Es fühlt sich an wie ein Déjà-vu. Am Firmensitz in Küsnacht ZH stehen zwei strahlende junge Männer bereit, es sind die Brüder Merlin und Oliver Ouboter. Schon vor gut zwanzig Jahren habe ich in Küsnacht einen Unternehmer namens Ouboter besucht: Den Vater der beiden jungen Männer. Er sprühte vor Tatendrang und Unternehmergeist - genau wie seine Söhne heute.
Ich suche auf dem Handy mein damaliges Interview mit Wim Ouboter hervor. «Wie ein Träumer Millionär wurde», lautete der Titel. Es handelte von seiner Erfindung, dem Scooter, diesen zusammenklappbaren Trottinetts, die in jener Zeit, um 2000, die Innenstädte zu prägen begannen - und Millionen von Franken in die Firmenkasse spülten.
Die erste Frage des Interviews lautete: «Ihre beiden 5- und 6-jährigen Buben sind sicher mächtig stolz auf Sie und Ihre Erfindung ...», worauf Ouboter antwortete: «Vor allem wissen sie, was ihr Vater macht, wenn er nicht zu Hause ist. Er muss Kickboards bauen.»
Nun sind die beiden Buben 27 und 28 Jahre alt, und statt Kickboards bauen sie Autos. Wobei Merlin und Oliver Ouboter nie von «Auto» sprechen, sondern vom «Microlino». Dieser sei eine eigene Fahrzeuggattung, irgendwo zwischen Töff und Auto anzusiedeln, eine logische Fortentwicklung nach Kickboard und E-Scootern, erklären sie: Ein Zweiplätzer mit Elektromotor, der durch ein Design auffällt, das bei Passanten einen Staun- und Jööh-Effekt auslöst. Davon werden wir uns schon bald selbst überzeugen.
«This is not a car», mit diesem Slogan wurde der Prototyp im Jahr 2016 vorgestellt. Marketing ist alles. Dennoch hörte man lange in der breiten Öffentlichkeit nur wenig von diesem Auto, das keins sein will. Als Journalist hätte ich die Lancierung ja eigentlich mitbekommen sollen. Sie ging an mir vorbei.
Doch nun kommt ein weiterer Vater ins Spiel - nämlich meiner. Von ihm, einem Nicht-Journalisten, habe ich zuerst vom Microlino erfahren. Er überraschte mich mit der News, es sei da ein lustiges Elektroauto aus der Schweiz in Planung - und er habe sich auf die Reservationsliste setzen lassen. Für kleinere Distanzen im Dorf und in der Umgebung sei das doch das ideale Fahrzeug, und im Zweiplätzer habe ja zum Beispiel noch ein Enkelkind Platz, das er ins FC-Training fahren könne.
Das war noch vor der Coronapandemie, welche die Pläne der Microlino-Gründer verzögert haben. Doch inzwischen gibt es die ersten Exemplare, und die Medien erhalten Einladungen für Probefahrten.
Also bin ich mit dem Zug nach Küsnacht gefahren, um testweise einen dunkelblauen Microlino abzuholen - zusammen mit meinem Vater. Bevor wir einsteigen, erzählen uns Merlin und Oliver Ouboter die Entstehungsgeschichte. Von der Ursprungsidee, den vielen Hürden und Rückschlägen - etwa jenem, dass ein Unternehmen in Italien, bei dem sie den Wagen produzieren lassen wollten, urplötzlich mit einer «Kopie» ihres Modells herausgekommen sei. Kräfteraubende rechtliche Auseinandersetzungen waren die Folge.
Die Ambition des Unternehmer-Duos ist gross. Nebst meinem Vater haben über 35'000 weitere Menschen einen Wagen reserviert oder gar vorbestellt. Sie kommen nicht nur aus der Schweiz, sondern auch besonders zahlreich aus Deutschland, Belgien, Holland und Spanien. Die ersten 200 Fahrzeuge, produziert in der Nähe von Turin, wurden bereits ausgeliefert, 4500 bis 5000 Stück sollen dieses Jahr hergestellt werden.
