Wenn Menschen ihre Heimat verlassen, tragen sie mit ihren Koffern nicht nur ihre Habseligkeiten ins neue Land. Sie bringen ihre Geschichte, ihr Wissen, ihre Ideen mit.
Der Basler Adolph Rickenbacher ging als Vater der E-Gitarre in die Geschichte ein und der Aargauer Meyer Guggenheim stieg vom armseligen Herdpolitur-Hausierer zum Kupfer-, Silber- und Bleikönig auf. Wieder andere sind aber auch einfach grandios gescheitert. So wie Johann August Sutter.
1834 sitzt inmitten anderer Hoffender Johann August Sutter auf einem Amerikadampfer. Seine fünf Kinder und seine Frau hocken im Emmental. Auf seinem 51'000-Franken-Schuldenberg.
Das Schiff läuft am 7. Juli in New York ein. Hier will Sutter aber nicht bleiben. Den gelernten Buchhändler zieht es nach Westen, in dieses ungezähmte und freie Land, wo Rothäute und Büffelherden durch die Steppen jagen. Und irgendwo am letzten Zipfel liegt Kalifornien, dort landet der Bankrotteur 1838 und bekommt vom Gouverneur Alverado 200 Quadratkilometer Land geschenkt, direkt am Sacramento-Fluss. Dort gründet er die Kolonie Neu-Helvetien und baut das Sutter's Fort.
Schön wäre es jetzt, ein bisschen Stefan Zweigs «Die Entdeckung Eldorados» nachzuplappern: Dies wäre die Geschichte eines furchtlosen Abenteurers, der den Boden des wilden Kaliforniens fruchtbar macht, sodass die satte Saat die Scheunen schier zum Bersten bringt. Die Erzählung einer winzigen Kolonie, die sich zu «tropisch gigantischer Grösse» entfaltet, weil ihr Herr seine französischen Weinreben vor den räuberischen Indianerbanden verteidigt. Leider ist das nicht die Wahrheit. Neu-Helvetien wurde abwechslungsweise überschwemmt und ausgetrocknet. Es fehlte an allen Ecken und Enden an sachkundigen Arbeitern.
Diese Gewinner-Version leidet an einer heillosen Überhöhung des Schweizers. Sutter hat sich in seiner Autobiographie nämlich selbst verklärt und sich unter seinem magischen Stift vom verschuldeten Würstchen ohne viel Geschäftssinn in einen vor Tatkraft sprudelnden Helden verwandelt. Der amerikanische Mythos der Pioniere, diese erste Generationen von urmännlichen Männern, die den Wilden Westen bis hinunter zum Pazifik zähmten, verleiht diesem Super-Sutter denn auch das Rückgrat, das er selbst vielleicht nie gehabt hat.
Am Ende seiner Geschichte wird er letztlich auf tragische Weise zum Opfer des Goldrausches: James Marshall stürzt irgendwann im Januar 1848 – einen Monat, bevor Kalifornien und der gesamte Südwesten im Vertrag von Guadalupe Hidalgo von Mexiko an die USA gehen – ganz aufgeregt in Sutters Haus und streckt ihm seine offenen Handflächen hin. Darauf türmen sich zwei Sandberge. Dazwischen glitzern kleine, gelbe Körnchen. Gold. Und es steckt in Sutters Grund und Boden.
Die Männer schwören ihrem Herrn, das Geheimnis zu wahren. Acht Tage lang halten sie sich daran. Danach laufen sie ihm davon, bewaffnen sich mit Sieben und Kasserollen und graben den neu-helvetischen Boden um. Es dauert nicht lange, bis die Menschen auch von anderen Städten und Häfen herkommen und ihre Spaten in Sutters Erde rammen. Neu-Helvetien wird zu Eldorado.
Und Sutter bleibt nichts. Nicht einmal der Tod auf dem heimatlichen Schweizer Boden, nach dem er sich jetzt zurücksehnt. Er stirbt 1880 in Washington, arm, erfolglos und enttäuscht darüber, dass er keinerlei Wiedergutmachungszahlung für die Schäden erhalten hat, die er durch die Goldrausch-Wirren erlitt.
