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Autor Weltklimarat: «Der Klimawandel ist kein Zukunftsszenario mehr»

Kühe auf verdorrtem Gras statt auf grüner Wiese im August 2022.
Kühe auf verdorrtem Gras statt auf grüner Wiese im August 2022.bild: keystone
Interview

Autor des Weltklimarats: «Der Klimawandel ist kein Zukunftsszenario mehr»

Der Weltklimarat IPCC hat gestern den neusten globalen Synthesebericht veröffentlicht. Mit der aktuellen Klimapolitik entwickelt sich die Welt auf eine Erwärmung zwischen 2.2 und 3.5 Grad Celsius bis 2100. Der IPCC-Autor Erich Fischer von der ETH Zürich (ETHZ) zu den Verhältnissen in der Schweiz.
21.03.2023, 09:0822.03.2023, 09:53
Bruno Knellwolf / ch media
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Prof. Erich Fischer, IPCC-Hauptautor der ETH Zürich
Prof. Erich Fischer, IPCC-Hauptautor der ETH Zürichbild: zvg/ eth

Der Weltklimarat IPCC hat mit dem 6. Synthese-Bericht das Klimastandardwerk für die nächsten Jahre erstellt. Wie unterscheidet sich dieses vom letzten Bericht vor acht Jahren?

Erich Fischer: Sehr vieles ist konsistent mit dem letzten IPCC-Bericht, aber vieles ist deutlicher geworden. Was damals noch eine Vorhersage war, ist Wirklichkeit geworden. Besonders was die Wetterextreme betrifft: Starkniederschläge, Hitzewellen und Trockenheit sind Realität, die wir auch in der Schweiz erlebt haben. Der Klimawandel ist kein Zukunftsszenario mehr. Zudem konnten viele der Klimaaspekte nun auf regionale Skalen heruntergebrochen werden. So versteht man nicht mehr nur das globale Phänomen, sondern auch die Auswirkungen zum Beispiel in den Alpen oder Ozeanen. Messungen zeigen unter anderem 60 Prozent Schwund bei den Gletschern und 300 bis 400 Meter Anstieg der Nullgrad-Grenze. Das sind gerade für die Schweiz beeindruckende Zahlen.

Lange hat man gesagt, Einzelereignisse wie Hitzewellen seien noch kein direktes Zeichen für ein Klimawandel. Was hat sich geändert?

Der Klimawandel verursacht kein Einzelereignis, aber verändert dessen Wahrscheinlichkeit. Nun konnte man zeigen, dass es nicht nur häufiger Extremwetterereignisse gibt, sondern diese auch eine Intensität haben, wie man sie zuvor noch nie beobachtet hat. Beispiele dafür sind die extreme kanadische Hitzewelle 2021, die Starkniederschläge in Nordrhein-Westfalen 2021, noch nie da gewesene 40 Grad in England im letzten Sommer und der heisseste und trockenste Sommer in China. Dabei sind immer Rekorde gebrochen worden, zum Teil um mehrere Grade. Ohne Klimawandel müsste es statistisch eigentlich über einen langen Zeitraum weniger Rekorde geben, das Gegenteil ist der Fall.

Das gilt auch für die Schweiz?

In den Schweizer Klimaszenarien 2011 wurden weniger Schnee, stärkere Niederschläge, längere Trockenperioden und grössere Hitze vorausgesagt. Genau das ist 2018 und 2022 passiert.

Was lösen denn die Rekorde aus?

Das ist immer ein Mix von mehreren Faktoren. Bei einer Hitzewelle spielt sehr warme Luft, die durch ein Hochdruckgebiet herangetragen wird, eine Rolle. Das Hochdruckgebiet führt weiter zu wolkenlosen Verhältnissen, hoher Sonneneinstrahlung, trockenen Böden und somit fehlender Verdunstung. Häufig sind zwei oder drei dieser Faktoren durch den Klimawandel beeinflusst. Das führt zu stärkerer Intensität und Häufigkeit.

Gemäss dem Bericht zeigen sich erste Auswirkungen durch die bisher durchgeführten Klimamassnahmen. Welche?

Man vergleicht mit einem Szenario ohne Massnahmen. Dann wären die Emissionen noch schneller und höher angestiegen als in der Vergangenheit. Aber trotz der positiven Meldungen über weniger rasch steigende Emissionen, sie steigen immer noch an. Wir haben noch keine Stabilisierung erreicht, geschweige denn Netto-Null.

Im Moment sind wir etwa auf dem 3-Grad-Pfad. Wie schnell muss der Verzicht auf fossile Energieträger vorangehen, um diesen Pfad zu senken?

