
Sag das doch deinen Freunden!
Die letzten Umfragen waren relativ klar. Es gibt einen Nein-Trend bei der Durchsetzungsinitiative (DSI) der SVP sowie bei der CVP-Initiative gegen die Heiratsstrafe. Der Ausgang beider Vorlagen dürfte knapp werden. Laut der letzten SRG-Umfrage hat zudem die JUSO-Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» keine Chance und bei der zweiten Gotthardröhre zeichnet sich ein Ja ab.
Bei der Gotthardröhre sei das Rennen jedoch noch nicht gelaufen, sagt Politologe Laurent Bernhard von der Universität Zürich. Es spreche mehreres dafür, dass es bei der Tunnel-Vorlage richtig spannend werde und sich die Aufmerksamkeit in den nächsten Tagen darauf konzentrieren könnte. Bernhard, der seine Dissertation über Abstimmungskämpfe geschrieben hat, stützt sich nicht auf Statistiken oder Umfragen, sondern auf Erfahrungswerte.
Die DSI hat alles dominiert. «Rund die Hälfte der Medienresonanz zu den vier kommenden Abstimmungsvorlagen entfällt allein auf die DSI», schreibt das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (FÖG) der Universität Zürich. Deshalb sei keine richtige Diskussion zur Gotthard-Röhre aufgekommen, sagt Bernhard. Als Folge davon hätten sich viele noch keine Meinung zum Tunnel gebildet, was erhebliches Potenzial für Nein-Stimmen biete. «Vergangene Abstimmungen zeigten, dass Unentschiedene zu Nein tendieren», sagt Bernhard.
Bernhard findet die Vorlage für eine zweite Röhre sei leicht angreifbar. Dass nur eine Fahrspur befahren werden soll, wie von Doris Leuthard versprochen, nähmen ihr viele nicht ab. Zahlreiche Experten mit Alternativ-Vorschlägen führten zu permanenten Zweifeln in der Bevölkerung, sagt Bernhard und diese würden noch zunehmen. Wie bei der Gripen-Abstimmung, die bachab geschickt wurde, gelinge es den Befürwortern nicht so richtig aufzuzeigen, dass eine zweite Röhre wirklich die beste Lösung sei. Das sei schlecht für das Ja-Lager.
Die Schweizer lieben ihre Natur und sind bereit, diese zu schützen. Davon ist Bernhard überzeugt. Die 1994 angenommene Alpenschutz-Initiative, das Ja zur Zweitwohnungs-Initiative im Jahr 2012 oder die Ablehnung des Gegenvorschlags zu Avanti-Initiative seien Beweise dafür. Vox-Analysen, die jeweils nach Abstimmungen durchgeführt werden, hätten zudem gezeigt: Schweizer setzten Ökologie über Wirtschaftlichkeit. «Ökologische Anliegen sind Mehrheitsfähig.»
Schweizer sind kritisch gegenüber hohen Ausgaben. Der Bau der zweiten Gotthardröhre und die Sanierung des Tunnels belaufen sich auf 2,8 Milliarden Franken. Bernhard dazu: «Dies dürfte bei kostenbewussten Schweizer Bevölkerung noch hängen bleiben.»
Bernhard weiss, bei grossen Infrastruktur-Projekten sind auch regionale Interessen relevant. Wem schaden sie, wem nützen sie? Von einer zweite Röhre profitierten die Städte, Agglomerationen und die Westschweiz wenig, was den Gegnern in die Hände spielt. «Dementsprechend dürfte sich die Romandie klar dagegen aussprechen und dadurch den Überhang an Ja-Stimmen aus dem Tessin klar übertreffen», sagt Bernhard. Diese Tendenz sei bereits in den Umfragen erkennbar gewesen und werde sich bis zum 28. Februar wohl noch akzentuieren.
Die Bürgerlichen sind sich nicht einig. Leute wie Barbara Schmid-Federer von der CVP Zürich oder der Luzerner CVP-Politiker Konrad Graber sind gegen die zweite Gotthardröhre. «Die Erfahrung zeigt, dass solche Opposition aus dem eigenen Lager Gift für Behördenvorlagen sind.» Die Inserate des bürgerlichen Nein-Komitees, die in den letzten Tagen in der Presse platziert wurden, dürften ihre Wirkung nicht verfehlen, sagt Bernhard weiter.
Laut Bernhard haben die Gegner begriffen, dass sie sogar bei den konservativen Wählern punkten können – mit EU-kritischen Tönen. Sie werfen die Frage auf «weshalb sollte die Schweiz für Lastwagen aus den Nachbarländern eine derartige Verkehrsinfrastruktur bereitstellen und zu einer ‹Transithölle› verkommen?» Das könne gar SVP-Wähler zu einem Nein führen.
Die Medien helfen den Gotthard-Gegnern ist sich Bernhard sicher. Bei der Berichterstattung lasse sich ein Nein-Überhang ausmachen. «Bürgerich geprägte Redaktionen wie die ‹NZZ› oder die ‹Tribune de Genève› empfehlen ihrer Leserschaft ein Nein.»
«Das Gotthard-Nein-Lager dürfte von der beherzten Contra-Kampagne der Bevölkerung zu DSI profitieren», sagt Bernhard. Im aktuellen Abstimmungskampf sei es gelungen, ein urbanes, progressives und teilweise auch junges Segment zu mobilisieren, das sonst nicht abstimmen gehe und dieses sei tendenziell gegen eine zweite Röhre.
«Die Daumenregel ‹4XNein› könnte den Gegnern in die Hände spielen.» Ganz am Schluss seien es nicht selten solche Aspekte, die durch Spät- und Unentschlossene einige Prozentpunkte ausmachten, sagt Bernhard.
Der Politologe ist sich bewusst, dass 56 Prozent, die sich gemäss der letzten GfS-Umfrage für eine zweite Gotthardröhre ausgesprochen haben, viel sind. Dennoch sagt er: «Wer daraus folgert, die Ja-Seite könne bereits den Champagner kalt stellen, könnte sich täuschen.»