Vollgeld, Kryptowährungen, das Ende der Banken: In der Finanzwelt scheint kein Stein mehr auf dem anderen zu bleiben. Was geht da ab?
Die Finanzkrise von 2008 ist immer noch nicht verdaut. Sie war viel schlimmer, als wir gemeint haben. Das hat dazu geführt, dass man nach Alternativen sucht.
Das Finanzsystem wäre beinahe zusammengekracht.
Ja, es war sehr knapp. Ohne Versprechen wie Mario Draghis «whatever it takes» hätte es bös enden können. Man hat es jedoch auch verpasst, dass verlotterte Finanzhaus abzureissen und ein neues, solides zu bauen. Das werden wir noch lange bereuen.
Was werden wir konkret bereuen?
Grossbanken wie die UBS oder die CS haben immer noch eine implizite Staatsgarantie. Dank dieser Garantie können sie sich nach wie vor billiger refinanzieren als die kleinen Finanzinstitute. Das ist nicht fair. Im Minimum müssten die Grossbanken diese Prämie dem Staat zurückerstatten.
Erklärt dies das Misstrauen, das nach wie vor gegenüber den Banken besteht?
Ja. Dazu kommen libertäre Vorstellungen, wonach das Monopol der Notenbanken abgeschafft werden soll oder die Banken wie bei der Vollgeld-Initiative an die Kandare genommen werden sollen. All dies sind Auswüchse einer Enttäuschung über ein Bankensystem, das längst hätte reformiert werden müssen.
Was für eine Rolle spielt die Technik, die Digitalisierung der Bankenwelt?
Die Technik ist ein Brandbeschleuniger. Dabei kommt es auch zu unsinnigen Phänomenen, beispielsweise dem High-Frequency-Trading (Börsenhandel mit superschnellen Computern, bei dem Bruchteile einer Sekunde entscheidend sind, Anm. d. Red.). Ich würde das verbieten. Volkswirtschaftlich bringt es keinen Nutzen, und es verletzt das Gebot der Fairness.
Was ist mit den Roboadvisors, die mit intelligenter Software Anlagemodelle unterstützen?
Bei den Roboadvisors sehe ich überhaupt keine Gefahren. Im Gegenteil, das führt zu Transparenz und zu niedrigeren Preisen. Davon profitiert nicht zuletzt der Kleinkunde. Die aktuellen Preise für Börsentransaktionen sind in der Schweiz teilweise absurd hoch.
Ersetzen die Roboadvisors bald die Berater, vor allem für Kunden, die 50’000 bis 100’000 Franken anlegen?
Ich würde es so formulieren: Roboadvisors machen die klassischen Bankbeamten etwas weniger wichtig. Kundenberater wird es weiterhin brauchen. In Geldfragen lassen sich Menschen immer noch gerne von anderen Menschen beraten. Ein Algorithmus – und das ist ein Roboadvisors – geht oft zu wenig präzis auf die Bedürfnisse eines einzelnen Kunden ein.
Gilt das auch für die Generation der «digital natives», die noch nie eine Bankfiliale von innen gesehen haben? Die sagen sich doch: «Warum soll ich einem Berater hohe Gebühren in den Rachen werfen, wenn ich das auch online erledigen kann?»
Meine Erfahrung hat mich gelehrt: Es sind vor allem die älteren Menschen, die alles selbst online machen wollen. Das leuchtet auch ein. Sie haben Zeit, sie haben Geld, und sie haben Erfahrung. Investieren will gelernt sein, vor allem muss man damit leben können, ab und zu auch Verluste zu verkraften. Ein menschlicher Berater kann seine Kunden davon abhalten, überhastet zu verkaufen. Auf einen Roboadvisor hören sie weniger. Darum haben unsere Kunden die Möglichkeit, sich auch an unsere Berater zu wenden. Mensch und Maschine sind zusammen unschlagbar.
Wie wichtig sind Roboadvisors in der heutigen Finanzwelt?
Bei uns spielen sie immer noch eine bescheidene Rolle. Menschen wollen sich in Geldsachen nicht nur beraten lassen, sie wollen auch jemanden, bei dem sie sich ausweinen können. Geld braucht ein Zuhause. Das kann auch ein Telefon sein, aber eines, wo ein Mensch und keine Chatbox antwortet. Das hat man unterschätzt und ist daher über die bisherigen Wachstumszahlen bei den reinen Roboadvisors leicht enttäuscht.
Im Schach lautet die moderne Erfolgsformel: Grossmeister plus Computer sind unschlagbar. Gilt das auch für die Vermögensverwaltung?
Das sehe ich genauso. Als Beatles-Fan würde ich sagen, die Kombination Lennon/McCartney bringt es. Zusammen waren sie brillant. Die Kombination von Mensch und Maschine erzwingt ein systematisches Vorgehen beim Investieren und zeigt in Echtzeit auf, was Entscheide für Konsequenzen haben. Zudem führt es zu einer massiven Reduktion der Kosten.
