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Am Freitag war Mathias Segers grosser Tag. Freilich nicht für ihn, aber für viele um ihn herum. Der Captain der ZSC Lions wurde in der Partie gegen Ambri-Piotta zum neuen Rekordspieler der National League A. Mit 1079 Einsätzen hat er den «All Time Record» von Torhüter Ronnie Rüeger gebrochen. Dafür wurde er vor der Partie geehrt.
Naja, eigentlich hatte er ihn ja schon vorher gebrochen. Am 13. September hatte Seger mit dem 1073. Spiel seinen ehemaligen Nati-Kollegen Ivo Rüthemann überflügelt. Rüeger hütete in seiner Karriere lediglich 763 Mal einen NLA-Kasten, stand aber 1078 Mal auf einem Matchblatt.
Seger ist das ohnehin egal. Solange er aktiv ist, zählen für ihn nur Siege und Titel. «Aber nach der Karriere ist das sicher schön», pflegt er jeweils zu sagen, wenn er mal wieder einen Rekord bricht.
Und Rekorde hat Seger schon unzählige gebrochen. Mit 305 Länderspielen ist er der Schweizer Rekordinternationale. An 16 Weltmeisterschaften war er dabei, viermal bei Olympischen Spielen. Seit 1996, also seit 20 Jahren, spielt er in der NLA. Zunächst 141 Mal für den SC Rapperswil-Jona, ab 1999 dann für die ZSC Lions. Der 38-jährige Flawiler ist fünffacher Schweizer Meister, Cupsieger, Gewinner der Champions Hockey League und des Victoria Cups sowie WM-Silbermedaillengewinner.
Auf dem Eis ist er ein ehrgeiziger, zäher Kämpfer, ein nicht mehr ganz so schneller Offensivverteidiger mit viel Übersicht und einem guten Schuss. Wenn es sein muss, lässt er auch mal die Fäuste sprechen und für ein wichtiges Tor ist er immer gut genug.
Segers Qualitäten auf dem Eis sind das eine, vielleicht fast noch wichtiger für den ZSC und das Nationalteam waren jene neben dem Eis. Entgegen dem heutigen Trend zu immer mehr Individualismus war für den Mann mit der Nummer 15 das Team stets das wichtigste. Ihm hat er alles untergeordnet und sein Ego immer wieder zurückgesteckt. Mit seiner geselligen Art ist er für die jungen Kumpeltyp, Vorbild und Respektsperson zugleich.
Seine Persönlichkeit und seine 15-jährige Treue gegenüber dem ZSC haben ihn trotz Ostschweizer Dialekt zur absoluten Integrations- und Kultfigur in der Limmatstadt werden lassen. Warum? Das sollen einige Zitate von und über ihn sowie Anekdoten aus seinem Leben etwas besser illustrieren.
Bereits mit 15 Jahren gibt Mathias Seger sein Debüt in der 1. Mannschaft des EHC Uzwil. Schnell wird klar, dass hier ein aussergewöhnliches Abwehrtalent heranwächst. Schon mit 17 laufen den Segers die NLA-Klubs die Bude ein. Der ZSC möchte den Maschinenmechaniker-Lehrling verpflichten und auch Lugano spricht vor, doch der Teenager widersteht den Verlockungen und entscheidet sich für den SC Rapperswil-Jona.
Sein Vater Theo, damals Mathias' Trainer beim EHC Uzwil, hat ihm dazu geraten. Und Seger sieht schnell ein, dass der SCRJ die richtige Wahl war. Am 21. September 1996 gibt Seger gegen Lugano sein NLA-Debüt und wird danach schnell zum Stammspieler. «Der Entscheid war perfekt. Der damalige Trainer Pekka Rautakallio gab mir viel Vertrauen und liess mich neben Kari Martikainen spielen», erinnerte sich Seger einst an seine Jugendzeit.
Ans erste Spiel hat Seger keine Erinnerungen mehr, dafür an die Heimfahrt nach der Vertragsunterzeichnung. Seger hatte gerade die Autoprüfung bestanden und fuhr selbst über den Ricken, als ihm der Vater sagte: «So, jetzt verdienst du mehr als ich.»
