
Bundesrat Johann Schneider-Ammann nimmt Stellung zum SNB-Entscheid.Bild: KEYSTONE
Kommentar
Die Nationalbank hat die Wirtschaft mit der Aufhebung des Euro-Mindestkurses in Turbulenzen gestürzt. Dies erhöht die Chancen, dass der bilaterale Weg erhalten bleibt. Zu einem hohen Preis.
17.01.2015, 09:0318.01.2015, 12:10
Der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ist am Donnerstag ein Coup gelungen. Mit ihrem Entscheid, den Mindestkurs von 1.20 Franken pro Euro aufzuheben, hat sie ausnahmslos alle überrascht, auch den Bundesrat. Er sei von SNB-Präsident Thomas Jordan kurz vor der Öffentlichkeit informiert worden, sagte Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann vor den Medien. Nun seien Wirtschaft und Politik gefordert: Es sei noch wichtiger, «die bilateralen Verträge mit der EU zu sichern».
Die Zukunft des bilateralen Weges ist eine der grossen Herausforderungen der Schweizer Politik. Nach dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative vor einem Jahr ist ungewiss, ob er in seiner heutigen Form erhalten werden kann.
Die Ablösung des Frankens vom Euro könnte paradoxerweise dazu beitragen, die Bilateralen zu retten. Sie stürzt die Schweizer Wirtschaft in Turbulenzen. Eine höhere Arbeitslosigkeit scheint programmiert, sogar eine Rezession ist nicht auszuschliessen. Dies könnte die Lust auf Abenteuer in Form einer Kündigung der Bilateralen dämpfen.

An der Börse kam es zu einem Minicrash.Bild: KEYSTONE
Der Euro-Mindestkurs war eine zweischneidige Angelegenheit. Er bescherte der Wirtschaft, namentlich der Exportindustrie, stabile Verhältnisse. Am Donnerstag fiel häufig der Begriff «Planungssicherheit». Womit ungewollt der wunde Punkt getroffen wurde: Es handelte sich letztlich um eine planwirtschaftliche Massnahme. Das Finanzportal Inside Paradeplatz spricht vom «süssen Gift der SNB», die Schweiz sei in einen «mit Valium versüssten Tiefschlaf» versetzt worden.
Die Schweiz muss sich glücklich schätzen, wenn sie die Parität von 1:1 zwischen Franken und Euro halten kann. Eine Rückkehr zu einem Kurs von 1.20 Franken scheint illusorisch.
Nun erfolgte das brutale Erwachen. Der Eurokurs sauste in die Tiefe, die Börse erlebte am «schwarzen Donnerstag» einen Minicrash, der sich am Freitag ungebremst fortsetzte. Die angekündigte Verschärfung der Negativzinsen scheint die Märkte kaum zu beeindrucken. Sie wirkt wie eine Verzweiflungstat: Die Nationalbank hat den Staudamm gesprengt und wirft nun einige Felsbrocken in die Flut in der vagen Hoffnung, sie damit bremsen zu können.
Das Pfeifen im Walde
Haben die Währungshüter mit einer derart heftigen Reaktion gerechnet? Einige Aussagen von SNB-Präsident Thomas Jordan an der Medienkonferenz vom Donnerstag wirken wie das Pfeifen im Walde. Die Wirtschaft habe die Phase mit dem Mindestkurs genutzt, «um sich auf die neue Situation einzustellen». Den Crash von Euro und Börsen bezeichnete er als starkes Überschiessen: «Nach den ersten Reaktionen werden sich die Kurse wieder einpendeln.»
Für eine derartige Einschätzung braucht es viel Optimismus. Die Europäische Zentralbank (EZB) könnte nächste Woche mit dem umfassenden Programm zum Ankauf von Staatsanleihen, dem Quantitative Easing (QE), beginnen. Ziel ist es, den Euro weiter zu schwächen. Die Schweiz muss sich glücklich schätzen, wenn sie die Parität von 1:1 zwischen Franken und Euro halten kann. Eine Rückkehr zu einem Kurs von 1.20 Franken scheint illusorisch.
Letztlich könnte die Schweiz durch den Rahmenvertrag faktisch in die EU «eingebettet» und zum Mitglied ohne Stimmrecht werden.
Für die EU-orientierte Exportbranche sind die Folgen einschneidend, besonders für die KMU. Sie erhalten ihre Einnahmen in Euro, diese schrumpfen schlagartig um bis 20 Prozent. Die Kosten jedoch fallen in Franken an. Ein Unternehmen kann noch so fit und schlank sein, so etwas geht ans Lebendige. Noch düsterer sind die Aussichten für den Tourismus. Wenn die teure Schweiz nochmals deutlich teurer wird, bleiben die Gäste weg. Und ohne Einnahmen ist für die Hoteliers auch der tiefe Ölpreis nur ein schwacher Trost.

Verhandlungspartner: Staatssekretär Yves Rossier (r.) und David O'Sullivan, bis Ende 2014 EU-Chefdiplomat.Bild: YVES HERMAN/REUTERS
Dies erhöht die Chancen für die Sicherung der bilateralen Verträge. Vieles hängt von der Zuwanderung ab. Bleibt sie auch bei steigender Arbeitslosigkeit hoch, könnte das Volk die Bilateralen erst recht kippen. Doch die gegenteilige Entwicklung ist wahrscheinlicher. 1992 sagte die Schweiz Nein zum EWR. Acht Jahre später, nach einer langen Phase mit wirtschaftlicher Stagnation und hoher Arbeitslosigkeit, wurden die Bilateralen I vom Volk klar angenommen.
SVP wettert gegen «Kolonialvertrag»
Der Preis aber könnte hoch sein. Die Schweiz verhandelt derzeit mit der EU über ein Rahmenabkommen für die bilateralen Verträge. Brüssel verlangt, dass die Schweiz künftig Anpassungen des EU-Rechts «dynamisch» übernimmt und sich im Streitfall der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in Luxemburg unterstellt.
Die SVP wettert gegen einen solchen «Kolonialvertrag», selbst Aussenminister Didier Burkhalter hat im Herbst durchblicken lassen, dass die Schweiz den Rahmenvertrag nicht unterschreiben und sich mit dem Status quo begnügen könnte.
Der SNB-Entscheid lässt dieses Szenario wenig wahrscheinlich erscheinen. Stimmt die Schweiz aber einem solchen Vertrag zu, könnte man von einer bitteren Ironie sprechen. Mit der Aufhebung des Mindestkurses hat die Nationalbank den Franken vom Euro abgekoppelt und vermeintlich die Unabhängigkeit zurückgewonnen. Letztlich aber könnte die Schweiz durch den Rahmenvertrag faktisch in die EU «eingebettet» und zum Mitglied ohne Stimmrecht werden.
Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Nach dem «schwarzen Donnerstag» aber scheint eine derartige Entwicklung keineswegs unwahrscheinlich.
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