Gebannt blickt die Schweizer Wirtschaft heute nach Bundesbern, wo es zum grossen Showdown kommt: Erstmals berät der Nationalrat die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative (MEI).
Für hiesige Unternehmen kann das weitreichende Folgen haben. Und das ist nicht ihr einziges Problem im Rahmen der Zuwanderungsdebatte. Bereits heute machen ihnen die verschärften Regeln für Angehörige aus Drittstaaten wie den USA oder asiatischen Ländern das Leben schwer.
Konkret: Für diese hochqualifizierten Arbeitskräfte gibt es in diesem Jahr schlicht keine Aufenthaltsbewilligungen mehr. Seit letzter Woche sind die Kontingente endgültig erschöpft. Auch die Reserve des Bundes ist aufgebraucht.
Das bleibt nicht ohne Folgen, wie das Beispiel des Wirtschaftsstandorts Basel zeigt: So musste der Pharmakonzern Novartis bereits Ausbildungsprogramme ins Ausland verlegen. Und es sei mit weiteren Problemen und Verzögerungen zu rechnen, erklärt Konzernsprecherin Sileia Urech.
Auch Roche sei auf Mitarbeiter aus Drittstaaten angewiesen, betont Sprecherin Ulrike Engels-Lange. In der Schweiz wie in Europa kann die Basler Pharma die dringend benötigten hochqualifizierten Arbeitskräfte oft schlicht nicht finden. Gegenüber der «Schweiz am Sonntag» drohte die IT-Vorzeigefirma Magnolia sogar damit, ins grenznahe Ausland abzuwandern.
Aufgeschreckt durch das Ja zur SVP-Initiative hatte der Bundesrat 2014 beschlossen, die Zahl der Kontingente deutlich zu senken. So wurde die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen von 3500 auf 2500 zusammengestrichen, bei den Kurzarbeitsbewilligungen von 5000 auf 4000.
Dabei erhält jeder Kanton Anfang Jahr ein fixes Kontingent. Daneben behält der Bund die Hälfte bei sich. Gehen bei einem Kanton die Kontingente zur Neige, kann er zusätzliche Arbeitsbewilligungen beantragen. Gerade die wichtigen Wirtschaftskantone werden jeweils schon früh beim Bund vorstellig, um Spezialisten aus der Informatikbranche, der Pharmaindustrie oder der Finanzwirtschaft rekrutieren zu können.
Letztes Jahr reichte das noch knapp, weil die von 2014 übrig gebliebenen Kontingente übernommen werden konnten. Dieses Jahr ist das anders:
Nun aber sind auch die Kontingente des Bundes aufgebraucht. Nur bei den Kurzaufenthaltsbewilligungen gibt es noch 272 Stück – für die ganze Schweiz.
Das sei «alarmierend», sagt der Basler Regierungsrat Christoph Brutschin, der auch die Volkswirtschaftsdirektorenkonferenz der Kantone präsidiert. «Wir müssen nun schauen, wie wir uns durchhangeln.» Die Firmen zeigten sich ohnehin schon länger zurückhaltend. «Aber das ist eigentlich nicht im Sinne des Wirtschaftsstandorts.»
Beunruhigt zeigt sich auch die Politik: «Der Bundesrat muss die Kontingente wieder den Bedürfnissen der Wirtschaft anpassen», so der Zürcher FDP-Nationalrat Hans-Ulrich Bigler. Für den Direktor des Schweizer Gewerbeverbands geht es um die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Firmen. Zahlreiche Forschungs- und Entwicklungsprojekte seien so gefährdet.
«Ich erwarte, dass der Bundesrat die Kontingente wieder erhöht», sagt auch CVP-Präsident Gerhard Pfister. Und für SVP-Fraktionschef Adrian Amstutz sind die Massnahmen des Bundesrats «eine Strafaktion am falschen Objekt». Die Schweiz brauche die besten Spezialisten aus aller Welt und nicht einfach eine unkontrollierte Massenzuwanderung aus der EU. Kritisch ist auch die Baselbieter SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer: «Bisher aber ist der Bundesrat stur geblieben», sagt die Präsidentin der Wirtschaftskommission.
Tatsächlich: Bereits 2015 hatten die Kantone bei Justizministerin Simonetta Sommaruga angeklopft – vergeblich. Der Bundesrat argumentierte, dass eine Erhöhung der Kontingente «dem Ziel einer besseren Ausschöpfung des inländischen Arbeitskräftepotenzials zuwiderlaufen würde». Wie jedes Jahr will er die Kontingente aber auch in diesem Herbst neu festlegen.
In seiner Antwort auf einen Vorstoss der Baselbieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter macht der Bundesrat aber keine Anstalten, etwas ändern zu wollen. Vielmehr betont er, die Wirtschaft könne das nötige Personal ja im Inland oder der EU ohne Einschränkungen rekrutieren. «Die Firmen suchen das Personal in Drittstaaten, weil sie hier eben nicht fündig werden», kritisiert Schneider-Schneiter. Darauf müsse nun auch der Bundesrat reagieren. «Die Notwendigkeit, zu handeln, ist heute offensichtlich.»