Mathias Seger ist in seiner zweiten Saison bei den ZSC Lions, als er von Teamkollege Claudio Micheli zum 30. Geburtstag eingeladen wird. Die grosse Sause steigt in der hockeyfreien Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr in Sils im Engadin. Doch Seger, der wie Micheli am 17. Dezember geboren ist, hat an diesem Abend bereits in seiner Heimat Uzwil etwas vor und deshalb rechnet Micheli nicht mehr mit ihm.
Doch Seger ist schon damals Teamplayer durch und durch. Trotz wildem Schneegestöber fährt er spät Abends mit einem uralten VW Golf noch von Uzwil nach Sils. Nachts um halb eins kommt er endlich an. «Für mich war das eine grosse Überraschung, auch dass er es überhaupt heil ins Engadin schaffte», erzählt Micheli später dem «Blick». «Aber so ist er. Teamkollegen und ihre Feiern sind ihm halt sehr wichtig.»
Neben dem Eis, wo er durchaus aufbrausend sein kann, ist Seger ein ruhiger, bescheidener Zeitgenosse. Aus Statussymbolen macht er sich nicht viel. Ins Training fährt er jeweils mit dem alten Rennvelo seines Vaters, in die Ferien geht's mit dem alten VW-Bus, der mit Jahrgang 75 sogar zwei Jahre älter ist als Seger selbst.
Als um die Jahrtausendwende plötzlich jeder mit einem Handy telefoniert und SMS verschickt, wehrt sich Seger zunächst dagegen. Als er bei einem Kollegen Trauzeuge wird, sieht auch er ein, dass es nicht mehr ohne geht: «Ich wurde zu stark aus der Gesellschaft ausgeschlossen.»
Mit neuen Technologien tut sich Seger auch heute noch schwer: Die sozialen Medien nutzt er zwar zur Information, auf einen Facebook- oder Twitter-Account verzichtet er jedoch. In der Garderobe hat er ein Handy-Verbot durchgesetzt. Als Captain ist ihm wichtig, dass seine Jungs nicht nur ins Handy oder ins Tablet schauen, sondern miteinander reden. Das fördere den Teamgeist, so Seger: Wichtig sei nicht, was man tue. Hauptsache, man tue es zusammen.
Für Mathias Seger ist die NHL eigentlich nie ein Thema gewesen. Seine Ziele waren stets, Meistertitel in der NLA zu gewinnen und mit der Nationalmannschaft an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen für Furore zu sorgen. Das ändert sich auch nicht, als sich nach der Jahrtausend-Wende die ersten Jungen in der besten Liga der Welt versuchen und auch nicht, als sein gleichaltriger ZSC-Kollege Mark Streit 2005 im Alter von 27 zu den Montreal Canadiens wechselt.
«Er hat jedoch viel mehr für diesen Traum geopfert und hatte stets den Glauben daran. Ich dagegen fühlte mich nie fähig genug für die NHL. Ich hatte nie dieses Selbstvertrauen», sagt Seger später.
Und Seger hatte noch ein anderes Problem. Mit 1,81 Metern gehört er nicht zu grössten Hockeyanern. «Es gab noch keine Nulltoleranz. Die Zwei-Meter-Männer waren im Vorteil. Ich hätte so niemals spielen können. Heute hätte ich vielleicht eine Chance.» Dass er es in der NHL nie versucht hat, bereut Seger aber nicht. Er sei trotz fehlender NHL glücklich, wie seine Karriere verlaufen ist.
2012 bestreitet Seger seine 14. WM. Mit Ausnahme von 2007, als er von Ralph Krueger überraschend aussortiert wird, ist er immer dabei. Auch jetzt, nach dem vierten Meisteritel mit den ZSC Lions, wird es für den langjährigen Stammverteidiger wieder eng. Denn Trainer Sean Simpson hat nach der Ankunft von Roman Josi zwar Verteidiger zuhauf, wegen verletzungsbedingten Ausfällen aber zu wenig Stürmer.
