Liebe Kafi. Ich wohne in Oberwil-Lieli, dem aargauischen Dorf, das derzeit mit seiner vom Volk gewählten Verweigerung zur Aufnahme von 10 Asylsuchenden unschöne Schlagzeilen macht.
Liebe Kathrin
Wann immer ich Fragen in besagte Richtung erhalte und diese dahingehend beantworte, dass man ab und an im Leben Konsequenzen treffen muss, dann erhalte ich viele Kommentare, dass man doch im Dialog bleiben muss mit diesen Menschen und dass es doch nichts hilft, sich abzuwenden. Das ist ein schöner Ansatz und ich bin auch der Meinung, dass es wichtig ist, im Gespräch zu bleiben. Nur haben gewisse Gruppierungen einen schlimmen Hörschaden und eine Teflonbeschichtung um ihre Herzen, an der jeglicher Appell abperlt wie Osmosewasser auf der Lackierung meines Wagens.
Wenn ich versuche, in Ihre Schuhe zu stehen und mich dann frage, was ich tun würde, dann gäbe es für mich nur 2 Möglichkeiten. Entweder würde ich aktiv werden und versuchen, in diesem elenden Oberlieli etwas gegen die Angst vor allem Fremden zu unternehmen. Oder ich würde tatsächlich wegziehen. Ersteres wäre natürlich die edlere Lösung, ich weiss. Aber ich frage mich, ob man dafür den politischen Weg einschlagen müsste, oder ob es reichen würde, den unsäglichen Glarner zu putschen. Dafür bräuchte man vermutlich eine Armee, oder zumindest eine paramilitärische Organisation, und ich weiss jetzt selber grad nicht, wo man diese herbekommen würde, die Suche im Online-Telefonbuch hat mich da keinen Schritt weiter gebracht.
Konstanz geht den friedlichen Weg und hat das grossartige Projekt 83 Konstanz integriert ins Leben gerufen. Diese Aktion kämpft dafür, auf jeweils 83000 Einwohner 83 Flüchtlingen ein neues Zuhause und eine Perspektive zu bieten. Wenn sie dieser Tage in der Region unterwegs sind werden sie beim Eindunkeln die Leuchtschrift «83» entdecken. Auf vielen Gebäuden und sogar am Minarett der örtlichen Moschee. Hier haben es die Menschen zustande gebracht, für Menschlichkeit und die Solidarität einzustehen, aufzustehen. Schauen Sie sich diese Plattform an, sie ist wegweisend in ihrer Art, unbürokratisch zu handeln.
Wenn Sie es schaffen, eine solche Aktion in Oberwil-Lieli zu starten, dann werde ich darüber auf all meinen verfügbaren Kanälen berichten und Sie mit CHF 1000 unterstützen.
Wer mich öfter liest, der weiss, dass ich mich und meine Energie lieber dem Positiven als dem Negativen zuwende. Das hat nichts mit Naivität zu tun oder damit, dass ich den Kopf in den Sand stecke, im Gegenteil. Mir ist einfach bewusst, dass ich mehr bewirken kann, wenn ich mich darauf konzentriere, wo ich etwas induzieren und verändern kann, als wenn ich versuche, Menschen von etwas zu überzeugen, von dem sie nicht überzeugt werden möchten. Es wäre schliesslich auch vertane Liebesmüh, wenn man mich mit dem Gedankengut der 50 % ausländerfeindlichen Oberwil-Lielianer überzeugen wollte. Wer so denkt, ist der Angst vor allem Fremden auf den Leim gekrochen und ich, die inmitten vieler Eingewanderter lebe, weiss, dass diese diffuse Angst unbegründet ist.
Wenn Sie wegziehen, überlassen Sie das Feld den einen 50 %, anstatt die anderen 50 % zu stärken. Das kann für viele ein Grund sein zu bleiben, und das ist auch gut so. Mir persönlich ist das Wohnen und das Leben an einem Ort sehr wichtig, schliesslich ist mein Zuhause meine Komfortzone. Ob ich dieses wohlige Gefühl auch hätte, wenn ich ahnen müsste, dass meine direkten Nachbarn das 9-jährige Mädchen, das vor ein paar Wochen von Syrien in die Schweiz gekommen ist und nun nebenan in die Schule geht, aus dem Ort haben wollen, bezweifle ich ehrlich. Ich würde mein hart verdientes Steuergeld niemanden im die Hand drücken wollen, der meine Werte mit Füssen tritt.
Ob Ihnen meine Gedankengänge in dieser Entscheidung etwas helfen, kann ich nicht sagen. Es ist eine sehr anspruchsvolle Situation, in der sie sich da befinden. Fast schon eine Frage der Würde.
Mit herzlichem Gruss. Ihre Kafi.
Kafi Freitag (40!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.
Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 11-jährigen Sohn in Zürich.
Haben Sie Artikel von FRAG FRAU FREITAG verpasst?
Sälber tschuld! Hier nachlesen!