass sich der Bund bereits 1922 per Gesetz als Konzessions- und Oberaufsichtsbehörde die Macht über das neue Medium sichert. Die Regulierungsaufgaben werden dem Postdepartement (PTT) übertragen. 1923 bewilligt der Bund erste reguläre Radiosendungen mit den Flugfunksendern. Daraus bilden sich mehrere Radioveranstalter heraus. 1923 geht Lausanne offiziell auf Sendung, 1924 Zürich, 1925 Bern und Genf sowie 1926 Basel. Der erste reine Rundspruchsender der Schweiz gehört Radio Zürich und sendet aus Höngg.
In den 1920er Jahren werden die Radioveranstalter durch Empfangsgebühren der Konzessionäre sowie durch Beiträge von privater und öffentlicher Seite finanziert. Werbesendungen sind untersagt und die Radioveranstalter sind tendenziell eher knapp bei Kasse. Hörerinnen und Hörer begeistern sich derweil zunehmend für das neue Medium. 1923 verwaltet der Bund nur um die 1000 Empfangskonzessionen – 1930 überschreitet die Anzahl Konzessionäre die 100'000er-Marke.
Doch wie muss man sich den privaten Radioempfang in den 1920er Jahren vorstellen? Verbreitet sind Detektorenempfänger. Kernstück ist ein kleines Stück Pyritkristall, dass oben auf dem Gerät eingeklemmt wird. Mit einer spitzen Feder muss auf dem Stein «niefelig» eine geeignete Stelle gesucht werden. Der Stein dient als Demodulator und richtet die hochfrequenten Schwingungen der Radiowellen gleich. Der Radio einfachster Bauart wandelt also die Radiowellen um und macht sie hörbar. Das Signal wird nicht verstärkt. Somit lassen sich nur starke und damit meist ortsnahe Sender empfangen. Gehört wird via Kopfhörer – die Energie für den Betrieb stammt von den Radiowellen selbst.
Die Bauelemente dieser frühen Radios werden meist einzeln verkauft. Radiohören bedingt Bastelarbeit. Ein Inserat des Zürcher Fachgeschäfts «Photo-Bär» in der Zeitung «Neue Zürcher Nachrichten» vom 30. Oktober 1924 gibt eine Idee betreffend Kosten: Inklusive Kopfhörer kam ein Totalbetrag von 40 bis 50 Franken zusammen, was heute mindestens 200 bis 300 Franken entspricht. Teurer und betreffend Bastelei komplexer sind Geräte mit externer Stromzufuhr und Empfängerschaltungen mit mehreren Kreisen und Röhren. Auch hier wird meist über Kopfhörer in den Äther gelauscht. Die Zuhörenden bleiben ans Gerät gefesselt.
Eine Alternative sind Trichter-Lautsprecher. In einer Schalldose wird eine Membran zum Schwingen gebracht. Wie beim Phonographen oder Grammophon wird dieses akustische Signal mit einem Trichter verstärkt. Das Hörerlebnis dürfte dem Lauschen eines Phonographen oder Grammophons entsprochen haben. Lautere dynamische Lautsprecher mit Spule und Magnet kommen erst nach 1925 auf den Markt. Nebst dem Empfangsgerät ist eine externe Antenne existentiell. Auch hier finden sich oft improvisierte Lösungen. Entsprechende Drähte werden im Dachstock oder zwischen dem Haus und einem nahen Baum ausgerichtet und verspannt.
Der Radioempfang in den 1920er Jahren kann mit dem heutigen Hörgenuss kaum verglichen werden. Knacken, Rauschen und Störgeräusche prägen das Hörerlebnis. Heute würden wir es wohl als schwerverdaulich taxieren. Elektrische Gerätschaften im Haushalt, wie etwa laufende Heizstrahler, oder eine vorbeifahrende Strassenbahn beeinträchtigen den Empfang massiv.
Zudem senden ausländische Sender oft in besserer Qualität. Das wird natürlich auch kritisch vermerkt – etwa in der NZZ vom 26. September 1924: «Die Zürcher Programme sind von bemerkenswerter Reichhaltigkeit; aber es ist schade um diese schöne Musik, dass ihr keine bessere Wiedergabe zuteil wird. Wie weich und voll, natürlich und laut klingen die Vorträge des Londoner oder Brüsseler Radio-Orchesters zu uns herüber. Und wie hart, schwach und heiser tönt es dagegen, wenn man auf Zürich einstellt.»
Das Radioprogramm der Schweizer Sender entnehmen Hörerinnen und Hörer der lokalen Zeitung. Sendezeit ist der Nachmittag und der Abend. Die Nachrichten, der Wetterbericht und das regelmässig gesendete Zeitzeichen strukturieren das Programm. Klassische und volkstümliche Musik wird ab Konserve oder live gespielt. Lesungen, Vorträge, Hörspiele, Gespräche und Predigten ergänzen das Programm. Früh versuchen die Sender verschiedene Zielgruppen anzusprechen. So sendet Radio Bern am 9. April 1927 etwa «Kinderstunde von Frl. Gsell, Bern: Etwas vom Osterhasen».
Auch wenn Radiohören in den 1920er Jahren noch beschwerlich ist: Das neue Medium begeistert. Auf den Punkt bringt es ein Text eines Radiohörers, der zuerst in den «Glarner Nachrichten» und am 25. September 1924 in der «Engadiner Post» publiziert wird.
Mit der Gründung der Schweizerischen Rundfunkgesellschaft SRG im Jahr 1931 endet die Gründerzeit des Radios in der Schweiz. Fortan hat die SRG das Monopol und versorgt die Schweiz über die Landessender mit Radioprogrammen. Viele Radiopioniere der 1920er Jahre arbeiten nun für die SRG oder PTT. Roland Pièce wird technischer Leiter im Landessender Sottens.
Das Empfangen und Hören von Radiosignalen ist nun einfacher. Die Bastelarbeit entfällt. Radios kauft man im Fachgeschäft. Die Antennen sind handlicher und die Namen der Landessender stehen auf den Radioskalen – das Einstellen eines Senders beschränkt sich auf ein Knopfdrehen. Radio kommt nun aus dem Lautsprecher und lässt sich bequem auch nebenbei konsumieren. Aus dem Abenteuer der Pionierzeit wird ein Massenmedium.