Eben erst war Sommer. Als die Schweiz Geschichte schrieb an der paneuropäischen EM mit dem historischen Einzug in den Viertelfinal, ist also nur eine gefühlte Ewigkeit her. Mittendrin im Geschehen standen Ricardo Rodriguez und Mario Gavranovic.
In Bukarest prägten sie auf eigene Weise gegen «les Bleus» die schicksalhafte Partie. Hätte sie einen Knick in die Karriere bei dem Einen geben können, erwartete man bei dem Anderen: einen Schub, womöglich den letzten in einem zeitlich begrenzten Fussballerleben.
Natürlich hat Rodriguez seinen von Hugo Lloris gehaltenen Penalty nicht vergessen, 1:0 stand es da. Vor dieser Begegnung hatte er bereits zweimal in Folge vom Punkt aus nicht reüssiert für die Schweiz, nun sagt er vor den WM-Qualifikationsspielen:
Vor der EM galt Rodriguez als Wackelkandidat. Nicht für das Aufgebot, aber es gab Zweifel, ob der Verteidiger, der die Ruhe selbst, aber nicht der Schnellste ist, am Turnier Stammspieler sein würde. Wie immer hielt Trainer Vladimir Petkovic an ihm fest.
Für Rodriguez war das irgendwie auch klar, weil er selbst grundsätzlich nie an sich und seinem Können zweifelt – ob in der Dreier- oder Viererkette, oder in einem Fünfermittelfeld auf der linken Seite. Der U17-Weltmeister weiss, was er dem Team bringt und sagt: «Ich hatte eine gute EM.»
So sah das wohl auch der neu verpflichtete Trainer im Klub bei Torino, Ivan Juric. Nach einem offenen Gespräch, das Rodriguez «richtig ehrlich, mit tief in die Augen blickend» bezeichnet, ist er wieder da, wo er stets sein will: gesetzt, unbestritten, eine Stammkraft, gut.
In Turin lebt er in einer Stadtwohnung, und heute fühlt er sich so richtig wohl in der Metropole, in der es mehr Fans von Torino als vom Rivalen Juventus gebe. Auch den Berater haben er und seine beiden Brüder längst gewechselt, weg von Gianluca Di Domenico, mit dem er so innig verbunden war, hin zu Haroon Masoodi.
Heute ist auch das Empfinden ein anderes für seinen Klub im Mittelfeld der Serie A als in der Vorsaison. Jene war sportlich schwierig, nachdem ihn Trainer Marco Giampaolo im vergangenen September von Milan geholt hatte. Denn als die Resultate ungenügend blieben, übernahm Davide Nicola das Coaching, und Rodriguez die Reservistenrolle.
Rodriguez schaut grundsätzlich nicht gerne zurück, deswegen mag er die beiden Nationaltrainer Petkovic und Murat Yakin auch nicht vergleichen. «Es sind zwei verschiedene Menschen», sagt er dazu. Unter Yakin soll er nun aber noch mehr Verantwortung übernehmen. Also erteilt der 29-Jährige den Jüngeren wie Ulisses Garcia, direkter Konkurrent um den linken Platz im Abwehrverbund, Ratschläge.
Rodriguez tut das gern und mit der Erfahrung von 89 Länderspielen. Da trifft es sich ganz gut, dass er gestern vor genau zehn Jahren als 19-Jähriger unter Trainer Ottmar Hitzfeld für die Schweiz gegen Wales debütierte. «Ein schönes Jubiläum, wunderbar, bin ich noch da. Was habe ich viel erlebt mit der Schweiz», sagt er.
Die ersten Tage hat sich Gavranovic seinen prächtigen Treffer zum 3:3 gegen Frankreich häufig angeschaut. Er sagt:
Nach dem Turnierende raubte ihm der rasche Wiederbeginn etwas die Emotionen nach den Ferien, die viel zu kurz waren am Meer in Kroatien. Sechs Tage dauerten sie nur, wovon er noch zwei mit Fliegen verbrachte. Doch Dinamo Zagreb wollte ihn schnellstmöglich wieder bei sich haben, weil bald einmal die Qualifikationsphase für die Champions League anfing.
Der Stürmer zeigte gute Auftritte an der EM, nicht nur wegen diesem Treffer gegen den Weltmeister, sondern ganz allgemein als Joker. Und eigentlich wollte er gar nicht unbedingt weg von Dinamo Zagreb. Doch der Wiederbeginn war nicht gut, weil der Verein für ihn offenbar keine tragende Rolle mehr vorsah: In den Qualifikationsspielen für die Königsklasse spielte jedenfalls der Konkurrent.
Gavranovic war nach 132 Pflichtspielen mit 48 Toren am Punkt angelangt, dass ein Wechsel das beste wäre, Angebote von zwei Klubs aus der Türkei waren ja vorhanden.
Die Wahl fiel auf Kayserispor und der Tessiner landete im August bei einem Mittelfeldklub, in einer Stadt mit 1.5 Millionen Einwohnern, mitten im Zentrum des Landes. Und damit in Asien. Gewiss ist die Super Liga nicht unter den Top-5-Ligen Europas, doch Gavranovic findet nicht, dass er einen Rückschritt gemacht habe. Und am vergangenen Wochenende durfte er erstmals spielen.
Zumal der Start mit Kayserispor, sagen wir es mal so: suboptimal war. Nach dem Wechsel hatte Gavranovic Probleme mit den Adduktoren, er reiste im Vormonat dann fit zur Nationalmannschaft, zog sich aber im ersten Training unter Yakin einen Muskelfaserriss in der Wade zu.
Diese neuerliche Zwangspause dauerte dreieinhalb Wochen, und es war nur logisch, dass der Körper ohne Pause rebellieren würde.
35 Länderspiele mit 15 Toren hat Gavranovic absolviert. Im Nationalteam ist er ein halbes Jahr länger als Rodriguez. Nur gab es bei Gavranovic oft längere Unterbrüche. Und schon gar nicht ist der 31-Jährige gesetzt – das hat sich nicht verändert. (aargauerzeitung.ch)