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Corona ist kein Blankoscheck für jede Einschränkung

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Corona ist kein Blankoscheck für jede Einschränkung

In der Corona-Politik haben Repression und Grundrechtsverletzungen nichts verloren: Warum das Bundesgerichtsurteil wegweisend sein muss.
04.09.2021, 12:5104.09.2021, 12:52
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Vor 16 Monaten hiess es in einem Kommentar bei watson: «Die Grundrechte gelten immer noch.» Es war ein Appell an alle Politikerinnen und Polizisten, fundamentale Grundrechte zu respektieren. Diese Haltung setzte sich diese Woche auch vor der höchsten Schweizer Rechtsinstanz durch: Das Bundesgericht urteilte in einem historischen Entscheid, dass Corona kein Blankoscheck für jede Einschränkung ist.

Der Rüffel richtete sich gegen den Kanton Bern, der völlig unverhältnismässig während 133 Tagen faktisch jede politische Kundgebung verunmöglicht hatte. Eine solche Regel, wonach maximal 15 Personen sich im öffentlichen Raum versammeln durften, herrschte auch in anderen Kantonen. Etwa in Zürich, wo dieselbe verfassungswidrige Einschränkung kürzlich von einem kantonalen Gericht gerügt wurde.

Diese Korrektur durch die Justiz zeigt zwei Dinge auf:

  • Die Schweiz ist und bleibt ein Rechtsstaat, in dem Grundrechte respektiert werden. Müssen sie etwa wegen einer Pandemie eingeschränkt werden, dann muss das verhältnismässig geschehen. Widersetzen sich Regierungen und Parlamente diesem Gebot, dann kann die Bevölkerung Gerichte anrufen und sich dagegen wehren.
  • Wer regiert, hat nicht unbedingt die grundrechtliche Weisheit mit dem Löffel gefressen. Ausbaden dürfen das dann Polizistinnen und andere Behörden, wodurch Willkür, Unrecht und vor allem Unverständnis geschaffen wird.

Diese zwei Punkte werden uns nicht helfen, wissenschaftsresistente Massnahmen-Gegner vom Sinn und Zweck gewisser Massnahmen zum Schutz der Gesundheit zu überzeugen. Wichtiger ist sowieso, das weit verbreitete Vertrauen in die Politik nicht zu verlieren.

Etwa bei den Tests: Wir wissen alle, dass eine Impfung sehr gut vor heftigen Immunreaktionen schützt. Sie hilft jedoch nur im beschränkten Mass gegen eine Infektion und Übertragung. Es ist uns allen geholfen, wenn wir weiterhin jede Ansteckung entdecken und isolieren. Bisher lief das mit den schnellen PCR- und Antigen-Tests ziemlich gut: Wer Vorteile der Impfung immer noch nicht verstanden hat oder sie aus gesundheitlichen Gründen nicht verträgt, konnte am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sofern er oder sie sich in einer Apotheke rasch testen liess.

Ein Mann beim PCR Test, im Testzentrum fuer das Coronavirus, am Montag, 25. Januar 2021, beim Spital in Davos. Heute nehmen im Kanton Graubuenden neun regionale Impf- und Testzentren den Betrieb auf.  ...
Bislang hatten die Menschen die Option: Stich in den Oberarm oder Stäbli ins Nasenloch.Bild: keystone

Bezahlt wurde das bislang vom Staat, ab Oktober sind die Tests kostenpflichtig. Der Bund erhofft sich dadurch, dass sich auch die letzten Impfzögerer die Zeit für einen Besuch im Impfzentrum nehmen. Alle, die sich dem verweigern, bleiben aber auf Kosten von rund 50 Franken pro Test sitzen. Gutverdienende Impfquengler dürfte das nur politisch stören. Wer auf das Geld achten muss, wird stärker darunter leiden und sich gar zu stark zur Impfung gedrängt fühlen.

Das mag ein Problem einiger weniger Mitmenschen sein. Dasselbe galt aber auch bei den wenigen Klima-, Corona- und Feminismus-Demonstrierenden: Es waren einige wenige, die ihr Grundrecht ausüben wollten und daran zu stark behindert wurden. Je nach Position wird man für solche Personen Unverständnis hegen.

Für die Auslegung von Grundrechten dürfen aber solche Gefühle keine Rolle spielen. Wenn der Staat Einschränkungen beschliesst, sei es mit kostenpflichtigen Corona-Tests oder etwa der Zertifikatspflicht für den öffentlichen Verkehr, ist grösste Vorsicht, grösste Bedachtheit und Verhältnismässigkeit geboten. Sonst drohen weitere Bundesgerichtsurteile, die kein gutes Licht auf den Lebenslauf einer Politkarriere werfen.

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135 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Butschina
04.09.2021 13:41registriert August 2015
Mich macht dieser Artikel gerade jetzt etwas hässig. Vor 5min erfuhr ich dass mein Nachbar morgen die IPS verlassen muss obwohl er eigentlich IpSpflichtig wäre. Das Bett wird aber für einen Impfverweigernden Covidpatienten gebraucht der bessere Überlebenchancen hat als mein Nachbar. Zwar hat das gerade nicht mega viel mit dem Artikel zu tun, wobei eigentlich doch. Seine Rechte werden ja jetzt auch eingeschränkt. Und das obwohl er seit März geimpft und nicht an Covid-19 erkrankt ist. Ja, seine Überlebenchancen sind nicht gut, aber ohne IPS sind sie noch schlechter. Das macht mich gerade hässig.
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Der Buchstabe I (Zusammenhang wie Duschvorhang)
04.09.2021 14:59registriert Januar 2020
Nach dem Titel waren meine Erwartungen an den Bericht schon tief, aber holy fuck.

Mein kleiner Bruder (21) ist letzte Woche aufgrund seiner Krebskrankheit mit 50% Sauerstoffsättigung in den Notfall gekommen. Dort musste er (geimpft) 2h warten, weil die Ärzte mit Impfverweigerern zu tun hatten. Ist das etwa gerecht? Die Idioten habrn sich aktiv gegen die Impfung entschieden, meinen Bruder hat niemand gefragt, ob er Krebs will. Er hatte in den 2h krasse erstickungssymptome und hat um sein Leben gekämpft, weil ein paar Idioten ihre "Freiheit" ausgelebt haben.

Dieser Artikel macht mich sauer!
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AsIfIWouldKnow
04.09.2021 14:43registriert November 2019
Verdamt nochmal was soll denn das? Es macht mich UNGLAUBLICH hässig wie ein Grundrecht über ein anderes Gestellt wird! Das Recht auf Gesundheit ist auch eins und es wird von gewissen Menschen mit Füssen getreten und dieses Vergalten wird auch noch verteidigt!
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