Christian Levrat (links) und Philipp Müller geraten sich wegen Europa in die Haare.
Bild: KEYSTONE
Der inhaltsleere
Wahlkampf ist um eine absurde Episode reicher. Vordergründig
geht es um die Zukunft der bilateralen Verträge mit der EU und die
Umsetzung der SVP-Zuwanderungsinitiative. In Wirklichkeit werfen die
Parteien mit Nebelpetarden um sich.
15.10.2015, 09:3915.10.2015, 11:17
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Am letzten Freitag veranstaltete die FDP Schweiz eine Medienkonferenz zu den Bilateralen. Mangels neuer Erkenntnisse war die Resonanz minimal. Weshalb Parteipräsident Philipp Müller in einem Interview mit der Zentralschweiz am Sonntag nachlegte. Darin forderte er Bundesrätin Simonetta Sommaruga auf, «endlich eine
Gesetzesvorlage, die die Masseneinwanderungsinitiative konsequent
umsetzt», ins Parlament zu bringen. Die FDP werde sie unterstützen, «sofern raschestmöglich ein Alternativpaket geschnürt wird,
welches die Einwanderung ebenfalls beschränkt, ohne die Bilateralen
zu gefährden.»
Gegen die
konsequente Umsetzung werde das Referendum von links kommen, «so
sicher wie das Amen in der Kirche». Das Volk habe dann die Wahl
zwischen den beiden Varianten. Müller liess durchblicken, dass die
FDP in diesem Fall umschwenken und das Alternativpaket unterstützen wird. Den
schwarzen Peter namens Referendum schob er faktisch der SP zu.
Parteipräsident Christian Levrat fand das nicht lustig. «Dass der
FDP-Präsident öffentlich die SP vorschickt, um für seine Partei
die Kohlen aus dem Feuer zu holen, ist schon ein starkes Stück»,
hielt der Freiburger auf der SP-Website fest. «Aber wie er den Wählern erklären will, warum seine FDP die
wortgetreue Umsetzung zuerst im Parlament unterstützt und danach an
der Urne bekämpft, bleibt Müllers Geheimnis.»
Seit Monaten fahre
Philipp Müller in der Europafrage einen Slalomkurs, giftelte Levrat
weiter. Mit dieser jüngsten Pirouette habe er vollends die
Orientierung verloren – «oder holt ihn einfach seine
18-Prozent-Vergangenheit wieder ein?» Womit Levrat auf die
18-Prozent-Initiative anspielte, die Philipp Müllers Politkarriere
begründet hat. Mit dem im Jahr 2000 klar abgelehnten Volksbegehren
wollte der heutige FDP-Chef den Ausländeranteil in der Schweiz auf
18 Prozent beschränken.
Das brachte wiederum
Müller auf die Palme. In einem längeren Statement auf Facebook warf
er Kollege Levrat vor, den Inhalt des Interviews nicht verstanden zu
haben. «Sie haben offenbar nur daraus geschlossen, dass Sie irgend
etwas arbeiten sollten. Und hier revoltiert natürlich sofort das
sozialistische Herz», schoss er zurück. In der Substanz enthielt
sein Statement genau gar nichts.
Schliesslich mischte
sich auch noch die CVP in diesen Phantomstreit ein, indem sie auf
Twitter ihre eigenen Vorschläge für die Umsetzung der
Masseneinwanderungsinitiative präsentierte, darunter den
Dauerbrenner Schutzklausel und die Forderung, die Bilateralen in der
Verfassung zu verankern. Im besten Fall ist dies ein rein
symbolisches Bekenntnis, im schlechtesten wird es zum Hindernis falls
die Schweiz doch der EU beitreten sollte, aus welchem Grund auch
immer.
Viel Lärm um
nichts, kann man diese Europa-Scheindebatte in Anspielung auf die
Weltliteratur bezeichnen. Wirklich ernst wird es nach den Wahlen,
wenn die vom Bundesrat bereits vorgelegte Umsetzungsvorlage vom neuen
Parlament beraten wird. Dann müssen die Parteien Farbe bekennen,
statt mit Nebelpetarden um sich zu werfen.
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