Das giftige Erbe der «Exxon Valdez»
Kurz nach Mitternacht in der Nacht vom 23. auf den 24. März 1989 steuerte der übermüdete Dritte Offizier der «Exxon Valdez» – der Kapitän schlief derweil in der Kajüte seinen Rausch aus – den 300 Meter langen Öltanker auf das Bligh-Riff im Prinz-William-Sund vor der Küste Südalaskas. Elf Tanks wurden aufgerissen, rund 40'000 Tonnen Rohöl liefen aus und verseuchten über 2000 Kilometer Küste. Hunderttausende von Fischen und Seevögeln gingen ein, Seeotter, Robben, Schwertwale und andere Tiere verendeten elendiglich. Der Fischfang brach komplett ein.
Es war aber weder die Menge des in die Umwelt gelangten Rohöls noch die Anzahl der toten Tiere, die aus der Havarie einen der schlimmsten Ölunfälle der Geschichte machten. Fatal war vor allem, dass die Ölpest ein weitgehend unberührtes Gebiet mit einem ausserordentlich empfindlichen Ökosystem traf – und zwar in einer arktischen Umgebung, wo sich das Öl aufgrund der niedrigen Temperaturen nur langsam zersetzt.
Toxische Stoffe in der Nahrungskette
An den Spätfolgen leiden Tier und Mensch: Manche Tierarten, zum Beispiel die Heringe, erholten sich nicht mehr von der Katastrophe. Die toxischen Stoffe reichern sich zudem entlang der Nahrungskette an. Von den Arbeitern, die damals die vom Ölschlamm verdreckten Küsten mit Chemikalien säuberten, sind heute viele krank: Lungenprobleme, Nervenkrankheiten und andere Leiden machen ihnen zu schaffen.
2010 waren immer noch etwa 75'000 Liter an Ölrückständen im Prinz-William-Sund vorhanden. Eigentlich hätten sie schon längst abgebaut und weggewaschen sein sollen. Der Grund dafür liegt offenbar in einer speziellen Schichtung des Bodens, wie Forscher im selben Jahr im Fachmagazin «Nature Geoscience» berichteten. Das Öl sei in eine kompakte Sandschicht gelangt, in der Wasser sich nur sehr langsam bewege. Dadurch gelange kaum Sauerstoff, den die ölzersetzenden Mikroorganismen benötigen, in den Boden. Zudem hielten Kapillarkräfte das Öl fest.
Verzweifelte Reinigungsversuche
Dass das Öl überhaupt so tief in den Boden eindringen konnte, liegt unter anderem auch daran, dass es nach dem Unglück so lange dauerte, bis Hilfe eintraf und Massnahmen ergriffen wurden – zum Teil ungeeignete: Verzweifelte Versuche, die ölverschmierten Felsen mit heissem Wasser und Seife zu reinigen, nutzten nichts und richteten mehr Schaden an. Weniger als zehn Prozent der ausgelaufenen Menge wurde eingesammelt. Über Wochen hinweg hatten die Gezeiten so den Ölschlamm an der Küste hin und her bewegt.
Klimatische Verhältnisse, Bodenbeschaffenheit und zu spät einsetzende Hilfsmassnahmen wirkten so zusammen, dass die Spätfolgen der Katastrophe in der Subarktis besonders lange spürbar blieben – nämlich bis heute, ein Vierteljahrhundert nach dem Unglück.
Auch andere Ölunfälle zogen gravierende Spätfolgen nach sich – während bei wieder anderen das ausgelaufene Öl erstaunlich schnell abgebaut wurde. Hier einige Beispiele:
«Amoco Cadiz» (1978)
Die Natur regenerierte sich erstaunlich schnell: Die felsige, stürmische Küste der Bretagne verfügt über eine hohe Selbstreinigungskraft (die Schäden waren in den Buchten und Flussmündungen gravierender). Die Küsten waren schon ein Jahr nach dem Unfall wieder sauber. Doch noch Jahre später fand man Fische mit Geschwüren. Der Selbstreinigungsprozess dauerte gemäss französischen Forschern etwa 13 Jahre.
1998 hatten sich Fauna und Flora dann vollständig von der Verseuchung erholt. Keine Tierart starb aus. Dagegen gab es dort bleibende Schäden, wo Helfer mit dem Dreck bis zu einem halben Meter Marschland abgetragen hatten.
Bild: AP NY
«Ixtoc I» (1979)
«Prestige» (2001)
Die Folgen des Unglücks sind noch nicht überwunden. Bei schwerer See werden manchmal noch vom Sand bedeckte Ölreste an die Oberfläche gespült. Seit 2002 soll der Fischfang um bis zu 40 Prozent zurückgegangen sein. 2006 bildeten sich neue Ölteppiche an der Unglücksstelle; nach wie vor besteht die Gefahr, dass das restliche Öl im Wrack auslaufen könnte.
Bild: AP AVION POLMAR II
«Deepwater Horizon» (2010)
19 Monate nach dem Unfall war gemäss einer Studie rund die Hälfte des Öls verdunstet oder von Mikroorganismen abgebaut. Die andere Hälfte bildet langlebige Rückstände, die auf den Meeresgrund sinken oder ans Ufer geschwemmt werden. Zudem steckt auch in den Sedimenten und in den Böden der Salzwiesen noch Öl, das bei heftigen Stürmen ausgewaschen und freigesetzt wird.
Es gibt starke Hinweise darauf, dass nicht nur das Öl zu Schäden geführt hat, sondern auch die 6,8 Millionen Liter Dispergiermittel, die von BP ausgebracht wurden, um den Abbau des Öls zu beschleunigen. Hilfskräfte litten danach an Hautirritationen, neurologischen Schädigungen und Problemen mit der Lunge.
Bild: AP