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Duttis Unterwas­ser-Vorräte

Versenkung von Unterwassertanks mit Weizen auf dem Thunersee, 1939.
Versenkung von Unterwassertanks mit Weizen auf dem Thunersee, 1939.Bild: MGB Archiv

Duttis Unterwas­ser-Vorräte

Bereits vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs machte sich Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler Gedanken zur Sicherung der Landesversorgung. Seine Idee, Getreide und sonstige Lebensmittel in tonnenschweren «Konservendosen» in unseren Seen zu versenken, fand jedoch nicht nur Anhänger.
15.10.2022, 16:3715.10.2022, 16:37
Katrin Brunner / Schweizerisches Nationalmuseum
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Im Herbst 1938 appellierte Gottlieb Duttweiler an die Schweizer Frauen: «Liebe Hausfrauen, kauft, wo ihr wollt – sogar im Konsumverein! – aber legt möglichst ansehnliche eigene Notvorräte an …» Dass für die Aufrüstung von Kriegsmaterial ein so viel grösserer Aufwand betrieben wurde, als für die in seinen Augen essenzielle Aufstockung von Lebensmittel, brachte den streitbaren Gründer der Migros in Rage. Und dies, obwohl am 1. April 1938 das Bundesgesetz zur Sicherstellung der Landesversorgung mit lebenswichtigen Gütern in Kraft getreten war.

Porträt von Gottlieb Duttweiler, um 1930.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Gottlieb_Duttweiler_um_1930.jpg
Porträt von Gottlieb Duttweiler, um 1930.Bild: Wikimedia
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Im Juli 1938 hatte Duttweiler der Landesregierung seinen Plan, Getreide, aber auch Treibstoff und Öl in unseren Seen zu lagern, präsentiert. Der Vorteil dieser Art der Lagerung lag für ihn auf der Hand. Lagerhallen waren durch mögliche Bombardierungen stets in Gefahr und verursachten ausserdem hohe Lagerkosten. Das ehemalige Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement EVD (heute WBF) gab eine entsprechende Studie in Auftrag. Diese gab Gottlieb Duttweiler recht.

Versuche von Unterwasserlagerungen in Schweizer Seen, 1939.Video: YouTube/Migros

Und so tat sich im Sommer 1939 Ungewöhnliches auf und im Thunersee vor Därligen (BE). In einem 250 Kubikmeter grossen und rund sieben Meter hohen Stahltank, der inwendig mit einem Teeranstrich versehen wurde, verschwanden gut verschlossen 230 Tonnen Getreide im See. Dieses sollte für die nächsten viereinhalb Monate im rund zehn Grad kalten Wasser lagern. Der Versuch gelang. Die Temperatur hielt das Getreide vom Keimen ab und verhinderte eine Gärung oder einen Ungezieferbefall.

Trotzdem lehnte der Bundesrat eine Beteiligung am Projekt und dessen Weiterführung ab. Als Gründe wurden die kurze Dauer des Versuchs und die immer noch geltende Kontingentierungspraxis genannt. Vor allem Bundesrat Hermann Obrecht, der diese Politik zu vertreten hatte, legte sich immer wieder mit Gottlieb Duttweiler an. Letzterer sass für den «Landesring» im Nationalrat und machte auch im Ratssaal ordentlich Druck. Schliesslich gab Obrecht dem Migros-Gründer zu verstehen, dass es für ihn in der kriegswirtschaftlichen Organisation keine Verwendung gebe.

Hermann Obrecht als Bundesrat in einer Aufnahme von 1935, geboren am 26. Maerz 1882, heimatberechtigt in Grenchen und Politiker der Freisinnig-demokratischen Partei der Schweiz FDP. Als Vertreter des  ...
Bundesrat Hermann Obrecht, 1936.Bild: PHOTOPRESS-ARCHIV

Trotzdem versenkte Duttweiler einige Monate später einen 15 Kubikmeter grossen Unterwassertank mit Weizen im Alpnachersee. Diesen hatte er auf eigene Kosten eingekauft. Der Weizen blieb für die nächsten sechs Jahre im Wasser und wurde regelmässig kontrolliert. Resultat: Das Getreide war auch danach absolut einwandfrei. Durch den Teeranstrich, dem äusseren Schutzfilm durch Schlamm und Sand und dem geringen Sauerstoffgehalt in der Tiefe des Sees, drang kein Wasser ein und die Tanks rosteten nicht.

«Dutti» wäre wohl nicht «Dutti» gewesen, hätte er sich von einer einmal gefassten Idee abbringen lassen. 1949 versenkt er – wiederum auf eigene Kosten – 100 Fässer mit Rohkokos- und Erdnussöl im Alpnachersee, die während der folgenden Jahre regelmässig kontrolliert wurden. Es sollte nicht sein letzter erfolgreicher Versuch sein, Lebensmittel, aber auch andere Materialien, die in Krisenzeiten wichtig werden, bombensicher und günstig zu lagern. Ab 1955 verschwanden so über 2000 Fässer im Alpnachersee.

Auch in den 1950er-Jahren wurden noch Lebensmittel in Seen gelagert.Video: YouTube/Migros

Heute liegen keine von Duttis Lebensmittelfässer mehr auf dem Grund von Schweizer Seen. Das Experiment wurde Anfang der 1960er-Jahre endgültig abgebrochen. Unter anderem, weil beispielsweise Bauarbeiten zur Verbreiterung der Brünigstrasse die Fässer durch Gesteinsabbrüche oder Bauschutt gefährdet hätten. Die insgesamt 2765 überdimensionalen «Konservendosen» im See bei Alpnach wurden allesamt unversehrt wieder gehoben.

Bergung von Lebensmittelfässern aus dem Alpnachersee in den 1960er-Jahren.
Bergung von Lebensmittelfässern aus dem Alpnachersee in den 1960er-Jahren.Bild: MGB Archiv
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Duttis Unterwas­ser-Vorräte» erschien am 13. Oktober.
blog.nationalmuseum.ch/2022/10/getreideversenkung-in-schweizer-seen
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24 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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bitzliz'alt
15.10.2022 17:53registriert Dezember 2020
Dutti war eine herausragende Persönlichkeit die irgendwie im falschen Jahrhundert geboren wurde ….! In Sachen Klimaschutz, Energieproduktion etc. hätte der heute was beizutragen (und die Schweiz wählt bald einen „Erdölheini“zum Bundesrat …) 🤷🏻‍♂️
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Stargoli
15.10.2022 17:37registriert Januar 2015
Und was wurde zuletzt mit den ganzen Lebensmitteln gemacht?
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RaBu
15.10.2022 19:16registriert Februar 2020
Der hinten im Video soeht doch etwas aus, wie “Ueli der Bundesrat”.
Duttis Unterwas­ser-Vorräte\nDer hinten im Video soeht doch etwas aus, wie “Ueli der Bundesrat”.
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