In den letzten zehn Jahren ging es an den Börsen fast nur bergauf. Hat die Digitalisierung auch die Risiken minimiert?
Das ist nicht die Folge der Technik, sondern die Folge der Geldpolitik der Nationalbanken. Sie haben die Märkte mit Geld geflutet und so die normalen Marktmechanismen ausgehebelt. Heute repräsentieren die Preise keineswegs mehr die wahren Werte, sie sind viel zu hoch. Deshalb fragen wir uns alle ängstlich: Gelingt uns der Ausstieg aus diesen Verhältnissen?
Wie lautet Ihre Prognose?
In den USA wird es gelingen, in Europa bin ich unsicher. Die Situation im Euroraum ist zu uneinheitlich. Die Deutschen müssten längst an der Zinsschraube drehen, Südeuropa braucht noch länger niedrige Zinsen. Und wir Schweizer können nicht selbstständig entscheiden, wir sind von der Politik der Europäischen Zentralbank abhängig.
Die reale Politik hingegen beeindruckt die Märkte kaum. Riesentheater am Treffen der G-7 am Wochenende, am Montag eröffnen alle Börsen mit grünen Zahlen. Warum?
Es heisst: Politische Börsen haben kurze Beine und man soll zukaufen, wenn die Kanonen donnern. Diese Sprüche enthalten einen Kern Wahrheit. Was derzeit abgeht, ist mehrheitlich inszeniertes Theater, mit Tweets und gespielter Entrüstung. Das verändert beispielsweise den Wert der Nestlé-Aktie kaum. Verändert hat sich jedoch etwas Entscheidendes: Heute ist nicht mehr die Politik der Staaten wichtig, sondern die Politik der Nationalbanken. Ein Mario Draghi ist wichtiger geworden als eine Angela Merkel.
Früher war Kritik an den Banken fest in den Händen der Linken. Heute gibt es vermehrt konservative Bankenkritiker. Weshalb?
Weil sie das heutige Konzept der Banken hinterfragen. Traditionelle Aufgaben der Bank – Spargelder in Hypotheken oder Firmenkredite verwandeln, Unternehmen an die Börse bringen, Wertschriftenhandel – sind nicht mehr an ein Institut gebunden. Die Technik macht es möglich, dass die Menschen das direkt untereinander abwickeln. Dank der Blockchain-Technologie können viele Dinge künftig direkt vom Markt effizienter erledigt werden. Das sagen die einen Kritiker.
Und die anderen?
Die Vertreter der österreichischen Schule (Ludwig von Mises, Friedrich Hayek, Anm. d. Red.) stellen sich auf den Standpunkt: Nachhaltiges Wachstum ist nur möglich, wenn Geldwertstabilität herrscht. Wenn die Banken zu viel und zu billig Kredit schöpfen, dann führt das dazu, dass falsch investiert wird. Gemäss dieser Theorie werden Wirtschaftskrisen also durch zu billiges Geld verursacht. Das ist allerdings eine sehr ideologische Argumentation.
Mit den Kryptowährungen versucht man neuerdings, diese Ideologie umzusetzen. Ist das bloss ein vorübergehender Hype oder mehr?
Ich würde es mit dem Dotcom-Boom der Neunzigerjahre vergleichen. Vieles war heisse Luft, aber einige Unternehmen haben überlebt, Amazon und Google beispielsweise. Das wird auch mit den Kryptowährungen passieren. Was mich hingegen stört, ist die Tatsache, dass der Kryptowährungs-Hype manchmal geradezu sektiererische Züge annimmt. Die grundlegende Idee, die Blockchain, wird sich durchsetzen. Das finde ich sehr positiv. Es wird die Finanzszene und unser Anlagegebaren demokratischer machen – und auch ehrlicher.
Soll ich mich als junger «watson»-User also ernsthaft mit Bitcoin und anderen Kryptowährungen befassen?
Viel wichtiger ist es, dass sie sich mit der Altersvorsorge befassen. Das rate ich auch meinen Studenten. Es ist wichtig, dass man weiss, was Bitcoins sind. Aber viel wichtiger ist es, dass sie begreifen, wie ihre Pensionskassen funktionieren. Dort wird massenhaft Geld verschleudert, weil ineffizient gearbeitet wird. Mit einem Roboadvisor könnte man Millionen sparen. Und das ist unser Geld.
Wie wird das Bankensystem im Jahr 2050 aussehen?
Dann werden wir immer noch die schönen Gebäude am Paradeplatz haben, aber darin werden sich Filialen von Modeboutiquen befinden. Banken in unserem Sinne wird es nicht mehr geben.
Sondern?
Banken werden wieder Partnerschaften, und die Banker müssen sich mit eigenem Geld an den Investitionen beteiligen, damit es auch ihnen weh tut, wenn sie sich verspekulieren. Wer mit eigenem Geld investiert, investiert anders, als wenn er es mit mit dem Geld der anderen tut. Zusammen mit der technischen Entwicklung wird so ein transparentes und gesundes Finanzsystem entstehen.