«Mama Bear» arbeitet Tag und Nacht, sieben Tage in der Woche. Unermüdlich entwickelt der autonome KI-Roboter selbstständig Stossabsorber aus Kunststoff, stellt sie per 3D-Druck her, testet sie, vermisst sie, wirft sie weg – und beginnt von Neuem mit der Entwicklung des nächsten Teststücks. Und Mama Bear ist erfolgreich – der bisher beste Stossabsorber, den der KI-Roboter gefertigt hat, ist besser als jeder andere, der bisher von menschlichen Ingenieuren hergestellt wurde.
Module zur Absorption von Stössen sind vielfältig verwendbar. Sie schützen etwa empfindliche Elektronik, die um die halbe Welt verschickt wird. Stossstangen für Autos oder Knieschoner und Handgelenkschützer für Sportler – alle diese Dinge sind dazu da, Energie effizient zu absorbieren, um Schäden zu verhindern oder zu minimieren. Damit sie dies optimal tun, dürfen diese Strukturen nicht zu fest sein, da sie sonst das beschädigen, was sie schützen sollten. Zugleich müssen sie aber fest genug sein, um Stösse absorbieren zu können.
Die bisher beste Struktur konnte etwa 71 Prozent der Energie absorbieren, doch Mama Bear hat mittlerweile einen Stossabsorber entwickelt und gefertigt, der zu 75 Prozent energieabsorbierend ist. Das Modul sieht nicht so aus, wie die Ingenieure erwartet hatten – es ist höher und schmaler als die ersten Entwürfe und besteht aus vier Spitzen, die wie Blütenblätter geformt sind. Wie hat der KI-Roboter es geschafft, dieses Rekordmodul zu designen?
Mama Bear – das Akronym steht für das Wortungetüm «Mechanics of Additively Manufactured Architectures Bayesian Experimental Autonomous Researcher» – wurde von einem Team des College of Engineering der Boston University entwickelt. Das Projekt wurde von Keith Brown, Professor für Maschinenbau, im Jahr 2018 in seinem Labor lanciert; seit 2021 besteht die Mission von Mama Bear darin, die optimale Form für einen Stossabsorber zu finden.
Der KI-Roboter geht dabei nach dem Konzept von Versuch und Irrtum vor. Jedes Teil, das er mit einem 3d-Drucker herstellt, vermisst er akribisch und speichert die Daten zu dessen Form und Grösse. Danach platziert Mama Bear das Modul auf eine flache Metalloberfläche und presst sie mit einem Druck zusammen, der «dem eines ausgewachsenen Araberpferdes entspricht, das auf einer Münze steht», wie es eine Medienmitteilung der Boston University formuliert. Gemäss Berechnungen der Website Newatlas.com entspricht dies einem Druck von rund 86 bar.
Mama Bear lässt daraufhin das zerdrückte Modul in eine Box fallen und säubert die Metallplatte. Zuvor misst der Roboter jedoch, wie viel Energie die geplättete Struktur absorbiert und wie sich ihre Form nach dem Zusammendrücken verändert hat. Auch diese Daten werden in der umfangreichen Datenbank gespeichert. Der KI-Roboter verändert dann mithilfe der gespeicherten Daten und seines Algorithmus Design und Abmessungen des Moduls – in der Regel nur geringfügig –, bevor er auch dieses ausdruckt und testet.
Bisher hat Mama Bear diesen Zyklus mehr als 25'000 Mal durchlaufen. Der Stossabsorber hat sich dabei deutlich verändert, wie einige Beispiele zeigen, die in der Medienmitteilung der Boston University präsentiert werden. Und doch hat der KI-Roboter noch kaum an der Oberfläche dessen gekratzt, was möglich sein könnte: Schätzungsweise gibt es mehr als eine Billion möglicher Designs, die auf der Suche nach der effizientesten Struktur getestet werden könnten.
Die Resultate der Testreihe, die zum Rekord-Modul führte, sind im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht worden. Und bereits fliessen sie in eine erste Anwendung in der Praxis ein: der Entwicklung neuer Helmpolsterungen für Soldaten der US-Armee. Die Helme wurden im Feld getestet, um zu gewährleisten, dass die zum Patent angemeldete Polsterung bequem ist und ausreichend Schutz vor Stössen bietet. Die dafür verwendete 3D-Struktur unterscheidet sich allerdings vom Rekord-Modul; sie ist in der Mitte weicher und insgesamt kürzer, um den Tragekomfort zu erhöhen.
Brown arbeitet übrigens nicht nur an Mama Bear, sondern an weiteren Projekten, etwa «Panda Bear» («Panda» steht für «Polymer Analysis and Discovery Array»). Bei Panda Bear geht es darum, Tausende von dünnen Polymeren zu testen, um dasjenige zu finden, das am besten in einer Batterie funktioniert. (dhr)
Die Chatbots und bildgenerativen AI in Ehren, aber das sind Spielereien im Gegensatz zu diesem Roboter.