Aristomenis Exadaktylos, Chefarzt am Inselspital in Bern, hat schon viel gesehen. Zum Beispiel Patienten, die nach dem Sex mit Migräne, Herzproblemen oder gar Gedächtnisverlust auf der Notaufnahme landeten. «Das ist nicht gerade das romantischste Ende, das sich ein Paar vorstellen kann», sagte der Leiter des Universitären Notfallzentrums kürzlich in einer Gesundheitssendung des britischen Radiosenders BBC.
Doch als der erfahrene Arzt gefragt wurde, ob ihm jemals ein Fall von Penis captivus untergekommen sei, musste er passen. Bei der Vorstellung, dass der Penis des Mannes in der Vagina der Frau steckenbleibe, handle es sich wohl um eine urbane Legende, meinte Exadaktylos.
Damit waren zwei Zuhörer nicht einverstanden. Eine Frau, die anonym bleiben wollte, schrieb der BBC: «Ich muss Ihnen sagen, dass es kein Mythos ist.» Es sei ihr und ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann einmal passiert. «Er konnte buchstäblich nicht zurückziehen, das heisst, er blieb stecken. Ich schrieb das der intensiven Muskelkontraktion der Vagina während des Orgasmus zu.»
Ein 75-jähriger Mann, der sich als John vorstellte, erzählte der BBC, er sei in der Nähe eines Flughafens in Südengland aufgewachsen. Dort sei die Geschichte eines amerikanischen Piloten herumgegangen, der in einer Frau steckengeblieben sei. Man habe die beiden mit der Ambulanz ins Krankenhaus bringen müssen, um sie trennen zu können.
John, der später als Mitglied der Handelsmarine eine Beziehung mit einer Frau in Japan hatte, erlebte selber etwas Ähnliches: Einmal hätten sie beide «sehr lustvollen Sex» gehabt, als er sein Organ plötzlich nicht mehr habe zurückziehen können.
Sie hätten sich erst nach zwei, drei Minuten Gefummel und viel Gelächter wieder trennen können, und es habe weder ihm noch der Frau weh getan.
Der britische Arzt und Sexualexperte John Dean bezeichnete gegenüber der BBC beide Fälle als glaubhafte Schilderungen eines Penis captivus. «Wenn der Penis sich in der Vagina befindet, schwillt er immer mehr an. Beim Orgasmus ziehen sich bei der Frau die Muskeln des Beckenbodens rhythmisch zusammen, und das kann dazu führen, dass der Penis steckenbleibt und noch mehr anschwillt», erklärte Dean.
Schliesslich entspannten sich die Muskeln und das Blut könne wieder aus dem Penis abfliessen, so Dean. Dann könne der Mann sein Genital auch wieder aus der Vagina zurückziehen. Mehrere seiner Patienten hätten ihm solche Erlebnisse erzählt, wobei es sich kaum jemals um ein grosses Problem gehandelt habe.
Vor allem dauerten diese Probleme immer nur wenige Sekunden – die freilich den Beteiligten wie eine Ewigkeit vorkommen könnten, wie Dean einräumt.
Berichte von liebestollen Pärchen, die sich beim Sex aus eigener Kraft nicht mehr trennen konnten und deswegen ärztliche Hilfe benötigten, dürften aber definitiv ins Reich der Fabeln gehören. Zwar kann es durchaus vorkommen, dass eine Frau starke Scheidenkrämpfe bekommt – doch dieser sogenannte Vaginismus tritt meistens vor dem Geschlechtsverkehr auf und verhindert diesen.
Der Wissenschaftsredaktor der «Zeit», Christoph Drösser, hat bereits vor über zehn Jahren darauf hingewiesen, dass die angeblichen Fälle von Penis captivus fast immer mit ausserehelichem Sex verbunden sind. Seit dieser nicht mehr so skandalös sei, gebe es auch weniger entsprechende Berichte. Medizinisch dokumentierte Fälle gebe es überhaupt nicht, so Drösser.