Menschen, die wir als attraktiv wahrnehmen, halten wir tendenziell auch für intelligent, gesellig und vertrauenswürdig. Diese kognitive Verzerrung ist als Halo-Effekt bekannt, der besagt, dass wir von einem Merkmal einer Person auf weitere Eigenschaften schliessen, ohne dass dafür eine objektive Grundlage besteht. Falls die Verzerrung positiv ist, spricht man auch vom «Heiligenschein-Effekt» (englisch halo bedeutet «Heiligenschein»), bei einer negativen vom «Teufelshörner-Effekt».
Besonders gut ist der Halo-Effekt der physischen Attraktivität nachgewiesen. Und er ist umso stärker, je schneller wir ein Urteil über eine Person fällen. Der Halo-Effekt kann dazu führen, dass attraktive Personen bessere Schulnoten oder ein höheres Gehalt bekommen.
Der Halo-Effekt dürfte auch eine Rolle in den sozialen Medien spielen – mittlerweile verwenden viele Nutzerinnen und Nutzer dort einen Beautyfilter in ihren Apps, um ihre Gesichter im Sinne der gängigen Schönheitsideale zu optimieren. Schon länger befürchten Wissenschaftler, dass der Massentrend zu geschönten Fotos vor allem weibliche Jugendliche verunsichert, weil dadurch ein unrealistisches Körperideal um sich greift und echte Gesichter vergleichsweise unattraktiv wirken.
Ob und wie sich aber der Halo-Effekt in den sozialen Medien auswirkt, wurde bisher kaum untersucht. Die Non-Profit-Forschungsstiftung ELLIS (European Laboratory for Learning and Intelligent Systems) in Alicante hat nun gezeigt, dass der Halo-Effekt in der Tat auch bei Beautyfiltern wirksam ist.
In seiner Studie, die in «The Royal Society» erschienen ist, verwendete das Forschungsteam um die Informatikerin Nuria Oliver eine Stichprobe von 462 realen Gesichtsfotos und Daten von 2748 Testpersonen, um die Auswirkungen von Beautyfiltern auf die soziale Wahrnehmung und kognitive Verzerrungen zu untersuchen. Die Probanden bewerteten ihr «Bauchgefühl» bei einer zufälligen Auswahl von Original- und verschönerten Gesichtern, die von einer beliebten Beautyfilter-App verändert worden waren. Sie wussten dabei nicht, dass bei einigen Fotos Filter angewendet worden waren, und sie sahen nie dieselbe Person in beiden Varianten.
Das Ergebnis: Die Probanden stuften die Personen auf jenen Fotos, die mit Filtern verändert worden waren, deutlich als attraktiver ein. Die durchschnittliche Steigerung betrug 1 Punkt auf der 7-Punkte-Skala, die für die Bewertung verwendet wurde. Insgesamt bewerteten die Probanden nicht weniger als 96 Prozent der mit Filter veränderten Fotos als attraktiver und kein einziges als weniger attraktiv.
So weit, so erwartbar. Die Probanden bewerteten die Personen auf den veränderten Fotos aber nicht nur durchgängig als attraktiver, sondern nahmen sie auch als intelligenter, vertrauenswürdiger, glücklicher und geselliger wahr. Insofern bekräftigen die Resultate der Studie den Halo-Effekt auch bei Beautyfiltern. Hierbei gab es aber Ausnahmen, wie Co-Autor Aditya Gulati betont: «Anders als bei der Attraktivität wurden jedoch nicht alle Personen als intelligenter oder vertrauenswürdiger eingestuft, aber es gab dennoch einen statistisch signifikanten Anstieg über die gesamte Stichprobe unserer Studie.»
Geschlecht und Alter der abgebildeten Personen beeinflussten die Wahrnehmung – jüngere Personen und Frauen wurden als attraktiver wahrgenommen als ältere Personen und Männer, wobei Frauen im Hinblick auf Attraktivität signifikant mehr von den Filtern profitierten. Die ethnische Zugehörigkeit beeinflusste hingegen den Effekt der Filter nicht und hatte auch keine Auswirkungen auf die wahrgenommene Attraktivität.
Als aufschlussreich erwies sich allerdings der Vergleich zwischen der Bewertung von Frauen und jener von Männern: Fotos von Frauen erhielten höhere Attraktivitätswerte als die von Männern, sowohl vor als auch nach Verwendung der Filter. Zudem erhielten sie auch höhere Werte für Zuverlässigkeit, soziale Kompetenz und Glück, was mit dem Halo-Effekt in Einklang steht. Frauen erhielten jedoch niedrigere Intelligenzwerte als Männer. «Das ist überraschend. Es deutet darauf hin, dass ein Geschlechterstereotyp den Halo-Effekt überlagert», stellt Gulati fest.
Nicht genug damit: Nach dem Einsatz von Filtern vergrösserte sich die Kluft zwischen Männern und Frauen in der Bewertung ihrer Intelligenz noch zusätzlich. Es scheint also, dass Filter nicht nur bestehende geschlechtsspezifische Vorurteile bestätigen, sondern diese auch noch verstärken. Gulati fügt an: «Wichtig ist auch, dass Beautyfilter hauptsächlich von Frauen genutzt werden, was dieses Ergebnis noch beunruhigender macht.»
Die Auswirkungen der Filter waren überdies nicht für alle gleich stark. Menschen mittleren Alters und Frauen profitierten mehr in Bezug auf ihre Attraktivität, während Männer mehr hinsichtlich ihrer Intelligenz profitierten. Zudem zeigte sich, dass es bei der Bewertung der Attraktivität und anderer Eigenschaften von Männern und Frauen einen Unterschied gab, je nachdem, ob die Fotos von Männern oder Frauen betrachtet wurden. Männer bewerteten die Attraktivität insgesamt schlechter als Frauen – sie liessen sich indes stärker von den Filtern beeinflussen.
Freilich scheint der Effekt der Beautyfilter beschränkt zu sein. Wie Gulati ausführt: «Bei bestimmten Merkmalen, besonders bei der Intelligenz, scheint es eine Grenze dafür zu geben, als wie viel intelligenter jemand mit zunehmender Attraktivität wahrgenommen werden kann. Eine Steigerung der Attraktivität von einer 5 auf eine 6 führte zu einem geringeren Anstieg der Intelligenz als eine Steigerung von einer 2 auf eine 3. Dies galt nicht für andere Merkmale, wie etwa das Sozialverhalten. Hier gab es keine Grenze.» Einen vergleichbaren «Sättigungseffekt» wie bei der Intelligenz gab es auch bei der Wahrnehmung der Vertrauenswürdigkeit.
Dies bedeute, dass die Korrelation zwischen Attraktivität und Intelligenz bei sehr attraktiven Menschen schwächer werde. «Da Filter die Attraktivität für fast alle Menschen erhöhen, könnten sie also möglicherweise eingesetzt werden, um die Stärke des Halo-Effekts zu verringern», spekuliert Gulati. Gleichwohl befürworte das Forscherteam den Einsatz von Beautyfiltern nicht, um den Halo-Effekt zu vermindern, stellt Gulati klar. Deren Verwendung habe nämlich viele negative Folgen, namentlich die Verstärkung von Geschlechterstereotypen.
Für das Forschungsteam zeigen die Ergebnisse der Studie, dass Bedarf an regulatorischen Richtlinien und einer Sensibilisierung der Öffentlichkeit für den Einsatz solcher KI-Technologien in sozialen Medien besteht. (dhr)
Gruss
Chorche, hat mal für Büromöbel gemodelt