«Born in the USA» muss nicht sein, um den amerikanischen Traum vom Aufstieg zu leben. Adolph Rickenbacher wurde am 1. April 1887 mitten in eine Basler Familie von Habenichtsen hineingeboren. Am Gemsberg 7, wo die Familie zur Miete bei einem Buchbinder wohnte.
1891 folgten sie dem Ruf der ausgewanderten Verwandten, der über den Atlantik in die Basler Altstadt schallte: In Amerika wird es euch besser gehen. Und so bestiegen die Rickenbachers das Schiff. «Das Vieh wurde besser behandelt als die Passagiere», schrieb eine Nichte Rickenbachers über die Überfahrt von Le Havre nach New York.
Die Freiheitsstatue versteckte sich in dicken, dunklen Wolken, die auch weiterhin hartnäckig da blieben, um die ersten Jahre der sechsköpfigen Familie zu verhageln: Adolphs Mutter starb kurz nach der Ankunft und der Vater geriet unter eine Eisenbahn, verlor beide Beine und trank danach nur noch. Die Kinder verwahrlosten. Also zog Emma ihre zwei kleinen Brüder Adolph und Robert in ihrer Magd-Kammer sieben Jahre lang gross.
Adolph war nicht unbedingt gutaussehend, er hatte Segelohren und seine Schultern hingen lustlos unter seinem Hals. Dafür war er witzig, «a character», sagt sein letzter Nachbar Bob Genc. Besuchte man Rickenbacher zu Hause, «zeigte er gern eine Fotografie mit tanzenden Paaren, auf der alle Typen eine Erektion hatten».
Mit seinen lustigen Augen betörte er Charlotte Kammerer, Tochter einer im Erdölgeschäft reich gewordenen deutschstämmigen Familie aus Pennsylvania. Die beiden heirateten und Adolph eröffnete 1920 in Los Angeles seine «Rickenbacher Manufacturing Company», in der er Pressformen, Werkzeuge und Gewinde anfertigte, Metall goss und Plastik stanzte.
Dort werkelte er gemeinsam mit dem texanischen Gitarristen George Beauchamp, der endlich ein lauteres Instrument wollte, und Paul Barth am hölzernen Prototypen einer elektrischen Hawaii-Gitarre. Beauchamp lieferte den elektromagnetischen Tonabnehmer aus Kupferdraht und einem Paar Hufeisenmagneten – damit sollte es den Gitarristen endlich gelingen, sich gegen die geballte Kraft der Bläser im Orchester durchzusetzen.
Doch die Musiker blieben misstrauisch: Sie trauten diesem neuartigen Instrument nicht. Und als bei einer öffentlichen Vorführung statt des Gitarrentons plötzlich der Radiosender KHJ Los Angeles aus dem Lautsprecher ertönte, schienen die Skeptiker Recht zu behalten.
1932 verkaufte die neu gegründete Firma «Ro-Pat-In» der drei Tüftler nur ein Dutzend Gitarren. Rickenbachers Werkzeugfirma musste das defizitäre Geschäft mit den lauten Instrumenten subventionieren.
Schliesslich war es das Radio, dessen Wellen Rickenbacher zuvor so störend in den Tonabnehmer seiner E-Gitarre gefunkt hatten, das dem Instrument zu seinem verdienten Ruhm verhalf: Ein Gitarrist begeisterte via Äther die Musiker von der Neuerfindung. Dann kam die Bestellung für 500 Gitarren aus Chicago – und bald lieferte Rickenbacher in die ganze Welt.
Adolph wohnte danach in Beverly Hills in einem schicken Haus, dessen Belüftungssystem er selbst entwickelt hatte und das die Luft derart gründlich reinigte, dass er 20 Jahre lang nicht abstaubte. Das behauptete er jedenfalls.
