Ganze Städte in Trümmern – stärkstes Erdbeben seit 1980 erschüttert Italien
Italien kommt nicht zur Ruhe: Wieder bebt die Erde, diesmal ist es eines der stärksten Beben in dem Land seit Jahrzehnten. «Ich sehe eine Rauchsäule, es ist ein Desaster, ein Desaster», sagt der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde.
Berichte über Todesopfer lagen bis zum Sonntagnachmittag nicht vor, auch gab es keine Vermisstenmeldungen. «Es wird niemand gesucht», sagte der Chef des italienischen Zivilschutzes, Fabrizio Curcio. Mehrere Menschen wurden lebend aus Trümmern geborgen.
Das Beben ereignete sich morgens gegen 7.40 Uhr und hatte eine Stärke von 6,5, wie das italienische Institut für Geophysik und Vulkanologie mitteilten. Das Epizentrum lag demnach sechs Kilometer nördlich von Norcia. Die Erschütterungen waren auch in Rom, Venedig und Florenz zu spüren. Die Region war nach vorherigen Erdbeben vom Mittwoch weitgehend geräumt worden.
Historisches Zentrum von Norcia zerstört
Das italienische Fernsehen zeigte Bilder aus Norcia, das bei den Beben zuvor verschont geblieben war. Jetzt wurden in dem 5000-Einwohner-Ort mehrere Gebäude zerstört, darunter die Benedikt-Basilika, mit deren Bau im 14. Jahrhundert begonnen worden war.
Damage in #Norcia #Italy after 6.6M earthquake - @PaoloDiGiovann1 pic.twitter.com/oLg3wdNG93
— Amichai Stein (@AmichaiStein1) 30. Oktober 2016
Das Gotteshaus ist dem Heiligen Benedikt gewidmet, dem 480 in Norcia geborenen Gründer des Benediktinerordens. Auf Fernsehbildern waren Mönche zu sehen, die vor einer Statue des Heiligen Benedikt zum Gebet niederknieten.
Der ganze Stadtkern von Norcia wurde wegen Einsturzgefahr abgeriegelt. «Ganze Städte sind in Trümmern», berichteten Zivilschutz-Sprecher. Gerechnet wird mit tausenden Obdachlosen. «In diesem schwierigen Moment müssen wir alle Zusammenhalt bewahren» sagte der italienische Präsident Sergio Mattarella, der den Betroffenen sein Beileid ausdrückte.
Auch die Kathedrale von Santa Maria Argentea stürzte ein. Lediglich Teile der Fassaden blieben erhalten.
In #Norcia firefighters are evacuating nuns from the church.#Terremoto #earthquake pic.twitter.com/DF18hwoIJK
— Middle Ages Dictator (@gabrix_90) 30. Oktober 2016
Die 5000 Seelen-Gemeinde Norcia, die im Herzen Umbriens nahe den Sybillinischen Bergen liegt, war bereits 1979 von einem Erdbeben betroffen, bei dem fünf Personen ums Leben kamen und 2000 Menschen obdachlos wurden. Langwierige Restaurationsarbeiten seien durch die Erdstösse innerhalb von Sekunden vernichtet worden, berichteten die Behörden.
Die Ursprünge Norcias gehen auf die Zeit der Sabiner zurück. Die Ortschaft wurde im 3. Jahrhundert vor Christus von den Römern erobert. Im Jahr 572 wurde Norcia von den Langobarden, deren Zentrum sich im nahen Spoleto befand, zerstört.
Ihnen folgten Byzantiner und Sarazenen. Norcia wurde 890 von der Bevölkerung verlassen. Erst langsam entwickelte sich danach wieder das bürgerliche Leben, bis sich Norcia um 1200 als Gemeinde konstituierte. Es entwickelte sich zu einem regionalen Zentrum und Handelsplatz. Gleichzeitig wurde die heute noch erhaltene Stadtmauer errichtet.
Neben der Stadtmauer aus dem 14. Jahrhundert sind vor allem die Gebäude um die Piazza San Benedetto von besonderer Bedeutung. Hier standen die Basilika des Heiligen Benedikt, errichtet um 1200, das Rathaus (um 1300) und die im 16. Jahrhundert erbaute Castellina, ein festungsartiger Stadtpalast.
Neben der Kathedrale Santa Maria Argentea gehört die Kirche des heiligen Franziskus (14. Jahrhundert) zu den herausragenden Kirchenbauten der Stadt.
