In einem einzigartigen Mammutprojekt haben Freiwillige tausende alte, bekannte Fundstellen der 713 seltensten und gefährdetsten Pflanzenarten in der Schweiz aufgesucht. Das Erschreckende: 27 Prozent der 8024 Populationen konnten nicht wiedergefunden werden.
08.09.2020, 13:3808.09.2020, 14:30
Das Bodensee-Vergissmeinnicht, die Vielspaltige Mondraute oder die Sumpf-Siegwurz: Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie hierzulande als vom Aussterben bedroht gelten.
Das Sommer-Blutströpfchen ist eine einjährige Ackerbegleitpflanze aus der Familie der Hahnenfussgewächse. Wie viele ruderale Arten setzt ihr die intensive Landwirtschaft und der Einsatz von Herbiziden stark zu. In der Schweiz gilt es als gefährdet.Bild: unibe/andrea gygax
Forschende der Universität Bern analysierten gemeinsam mit Info Flora, dem Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora, die «Schatzsuche» der 420 ehrenamtlichen Botanikerinnen und Botanikern. Das Ergebnis sei alarmierend, schreibt die Uni in einer Mitteilung vom Dienstag. Demnach verloren die am stärksten gefährdeten Arten 40 Prozent ihrer Populationen im Vergleich zu den letzten 10 bis 50 Jahren.
Artenschwund ist menschengemacht
«Solche lokalen Aussterbeereignisse sind Frühwarnsysteme. Zwar verlieren wir heute nur einzelne Populationen, doch könnten schon bald ganze Arten aus der Schweiz verschwinden», sagte Anne Kempel von der Uni Bern. Sie ist die Erstautorin der Studie, die nun im Fachmagazin «Conservation Letters» erschienen ist.
Erstautorin Anne Kempel.Bild: unibe/zvg
Um Pflanzen, die am Rand von landwirtschaftlich genutzten oder besiedelten Flächen wachsen, steht es besonders schlecht. Diese Populationen zeigten mehr als doppelt so grosse Verluste wie Arten aus Wäldern oder alpinen Wiesen. Auch Pflanzenarten aus Gewässern, Ufern und Mooren schwinden dramatisch.
Schuld daran ist gemäss den Forschenden vor allem der Mensch: Mikroverunreinigungen, Düngerbelastung, der Verlust natürlicher Flussdynamiken durch Flussbegradigungen, die Nutzung von Flüssen als Stromlieferant oder das Trockenlegen von Moorflächen machen diesen Pflanzen zu schaffen.
Der Spähtblühende Bitterling gehört zur Familie der Enziangewächse und bewohnt Ufer von Kleingewässern. Wie viele Pflanzen aquatischer Lebensräume gilt auch diese Art in der Schweiz als stark gefährdet.Bild: unibe/andrea gygax
Schnelles Handeln notwendig
«Diese Studie hat uns wachgerüttelt und uns ganz deutlich gezeigt, dass Habitatschutz alleine nicht ausreicht, um unsere Biodiversität zu erhalten», sagte Stefan Eggenberg, Leiter von Info Flora. Ohne ein schnelles Handeln sieht es laut den Forschenden denn auch nicht gut aus für die seltensten Arten der Schweiz.
Lässt sich der Rückgang der Artenvielfalt aber überhaupt noch aufhalten? Ja, sagen die Forschenden. So könnten etwa die Renaturierung von Fliessgewässern, das Errichten von Hecken, Steinhaufen oder Tümpeln in der Agrarlandschaft, eine weniger intensive Landnutzung und gezielte Artenförderung viele gefährdete Arten in der Schweiz retten. (sda)
Artenvielfalt allein macht Ökosysteme nicht stabil
Ob eine Pflanzengemeinschaft stabil ist, hängt nicht nur von der biologischen Vielfalt ab. Eine wichtigere Rolle spielt das sogenannte «asynchrone Wachstum»: Wächst unter gewissen Bedingungen eine Art weniger gut, kompensiert eine andere Art den Verlust mit besserem Wachstum. Das hat ein internationales Forschungsteam mit Beteiligung der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) herausgefunden.
Je stabiler eine ökologische Gemeinschaft ist, desto besser kann sie auf Veränderungen wie etwa Dürren oder intensivierte Landnutzungen reagieren. Welche Faktoren für Stabilität sorgen, untersuchten die Forschenden anhand von 79 Datensätzen, die fast 8000 Pflanzengemeinschaften weltweit repräsentieren.
Dabei zeigte sich: Je synchroner sich Arten verhalten, desto eher gerät eine ökologische Gemeinschaft ins Wanken. Bei 71 Prozent der untersuchten Datensätze bestätigte sich dies,
wie die Forschenden im Fachmagazin «PNAS» schreiben. Zwar ging auch ein höherer Artenreichtum mit einer höheren Stabilität einher – allerdings nur bei 29 Prozent der Datensätze. (sda)
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