Ein Wörtchen kann für ziemlichen Wirbel sorgen. Als der französische Präsident François Hollande Mitte April zum Staatsbesuch in der Schweiz weilte, erklärte er sich bereit, bei der Suche nach einer Lösung im Streit mit der EU um die Personenfreizügigkeit zu helfen, «allenfalls durch Verhandlungen».
Diese Bemerkung liess Politiker und Kommentatoren aufhorchen. Bislang hatte die EU-Kommission in Brüssel Verhandlungen über den freien Personenverkehr kategorisch ausgeschlossen. Sie war allenfalls zu «Diskussionen» über Probleme bei der Umsetzung bereit. Nun aber sprach Hollande von «négociation». Deutete er damit eine Kehrtwende an?
Felix E. Müller, Chefredaktor der «NZZ am Sonntag», witterte Morgenluft: «Da benutzt doch der französische Präsident tatsächlich das V-Wort, das Brüssel bisher gemieden hat wie der Teufel das Weihwasser.» Der Aargauer SVP-Nationalrat Maximilian Reimann zeigte sich gegenüber SRF «sehr erleichtert» über Hollandes Worte. Auf das Eingeständnis eines europäischen Spitzenpolitikers habe er lange gewartet.
Geflissentlich übersehen wurde, dass der Staatschef in der Sache pickelhart blieb. Frankreich verstehe die Schweiz, könne aber «vom Grundsatz des freien Personenverkehrs nicht abrücken». Die Gespräche mit der Schweiz laufen ohnehin nicht via Paris, sondern über Brüssel. Und von dort gab es letzte Woche eine kalte Dusche: An einer Sitzung habe die EU-Kommission ihre Beamten auf eine harte Haltung gegenüber der Schweiz eingeschworen, berichtete die «NZZ am Sonntag» mit Berufung auf Quellen in Bern und Brüssel.
Das betrifft in erster Linie die Teilnahme der Schweiz an der EU-Strombörse ab dem 1. Juli. Dann tritt die so genannte Marktkoppelung in Kraft, in die sich die Schweizer Stromkonzerne einklinken möchten. EU-Energiekommissar Miguel Cañete schlug der zuständigen Bundesrätin Doris Leuthard ein bis Ende 2016 befristetes Stromabkommen vor.
Daraus wird nun nichts. Man habe einen entsprechenden Telefonanruf aus Brüssel erhalten, sagte Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamtes für Energie, am Montag zur Nachrichtenagentur sda. «Wir müssen das zur Kenntnis nehmen», sagte Zünd. Eine Alternative gebe es keine. Auch die Gespräche über ein Finanzdienstleistungsabkommen, das den Schweizer Banken den Zugang zum EU-Markt öffnen soll, wurden laut «NZZ am Sonntag» auf Eis gelegt.
Der neue EU-Chefdiplomat Maciej Popowski hatte sich kürzlich in einem Interview mit Westschweizer Zeitungen in diesen Punkten noch kompromissbereit gezeigt. Es werde aber kein dauerhaftes Abkommen abgeschlossen, bevor die institutionellen Fragen geklärt seien. «Und kein definitives Abkommen über die institutionellen Fragen wird beschlossen, bevor die Probleme mit der Personenfreizügigkeit nicht gelöst sind.» In diesem Punkt zeigte sich der Pole knallhart: Eine Neuverhandlung der Personenfreizügigkeit mit der Schweiz komme nicht in Frage.
Nun scheint sich definitiv die harte Haltung durchgesetzt zu haben. Einzelne Abteilungen seien der Schweiz wohl zu sehr entgegenkommen, sagte ein Kenner des Dossiers der «NZZ am Sonntag». Diese Entwicklung ist eine Ernüchterung für alle, die von der neuen EU-Kommision unter Führung von Jean-Claude Juncker mehr Verständnis für die Schweiz erwartet haben. Die Hoffnungen, die EU könnte nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative zu Konzessionen bei der Personenfreizügigkeit bereit sein, erweisen sich zunehmend als illusorisch.
Bis zu den eidgenössischen Wahlen im Oktober dürfte sich zwischen der Schweiz und der EU kaum etwas bewegen. Danach zeichnet sich jenes Szenario ab, das watson im Februar skizziert hat: Ende 2016 kommt es in einer Volksabstimmung zum Showdown über ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU, inklusive Personenfreizügigkeit. Und damit zur Grundsatzfrage: Bilaterale Ja oder Nein.