International
Türkei

Erdogans lässt 45 Zeitungen und 16 TV-Sender schliessen

Turkish President Tayyip Erdogan attends an interview with Reuters at the Presidential Palace in Ankara, Turkey, July 21, 2016. REUTERS/Umit Bektas
Präsident Erdogan liess zahlreiche Medien schliessen.Bild: UMIT BEKTAS/REUTERS

Erdogan lässt 45 Zeitungen und 16 TV-Sender schliessen

Die türkische Regierung hat am Mittwochabend als weitere Massnahme nach dem gescheiterten Putschversuch die Schliessung von Dutzenden Zeitungen, Fernseh- und Radiosendern sowie Nachrichtenagenturen angeordnet. Zuvor erliess sie Haftbefehle gegen weitere Journalisten.
27.07.2016, 22:1728.07.2016, 07:34
Mehr «International»

Laut dem im Amtsblatt veröffentlichten Regierungsdekret werden 45 Zeitungen, 16 Fernsehsendern, 3 Nachrichtenagenturen, 23 Radiosender, 15 Zeitschriften und 29 Verlagshäuser geschlossen. Die Namen der betroffenen Medien wurden nicht veröffentlicht.

Laut dem Sender CNN-Türk sind unter anderen die Nachrichtenagentur Cihan, der pro-kurdische Sender IMC TV und die oppositionelle Tageszeitung «Taraf» betroffen.

Am Mittwoch erliess die Justiz zudem Haftbefehle gegen 47 frühere Mitarbeiter der Zeitung «Zaman». Das Blatt war bis zur staatlichen Übernahme das Flaggschiff der Bewegung von Prediger Fethullah Gülen, den Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Putschversuch verantwortlich macht.

Wissen über Gülen-Netzwerk

Als die Zeitung im März unter Zwangsverwaltung gestellt wurde, drangen Polizisten in die Redaktionsräume ein, Chefredaktor Abdülhamit Bilici wurde gefeuert. Zwei Tage später erschien «Zaman» mit ausschliesslich regierungsfreundlichen Artikeln, von der Titelseite lächelte Präsident Erdogan.

Ein Regierungsmitarbeiter rechtfertigte die Haftbefehle gegen die Ex-«Zaman»-Mitarbeiter damit, dass die Gesuchten detaillierte Kenntnisse über das Netzwerk um Gülen hätten. Dieses Wissen könne von grossem Wert für die Ermittlungen sein, sagte der Mann, der nicht namentlich genannt werden wollte.

Journalist gather outside a court building to support their colleague journalist Bulent Mumay, who was detained Tuesday in connection with the investigation launched into the failed coup attempt in Tu ...
Türkische Journalisten solidarisieren sich mit einem inhaftierten Kollegen.Bild: Petros Karadjias/AP/KEYSTONE

Allerdings sind auch Haftbefehle gegen linksorientierte Journalisten wie Sahin Alpay ausgestellt worden. Diese Menschen können aufgrund ihrer Weltsicht kaum der religiös geprägten Gülen-Bewegung zugerechnet werden. Damit wuchsen Sorgen, Präsident Erdogan wolle die Opposition ausschalten.

Gülen selbst, der in den USA lebt und jede Verwicklung in den Putsch von sich weist, forderte am Dienstag die US-Regierung auf, sich dem türkischen Auslieferungsgesuch zu widersetzen. «Der türkische Präsident erpresst die Vereinigten Staaten», schrieb Gülen in einem Beitrag für die «New York Times».

Generäle entlassen

Auch gegen mutmassliche Putschisten in der Armee geht Ankara weiter vor: Wegen ihrer mutmasslichen Verwicklung in den Putschversuch wurden 149 Generäle und Admiräle unehrenhaft aus der Armee entlassen, wie ein türkischer Behördenvertreter am Abend mitteilte.

Demnach gehörten 87 der Geschassten dem Heer, 30 der Luftwaffe und 32 der Marine an. Laut dem Regierungsdekret wurden zudem 1099 Offiziere entlassen.

Insgesamt wurden nach dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli mehr als 15'000 Menschen festgenommen, darunter viele Armeeangehörige, mindestens 8000 sind immer noch in Gewahrsam.

Besorgter Ban Ki Moon

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon äusserte sich besorgt über die Verhaftungswelle in der Türkei. In einem Telefongespräch mit dem türkischen Aussenminister Mevlut Cavusoglu sagte Ban laut einem Sprecher am Mittwoch, es müssten schnell «glaubhafte Beweise» vorgelegt werden, damit der Status der Festgenommenen jeweils vor Gericht geklärt werden könne.

In dem Gespräch bezog sich Ban demnach auch auf «Besorgnis erregende Berichte über Misshandlungen» einiger Festgenommener.

Seit dem Putschversuch vor knapp zwei Wochen wurden nach früheren Angaben über 60'000 Militärangehörige, Beamte, Lehrer und andere Staatsbedienstete entlassen, versetzt oder festgenommen. (sda/reu/afp/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
38 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Scaros_2
28.07.2016 00:51registriert Juni 2015
Ich mag mich noch an unseren Geschichtsunterricht errinnern und eine Frage einer Schülerin damals war: "Wie konnte Hitler mit all dem durchkommen, seiner Ideologie, dem Judenhass etc. und das ganz Europa zuschaute.

Heute kann ein Lehrer schlicht sagen: Schau dir die Türkei an und verstehe. Der Hass gegen Güllenahänger (Ideologie), den Hass gegen Kurden (Analog Juden). Die Geschichte wiederholt sich und die Welt schaut wieder zu und hat nichts gelernt. Dumme Welt.
1143
Melden
Zum Kommentar
avatar
Blutgrätscher
27.07.2016 23:20registriert Juli 2016
"die Türkei ist ein demokratischer Rechtsstaat"
- Volkan Karagöz, Türkischer Botschafter in der schweiz, vor ein paar Tagen.

Hmmmm...ok.
1081
Melden
Zum Kommentar
avatar
mxvds
27.07.2016 23:01registriert Februar 2014
Es scheint als wäre der Reichtagsbrand 2.0 geglückt.


... und die ganze Welt schaut wieder einmal zu.
882
Melden
Zum Kommentar
38
WHO verlängert Verhandlungen über weltweites Pandemie-Abkommen

Bei den Verhandlungen über ein internationales Abkommen zur Vorbeugung von Pandemien ist es am Donnerstag zu keinem Durchbruch gekommen. Die 194 WHO-Mitgliedstaaten beschlossen nach zehn Tagen der neunten Verhandlungsrunde in Genf, eine weitere Sitzung anzusetzen.

Zur Story