Das CO2, das wir in die Atmosphäre ausstossen, bleibt dort für Jahrhunderte. Die einzige gesamtheitliche Möglichkeit ist, die Kohle, das Erdöl und Gas gar nicht zu verbrennen und somit das Kohlendioxid gar nicht auszustossen. In allen Szenarien des IPCC-Berichts wird mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 Prozent davon ausgegangen, dass wir 1.5 Grad globale Erwärmung schon in den 2030er Jahren erreichen. Das bedeutet für die Schweiz aber noch mehr, da wir jetzt schon bei 2.5 Grad sind. Die entscheidende Frage ist, ob wir es schaffen, global auf 1.5 Grad zu stabilisieren. Der neue Bericht ist da deutlicher als die vorherigen. Um Mitte Jahrhundert Netto-Null zu erreichen, braucht es eine Halbierung der globalen Kohlenstoff-Emissionen bis 2030. Wir haben nicht mal den Anstieg gestoppt. Das ist also ein sehr ambitioniertes Ziel.

Das tönt nicht sehr realistisch.

Aus physikalischer Sicht ist es möglich - und das ist mein Fachgebiet. Aus gesellschaftspolitischer Sicht ist es eine riesige Herausforderung. Aber wir haben gesehen, dass Transformationen sehr rasch ablaufen können. In gewissen Ländern sehen wir eine extrem schnelle Installation von erneuerbaren Energien und einen sehr raschen Wandel zu Elektromobilität in skandinavischen Ländern. Aber das ist ambitioniert, in einem Land wie der Schweiz, wo immer noch Öl-Heizungen installiert werden.

Wo würde man am schnellsten einen Erfolg sehen?

In der Mobilität und der Energieversorgung, wo es sich auch wirtschaftlich lohnt, neue Technologien einzusetzen. ETH-Professor Anthony Patt hat gezeigt, wie schnell die Preise für Photovoltaik und Batterien gesunken sind. Auch in der Ernährung und der Abfallverbrennung besteht gerade in der Schweiz ein grosses Potenzial.

Wenn die Erdtemperatur über 1.5 Grad geht, spricht man vom Überschiessen, vom Overshoot. Das wird kaum mehr zu verhindern sein, warum lohnt sich Klimaschutz trotzdem?

In den 2030er-Jahren werden wir 1.5 Grad mit einer grossen Wahrscheinlichkeit erreichen. Zurück ist fast unmöglich. Es wäre aber absolut irreführend, wenn man sagt, beim Overshoot sei alles verloren. Jeder minimalste Anteil von Erwärmung macht einen Unterschied - auf Hitzeextreme, Starkniederschläge, Trockenheit und auf die Gletscherschmelze. Man sieht in den vergangenen Jahrzehnten, was nur ein paar Zehntelsgrade Erwärmung bei den Gletschern ausgelöst haben. Zurzeit erwärmen wir unser Klimasystem mit einer Leistung von rund 400 Billionen Watt. Das entspricht 50 Milliarden Wärmepumpen. Das ergibt nicht nur sofortige, sondern auch verzögerte Effekte wie das Abschmelzen der Gletscher und Eisschilde und der Anstieg des Meeresspiegels.

Der IPCC-Bericht sagt aber auch, dass der Mensch noch viel in der eigenen Hand hat. Was?

Sehr viel. Jegliche zusätzliche Erwärmung wird verursacht durch zukünftige Emissionen. Viele der Klimaeffekte sind von dem abhängig, was wir ab heute machen. Wie viel Treibhausgas-Emissionen wir in Zukunft ausstossen, hängt somit von unserem Verhalten ab. Die Technologien liegen auf dem Tisch, Dekarbonisierung ist möglich, wir können erneuerbar Strom produzieren ohne fossile Treibstoffe. Es braucht dazu aber einen massiven Fortschritt. Aus klimaphysikalischer Sicht ist es egal, ob wir diesen durch Eigenverantwortung erreichen oder durch Regulierung und Marktmechanismen. Eigenverantwortung hat bis jetzt aber nicht gereicht. Die Schweiz könnte als Technologie- und Industriestandort eine Vorreiterrolle spielen und die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Die Schweiz ist keine Insel und leidet indirekt auch an Klimaeffekten in anderen Ländern, wenn Produktionsketten abbrechen oder sich Handelsgüter verteuern. Natürlich gibt es Menschen, die an den alten Technologien verdienen. Aber es gibt immer mehr, die auf neue Technologien setzen.

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78 Kommentare
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Violett
21.03.2023 09:21registriert Juni 2020
Sorry liebe Klimaaktivistinnen die Schweiz braucht ihre Milliarden für die Banken Sanierung. Ironie Off.
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Der Rückbauer
21.03.2023 09:54registriert September 2015
Wir, meine Frau und ich, waren in den letzten 20 Jahren in Spanien und haben dort miterlebt, was "desertificaciòn", also Verwüstung ganzer Landstriche, heisst.
Zurück in der grünen Schweiz bestiegen wir letzten Sommer die Dent de Vaulion im Jura. Wir waren sprachlos: Alles braun, furztrocken, Wasser für die Kühe mit Tankwagen und Helikoptern. Zisternen? Alle leer. Wie in Spanien. Da nützen auch schöne Zisternen nichts, wenn's nicht regnet.
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Posersalami
21.03.2023 11:37registriert September 2016
Es wird sich leider wieder überhaupt nichts ändern. Es werden sich aber dennoch natürlich alle in 3-4 Monaten über die Hitzewellen beklagen und in 10 Monaten fragen, wo denn jetzt der Winter bleibt.
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