Also wird der routinierte Seger kurzerhand zum Flügel umfunktioniert und in der vierten Linie eingesetzt. Es hätte näherliegende Alternativen gegeben: Mark Streit stürmte einst in der NHL für die Montreal Canadiens und auch Goran Bezina hat Erfahrung auf dem Flügel. Diese hätten den Positionswechsel aber wohl als Affront empfunden.
Nicht so Seger, der mal wieder im Stile eines Musterprofis reagiert. Der Rekordinternationale motzt nicht über seine Strafversetzung, sondern macht mit viel Einsatzwillen das Beste aus seiner Situation. «Ich nahm das als Motivation, um noch härter an mir zu arbeiten», so der später Captain der Silber-Nati von 2013.
Die Nase hat er viermal gebrochen, das Jochbein wird von einer Stahlplatte zusammengehalten, das linke Ohr wurde einst von einem Puck verunstaltet. Doch damit nicht genug: Seger brach sich Handgelenk, Finger, Arm, Füsse und Fersen, ihm wurden drei Zähne ausgeschlagen und er hatte überdehnte Bänder, gequetschte Rippen und eine schwere Gehirnerschütterung.
Doch der Eindruck täuscht: Die lebende ZSC-Legende ist in seiner Karriere von schweren Verletzungen mehrheitlich verschont geblieben. Nicht einmal 100 Spiele hat er in 20 Jahren Profi-Hockey verletzungsbedingt verpasst. Erstaunlich!
Nicht für Teamarzt Gery Büsser. Für ihn kommt das nicht von ungefähr. Seger habe das Talent, Verletzungen zu vermeiden, weil er das Spiel gut vorhersehe, erklärte dieser einst. Ausserdem habe er noch nie einen Spieler gesehen, der so auf die Zähne beissen könne wie Seger. 2012 beispielsweise litt Seger an einer Verletzung am Fersenbein. «Laufen konnte er nicht mehr. Es fühlte sich an, als ob ihm ein Nagel in der Ferse stecken würde. Das Playoff spielte er trotzdem durch», erzählte Büsser 2015 der «Sonntags Zeitung».
«Wieso sollte ich mit dem Taxi nach Hause fahren? Die nächste Tramstation war ja gleich in der Nähe.» Wenn Mathias Seger gewusst hätte, was diese Tramfahrt auslösen würde, er wäre wohl mit dem Taxi nach Hause gefahren. Doch der ZSC-Verteidiger nimmt 2012 nach der ausgelassenen Meisterfeier im Hallenstadion um 8 Uhr morgens nicht das Taxi, sondern das 11er-Tram, um schnellstmöglich ins Bett zu kommen. Nicht allein: Im Schlepptau hat der übermüdete Meister-Captain den gelben Schirmständer, die Meistertrophäe.
Ein Leser von «20 Minuten» fotografiert den ihm nicht ganz unbekannten Mann im grünen Nike-Shirt, der da seelenruhig neben einer Rentnerin sitzt, und schickt das Bild auf die Redaktion. Schnell wird der Schnappschuss schweizweit bekannt. Die Zürcher Verkehrsbetriebe starten sogar eine Werbekampagne mit dem meisterhaften Seger-Bild. Der Fotografierte hat weniger Freude. Ihn stört der Rummel um das Tramfoto gewaltig.
April 2014 im Hallenstadion: Seger feiert mit den ZSC-Teamkollegen und den Fans seinen fünften persönlichen Meistertitel. Wie gewohnt hält er sich nicht zurück, mit einem Bierchen in der Hand spricht er zu der Menge und doch ist Seger wieder einmal anders als viele seiner Teamkollegen. Diese bringen bei den unzähligen Interviews bald kaum mehr einen schlauen Satz über die Lippen. «Geil», «super», «unglaublich» grölen sie ins Mikrofon.
Seger dagegen erklärt den Journalisten vor den Kameras in aller Ruhe und in einer minutenlange Analyse, warum es genau in dieser Saison für den Titel gereicht und was die Mannschaft so stark gemacht hat. Dann stürzt er sich wieder ins Getümmel. Um 8.20 Uhr macht er sich auf den Heimweg. Wieder hat er den Pokal im Schlepptau, diesmal nimmt er allerdings nicht das Tram.