Simon Guggenheim kam 1792 im aargauischen Dorf Lengnau zur Welt. Ein schneidernder und mausarmer Jude, der – wie alle seine Glaubensgenossen – kein Bürgerrecht besass, sondern nur ein Aufenthaltsrecht. Der Judenzoll musste entrichtet werden, wollte er sein Dorf verlassen. Militärdienst durften die Juden nicht leisten, mussten aber dennoch für ihre Abwesenheit bezahlen. Und für eine Heirat brauchten sie eine Bewilligung, die sie nur bekamen, wenn die Frau eine Mitgift von mindestens 500 Gulden in die Ehe einbrachte.
Simon Guggenheim konnte trotz dieser widrigen Umstände 1815 heiraten, doch seine Frau starb früh und hinterliess ihm einen Sohn und fünf Töchter. 1847 unternahm er einen zweiten Versuch: Er wollte seinen Haushalt mit dem der Witwe Rachel Weil Meyer zusammentun. Doch die Obrigkeit in Lengnau erteilte den beiden keine Heirats-Bewilligung.
Sie hörten die schillernden Erzählungen über die Neue Welt, in der alles möglich schien, in der selbst Juden ihr Glück finden konnten. Da gebe es keine Spezial-Bewilligungen, keine Juden-Gesetze. Rachel und Simon packten ihre Siebensachen und ihre zwölf gemeinsamen Kinder, verkauften ihre Häuser und machten sich auf nach Hamburg, von wo sie nach rund drei Monaten Philadelphia erreichten.
1848 betraten sie die Neue Welt, im selben Jahr also, in dem Goldgräber auf der anderen Seite des Landes Johann August Sutters kalifornische Erde umgruben. Familie Guggenheim aber begann ab diesem Moment ihre Erfolgsgeschichte zu leben. Gleich nach der Ankunft läuteten für Simon und Rachel die Hochzeitsglocken. Simon starb mit 76 Jahren, doch sein einziger Sohn Meyer, von Erfindungsgeist gesegnet, läutete die wirklich guten Jahre ein.
Er verkaufte selbstgemachte Herdpolitur, die die herkömmliche Ware in den Schatten stellte: Keine schwarzen Flecken mehr an den fleissigen Händen der amerikanischen Hausfrauen! Auch Kaffee stellte er selbst her – das Getränk der Reichen. Meyer braute aus billigen Bohnen und Chicorée eine Art Sirup, den man mit heissem Wasser aufgiessen konnte und versorgte die Leute mit einer Frühform des Instant-Kaffees.
Zwischen 1854 und 1868 zeugte er mit Barbara Weil, einer Tochter von Rachel (sie verliebten sich auf der Überfahrt), elf Kinder, die bald schon in der hauseigenen Kutsche herumfuhren. Denn Meyers unternehmerische Finger waren überall: im Gewürzhandel, in einer Laugenfabrik, im Eisenbahngeschäft, im Handel mit maschinell gefertigten Spitzen aus Sachsen und der Schweiz. Als seine Söhne aus Europa zurückkehrten, wo sie ihre Ausbildung genossen hatten, gründete Meyer 1877 die Firma «M. Guggenheim's Sons».
Mit 77 Jahren starb Meyer, nachdem er seine Familie zu einer der reichsten der ganzen Welt gemacht hatte. Investitionen in Silber- und Bleiminen, der Bau von Raffinerien und die Führung im Kupfergeschäft machten diesen Aufstieg in die Elite möglich. Die Guggenheims kontrollierten am Ende des Ersten Weltkriegs drei Viertel der weltweiten Kupfer-, Silber- und Bleiproduktion. 1920 gehörten sie zu den fünf reichsten Familien der USA.
Die Nachkommen der dritten und vierten Generation konnten also nur noch dadurch auffallen, wie sie das viele geerbte Geld ausgaben: Solomon zum Beispiel, das vierte Kind von Meyer Guggenheim, tat dies mit dem Kauf von moderner Kunst. Und Frank Lloyd Wright, der grösste Architekt der damaligen Welt, setzte ihm ein Denkmal: das berühmte Guggenheim Museum in New York.
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