1484 kam die Stadt nach heftigem Widerstand unter die Regierung des Heiligen Stuhls, bis sich am 18. September 1860 in einer Volksabstimmung eine grosse Mehrheit der Bevölkerung für den Beitritt zum Königreich Italien aussprach.
Norcia ist über Italien hinaus für seine Schwarzen Trüffel und Schweine-Würste bekannt. Die haltbaren Würste aus Norcia wurden früher von fliegenden Händlern in ganz Mittelitalien verkauft. Daher werden noch heute Feinkostläden in Italien als Norcineria bezeichnet. (sda/apa)
Das Beben vom Sonntagmorgen hatte auch die Städte Castelsantangelo, Preci und Visso heimgesucht. Die meisten Einwohner hatten ihre Wohnungen bereits nach den vorausgegangenen Erdbeben verlassen, sie übernachteten in ihren Autos oder an der Küste.
Auch in Rom wackelte es
Und auch in Rom wackelte es. Bürgermeisterin Virginia Raggi schrieb auf ihrer Facebook-Seite: «Augenscheinlich hat das starke Erdbeben (...) keine schweren Schäden in Rom angerichtet.» Dennoch sollten die dortigen Schulen am Montag auf ihre Anordnung hin geschlossen bleiben. Die Gebäude würden von Fachleuten untersucht.
Vorübergehend wurden am Sonntag die zwei zentralen Metrolinien A und B gestoppt. Mehrere Gebäude wurden überprüft und teils geschlossen - darunter auch zwei Basiliken. Zwei Strassen wurden gesperrt. Auch der Petersdom im Vatikan wurde auf Schäden überprüft, es wurden aber keine festgestellt.
Renzi will alles wieder aufbauen
Der italienische Regierungschef Matteo Renzi warnte während einer kurzen Pressekonferenz in Rom vor «Resignation». Er fügte hinzu: «Wir werden alles wiederaufbauen: die Häuser, die Kirchen, die Geschäfte.» Für Montag berief er eine Sondersitzung seines Kabinetts ein. Papst Franziskus erklärte, er werde für die Bewohner der Erdbebengebiete und die Opfer beten.
Das Beben vom Sonntagmorgen war deutlich stärker als die beiden Erdstösse, die sich vor vier Tagen in Mittelitalien ereignet hatten. «Alles ist zusammengebrochen», sagte der Bürgermeister des Bergdorfes Ussita, Marco Rinaldi. «Ich habe im Auto geschlafen, ich habe gesehen, wie sich die Hölle auftat.»
Zwei kurz aufeinanderfolgende Erdbeben hatten am Mittwochabend die Region Marken erschüttert, das Epizentrum lag nahe der Ortschaft Visso. Das erste Beben hatte eine Stärke von 5,5, das zweite war mit 6,1 deutlich stärker. Nach Angaben der Behörden gab es keine Schwerverletzten oder Toten - vermutlich, weil gleich nach dem ersten Beben viele Menschen ins Freie gelaufen waren.
#Terremoto Il sindaco di #Ussita 'Ho visto l'inferno' https://t.co/tlzUJ8CoZG pic.twitter.com/DDPVFstLZ9
— Agenzia ANSA (@Agenzia_Ansa) 30. Oktober 2016
Zahlreiche Beben seit August
Bei einem Erdbeben am 24. August, das sich etwa 60 Kilometer weiter südlich rund um die Ortschaft Amatrice ereignet hatte, waren fast 300 Menschen ums Leben gekommen.
Ancora crollo nelle #Marche dopo il #terremoto. Questa è #Tolentino pochi minuti fa pic.twitter.com/2gCnvl8WB3
— Stefano Pagliarini (@PagliariniSte) 30. Oktober 2016
Mi è arrivata ora questa foto da Arquata!#terremoto pic.twitter.com/1HUpIIfZYp
— Aureliano Ferri (@AurelianoFerri) 30. Oktober 2016
Afrikanische gegen eurasische Platte
Das mittlere Italien ist eine derjenigen Regionen in Europa, die besonders häufig von schweren Erdstössen heimgesucht werden. Immer wieder trifft es die bergige Gegend in den Abruzzen östlich von Rom.
Grund für die Beben sind riesige Spannungen, die sich im Untergrund aufbauen. Denn der Adriatische Sporn - ein Anhängsel der afrikanischen Erdplatte - reibt sich hier an der eurasischen Platte. Auch deshalb haben sich Italiens Mittelgebirge aufgefaltet. (sda/afp/dpa/apa/reu)
hot/sda/dpa/apa)
