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Für Erdogans Garde: Schweizer Waffenexporte in die Türkei

epa04423303 Turkish tanks guard the Syrian border after mortar shells hit Turkish territory in Suruc district, near Sanliurfa, Turkey 29 September 2014. Mortar shells from the ongoing battles between  ...
Panzer der türkischen Regierung an der Grenze zu Syrien.
Bild: SEDAT SUNA/EPA/KEYSTONE

Die Schweiz exportiert kaum Waffen in die Türkei – abgesehen von einer brisanten Ausnahme

Seit 2005 beliefen sich die Waffenexporte in die Türkei auf über 28 Millionen Franken. Dann zog das Seco die Notbremse. Doch es gibt weiterhin Ausnahmen.
19.07.2016, 05:2519.07.2016, 06:49
lorenz honegger / Aargauer Zeitung
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Es ist nicht lange her, da gehörte die Türkei zu den 20 wichtigsten Abnehmerländern von Waffen aus der Schweiz. 2014 importierte das Land von Präsident Recep Erdogan Kriegsmaterial im Wert von 3,8 Millionen Franken. Insgesamt verdiente die Schweizer Waffenindustrie zwischen 2005 und 2015 28,6 Millionen Franken mit türkischen Aufträgen, knapp die Hälfte davon entfiel auf Munitionslieferungen.

Heute sind solche Geschäfte unvorstellbar: Nach dem gescheiterten Militärputsch vom Wochenende mit 194 Toten schockiert Präsident Erdogan die Weltgemeinschaft mit Säuberungsaktionen bei politischen Gegnern und spricht öffentlich über die Wiedereinführung der Todesstrafe; im wieder aufgeflammten Kurdenkonflikt kamen in den letzten zwei Jahren Hunderte Menschen ums Leben.

Mittlerweile hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) die Notbremse gezogen und das Gros der Waffenexporte an den Bosporus gestoppt: 2015 sind die Ausfuhren in die Türkei auf 137'000 Franken zurückgegangen. Im ersten Halbjahr 2016 waren es noch «ungefähr 50'000 Franken», heisst es bei der Behörde, die zusammen mit dem Aussendepartement über Einzelbewilligungen für Kriegsmaterialverkäufe ins Ausland entscheidet. Es gibt aber Ausnahmen.

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«Zum Selbstschutz»

Nicht betroffen vom Verbot ist laut Seco der Export von «einzelnen Faustfeuerwaffen an Diplomaten, Ersatzteile für bereits früher gelieferte Flugabwehrsysteme sowie Hand- und Faustfeuerwaffen für die türkische Präsidentengarde».

Jetzt auf

Dass der Verkauf von Waffen für Erdogans Gardisten weiterhin erlaubt ist, erstaunt auf den ersten Blick: Immerhin waren diese gemäss Medienberichten in die Kämpfe beim Putschversuch involviert. Mindestens einer soll ums Leben gekommen sein. Das Staatssekretariat begründet die Regelung damit, dass die Lieferungen meist nur einige wenige Pistolen umfassten, die zu Selbstschutzzwecken eingesetzt würden und nicht automatisch abgefeuert werden könnten.

Ganz vom Export in die Türkei ausgeschlossen sind Angriffswaffen wie Maschinengewehre oder Kampfpanzer, welche die Regierung zu Repressionszwecken gegen die Bevölkerung einsetzen könnte. Auch Waffengattungen, die primär der Verteidigung dienen, haben kaum noch eine Chance für eine Exportbewilligung, genauso wie sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können.

Turkish President Tayyip Erdogan walks through the crowd of supporters protected by bodyguards in Istanbul, Turkey, July 16, 2016. REUTERS/Murad Sezer TPX IMAGES OF THE DAY
Bewaffneter Bodyguard von Präsident Recep Erdogan.Bild: MURAD SEZER/REUTERS

Die Türkei ist sich der Bewilligungspraxis in der Schweiz dem Vernehmen nach bewusst und versucht auch aufgrund eigener Produktionskapazitäten kaum noch, hierzulande zu bestellen.

Nicht die erste Sperre

Für die Schweizer Waffenindustrie ist es nichts Neues, dass der Export in die Türkei zum Erliegen kommt. Ab 1992 untersagte der Bundesrat aufgrund des Kurdenkonflikts Kriegsmateriallieferungen in das Land praktisch vollständig. 2005 hob er das Embargo auf, worauf die türkische Regierung ihren eigenen Rüstungsboykott gegenüber der Eidgenossenschaft ebenfalls aufgab. Die Schweiz lobte das Land für seine «offenere und grössere Toleranz gegenüber allfälligen divergierenden Meinungen anderer Staaten» – tempi passati.

Heute betont das Seco, dass es Waffenexporte in die Türkei auch nach 2005 nur «sehr restriktiv» bewilligt habe. Bei der Überprüfung des Nichtwiederausfuhr-Verbots von Waffen vor Ort habe sich gezeigt, dass die Türkei ihre Verpflichtung einhalte, nicht ohne das Einverständnis der Schweiz Waffen zu re-exportieren.

Zudem dürfe man nicht vergessen, dass es bisher auf internationaler Ebene keine Sanktionen gegen das Land gebe. Die Schweiz handle also in eigener Regie, wenn sie Waffenlieferungen an den Bosporus untersage.

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14 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schneider Alex
19.07.2016 06:39registriert Februar 2014
Ausfuhr von Kriegsmaterial aus der Schweiz verbieten!

Waffen liefern und dann erstaunt sein, dass sie in falsche Hände geraten, ist eine verlogene Haltung, die einmal bös bestraft werden wird, wie beim Bankgeheimnis! Die Flüchtlingsströme sind die sichtbarsten Zeichen dieses unheilvollen Geschäfts. Die Kriegsmaterialausfuhr ist eine Schande für das Rotkreuz-Ursprungsland Schweiz!
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Jagr
19.07.2016 07:47registriert Februar 2016
Etwas komisch finde ich den Aufschrei wegen einer allfälligen Einführung der Todesstrafe in der Türkei. Unser grosser Freund die USA hat diese ja seit je her und hält sich vielfach nicht am Gesetze oder internationale Standards (Angriffskriege ohne UN Mandat, NSA, internationaler Gerichtshof etc.).
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pamayer
19.07.2016 08:58registriert Januar 2016
1992 gab es ein waffenembargo wegen dem kurdenkonflikt, das 2004 wieder aufgehoben wurde. Es wurde um den kurdenkonflikt wirklich zwischendurch etwas ruhiger. Aber, kaum hat sich die Situation etwas beruhigt, sofort wieder Waffen liefern ist schon etwas sehr geschäftstüchtig...
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