Die Brüder kommen in Fahrt, wenn sie davon erzählen. Sie haben nicht nur eine unternehmerische, sondern auch eine ökologische Motivation. Sie sagen, der Fussabdruck eines Microlino sei zehnmal kleiner als der eines Tesla, weil das Fahrzeug viel kleiner und leichter ist. Für die am häufigsten gefahrenen Distanzen seien die gängigen Elektroautos viel zu gross. Ausserdem, rechnen sie vor, sässen im Durchschnitt nur 1.2 Personen in einem Auto.
Merlin und Oliver Ouboter pendeln täglich von ihrer WG in Zürich-Hardbrücke zum Geschäft in Küsnacht. Oliver fuhr mit seiner Freundin sogar mit dem Microlino in die Ferien - nach Italien.
Während wir den Jungunternehmern zuhören, beginnt es draussen zu schneien. Ausgerechnet am kältesten Tag dieses Winters holen wir den Microlino ab. Fünf Minuten dauert die praktische Einführung: Wie öffnet man die Türe, die nicht zur Seite, sondern zur Front aufgeht? (Mit einem kleinen Druckknopf unterhalb des Scheinwerfers.) Wie beschleunigt man? (Wie bei einem Automaten.) Wie ruft man welche Information auf dem Display ab? (Alles selbsterklärend.)
Die Heizung schalten wir vorerst nicht ein - aus Angst, der Akku könnte zu schnell zur Neige gehen. Sie ist umsonst. Bald beginnen wir zu heizen. Wir fahren einen Prototypen mit Reichweite 170 Kilometer; beim neusten Modell sind es bereits 230 Kilometer.
Bei den ersten Schwellen holpert es ziemlich. Als wir ausserorts auf 60 Stundenkilometer beschleunigen, dröhnt es, bevor es dann interessanterweise wieder leiser wird. Und auf die Bremse muss man stärker treten als gewohnt.
Doch daran gewöhnen wir uns schnell. Selbst im Schneetreiben durch den Feierabendverkehr in Zürich macht das Fahren Spass. Bei Google Maps haben wir «Autobahn vermeiden» eingestellt, da die Höchstgeschwindigkeit 90 km/h beträgt. Dafür zwinkern uns am Fussgängerstreifen die Passanten zu, manchmal winken sie sogar. Das Design wirkt zeitlos-modern, obwohl (oder weil es) an den legendären BMW Isetta angelehnt ist, der in den 1950er-Jahren für Furore sorgte.
35 Kilometer später sind wir sicher am Ziel angekommen, doch es gibt ein Problem. Wie kommen wir wieder raus? Der Knopf zum Öffnen der Fronttür ist gut versteckt. Wir sind gefangen in der kleinen Kabine, zwei Zuschauer amüsieren sich draussen, als sie uns beobachten. Dann die rettende Idee: Fenster aufschieben, mit der Hand weit nach aussen greifen und auf den Knopf drücken, mit dem wir die Tür schon von aussen geöffnet haben!
Solche Dinge passieren natürlich nur beim ersten Mal. Der kleine Blaue hat Charme, aber ob er zum Grosserfolg wird wie die Kickboards, von denen 90 Millionen Stück verkauft wurden? Mengenmässig sicher nicht. Ein Microlino kostet nicht 100 Franken, sondern 15'000 Franken (Basismodell). Aber ein ökologischer City-Flitzer, dessen Kofferraum drei Harassen Bier passen, trifft sicherlich den Nerv der Zeit. Die Ouboter-Brüder jedenfalls sind überzeugt, schon bald richtig durchzustarten. (aargauerzeitung.ch)
Ich drücke den Jungs die Daumen.
Allerdings ist der Microlino ein kawestiertes Lastenrad, und kein Auto (wie sie selber und auch dieser Bericht darlegt). Der Vergleich mit einem Tesla scheint mir darum etwas unpassend: Ist ja nicht nur der Fussabruck, sondern auch die Grösse 10x kleiner…
Ich benötige mein Auto (einen Tesla) vor allem für Wochenendausflüge / Sport mit viel Material und oft mehreren Begleitern. Unter der Woche für Kundentermine in der ganzen Schweiz.
Aber für Leute, die nur in der Stadt unterwegs sind und kein Lastenvelo möchten, eine valable Alternative.