Francesc, 30, wohnt in Zürich, ist aber ursprünglich aus Barcelona. Er hat für die Unabhängigkeit Kataloniens gestimmt – per Post.
«Wir Katalanen sind von der Zentralregierung jahrzehntelang schlecht behandelt worden. Franco hat uns gar verboten, unsere Sprache zu sprechen, katalanische Namen wurden abgeändert. Noch heute hat die katalanische Sprache einen schweren Stand und wird von der Zentralregierung immer wieder angegriffen. Auch politisch werden wir eingeschränkt. 2012 hat Katalonien beispielsweise entschieden, Stierkämpfe zu verbieten. Das wurde dann 2016 vom Verfassungsgericht für verfassungswidrig und ungültig erklärt!
Ich bin es satt, meine Kultur, meine Sprache und unsere Entscheidungen immerzu verteidigen zu müssen – deshalb halte ich eine Abspaltung für nötig. Jeder, der in einer ähnlichen Situation ist, wird das nachvollziehen können. Katalonien ist die ökonomisch stärkste Region Spaniens, auch finanziell gesehen würde es uns besser gehen, wenn wir unabhängig wären. Es kann schon sein, dass einige Unternehmen Katalonien im Falle der Unabhängigkeit verlassen würden oder das bereits tun. Aber in Spanien gibt es schon heute so viele sogenannte Working Poor. In Spanien zu bleiben, ist keine Garantie dafür, dass es uns irgendwann besser geht. Ausserdem: Ich ziehe ein dynamisches Land, das sich gut um seine Bürger kümmert, einem Land vor, das nur in Spanien bleibt, damit die Unternehmen nicht weggehen.
Fakt ist: Die Beziehung zwischen Katalonien und Spanien funktioniert einfach nicht – wir sind zu verschieden. Ich verstehe nicht, warum wir nicht über eine Abspaltung entscheiden dürfen. Abstimmen zu können, ist doch ein Grundrecht. Es sollte nicht die Regierung darüber entscheiden dürfen, ob ein Referendum stattfindet oder nicht. Deshalb bin ich auch stolz, dass die Katalanen raus auf die Strasse sind, um sich für ihr Recht auf Abstimmung einzusetzen.
Ich verstehe, dass das Referendum vom 1. Oktober als rechtswidrig angesehen werden kann. Deshalb ist nun ein richtiges Referendum nötig, eines, das von der Zentralregierung unterstützt wird!»
Deborah ist 24 Jahre alt und wohnte bis vor einem Jahr in Barcelona. Heute wohnt und arbeitet sie in der Schweiz. Sie ist gegen die Unabhängigkeit Kataloniens.
Eine Abspaltung Kataloniens wäre in meinen Augen eine Katastrophe und die Unabhängigkeit wäre der wirtschaftliche Untergang für die Region. Katalonien ist so klein, es könnte als Land gar nicht überleben. Vor allem weil die EU bereits angekündigt hat, abtrünnige Länder nicht aufzunehmen. Und gegen die Aufnahme in die EU muss nur ein einziges Land stimmen – was Spanien ziemlich sicher tun würde.
Ohne Hilfe der EU wird es fast unmöglich. England hat jetzt schon Probleme, ich will mir gar nicht vorstellen, wie es in Katalonien ohne die EU aussehen würde. Viele Firmen haben ihren Standort bereits gewechselt und ihren Sitz nicht mehr in Katalonien. Das bedeutet einen milliardenhohen Steuerverlust für Katalonien. Auch kostet es viele Arbeitsplätze kosten. Wenn die Unabhängigkeit offiziell wird, würde die Arbeitslosenquote rasant ansteigen, weil weitere Firmen aus Katalonien wegziehen werden. Zudem würden auch Touristen abgeschreckt, wenn sich Katalonien zu einem eigenständigen Land erklärte.
In meiner Familie sind zum Glück alle gleicher Meinung. In meinem Freundeskreis hingegen scheiden sich die Geister. Meine beste Freundin ist beispielsweise eine Verfechterin der Abspaltung. Ich war an der autonomen Uni in Barcelona, wo viele sehr starke Verfechter der Unabhängigkeit studieren. Da könnte schon der eine oder andere Streit im Freundeskreis ausbrechen.
An Harmonie ist wohl in nächster Zeit nicht zu denken. Die Unzufriedenheit der Katalanen brodelte schon so lange. Spanien befindet sich erst in der Anfangsphase, das Kräfteringen der beiden Streitparteien wird meiner Meinung nach noch lange andauern. Ich glaube aber, dass sich nicht viel verändern wird und alles beim Alten bleibt.