Eine Fussballerin mit offenen Haaren? Undenkbar. Entweder sind die Haare kurz geschnitten oder lang genug, um sie in einem Pferdeschwanz zusammenbinden zu können. Mittellange Haare? Eine Seltenheit. Zu unpraktisch im Training, zu störend im Spiel.
Lange galt das auch bei den Männern. Kurze Haare galten als Standard, lange wurden von den Trainern nicht gerne gesehen. So verpasste der Argentinier Fernando Redondo beispielsweise die WM 1998, weil er sich weigerte, seine Haare abzuschneiden, sein Trainer Daniel Passarella aber «keine Frauen im Team» haben wollte. Und auch Gilbert Gress wurden 1967, als er noch Spieler war, die Haare beim VfB Stuttgart vor der ganzen Mannschaft geschnitten.
Heute ist das nicht mehr so. Ex-Nati-Goalie Yann Sommer muss seine Haare lediglich mit einem Haarband aus dem Gesicht halten, und die wallenden Locken von Spanier Marc Cucurella wurden mittlerweile zu seinem Markenzeichen. Trotzdem sind lange Haare noch immer selten gesehen.
Anders ist das bei den Frauen: An der diesjährigen EM fällt besonders stark auf, dass kaum eine Spielerin kurze Haare trägt. In vielen Teams sind stattdessen wippende Pferdeschwänze zu sehen. Und bei den Schweizerinnen? Da werden Braids, also geflochtene Haare, getragen. Je nach Wunsch können diese durch Extensions verlängert werden.
Alayah Pilgrim trat am Sonntagabend beispielsweise mit langen blonden Braids auf – unten sind sie gelockt. Auch Iman Beney hat ihre eigentlich kurzen Haare zu Braids geflochten, die Extensions verlängern sie zusätzlich. Géraldine Reuteler hingegen bleibt ihrer Haarlänge treu, ihre Braids führen lediglich der Kopfform entlang.
Die Frau hinter den Schweizer Frisuren heisst Eden Merhawi. Seit bald drei Jahren ist die Braids-Coiffeuse selbstständig, ihre Klientel sind hauptsächlich Fussballerinnen und Fussballer. «Vieles lief über Empfehlungen», sagt die gebürtige Aargauerin, die auch der Männer-Nati an Turnieren bereits die Haare machte. Am Anfang stand der ehemalige FCZ-Spieler Jonathan Okita. Auch die Nati-Spielerin Alayah Pilgrim gehört schon früh zu Merhawis Kundschaft, ebenso die Okafor-Brüder.
«Bei Sportlern halten die Braids grundsätzlich weniger lange. Denn eigentlich sollte man sie nur etwa einmal pro Woche waschen», so Merhawi. Was normalerweise einen Monat hält, sieht bei Sportlern zwei bis maximal drei Wochen gut aus. «Durch das ständige Schwitzen wird die Pflege einfach zur Herausforderung, die Kopfhaut beginnt zu jucken», weiss sie.
Und wie lange dauert es, so eine Frisur zu flechten? «Das kommt drauf an», sagt Merhawi. «Bei Alayahs aktueller Frisur haben wir etwa einen Monat lange geplant, uns Bilder hin- und hergeschickt und überlegt, was gut aussieht.» Im Spiel gegen Island kamen die Haare der Stürmerin dann richtig zur Geltung – erst recht bei ihrem Jubel über das geschossene 2:0.
«Alayah ist aus Nordafrika, sie hat recht dünnes, marokkanisches Haar. Ausserdem macht sie nur etwa viermal pro Jahr Braids, meist während der Ferien. Sie ist es sich also nicht so gewöhnt, damit Fussball zu spielen.» Deswegen sind es nur sehr wenige Extensions, die Merhawi hinzugefügt hat. «Bei jeder Strähne habe ich sie gefragt, ob es zu schwer sei oder irgendwo ziehe. Sie hat dann jeweils den Kopf etwas bewegt, kontrolliert, dass es sie im Spiel sicher nicht stört.»
Und noch ein zusätzlicher Faktor wurde berücksichtigt: «Jetzt gerade hat sie lange Braids. Wenn sie die zu einem Pferdeschwanz zusammenbindet, stören sie überhaupt nicht.»
Aber: Sie sind lange genug, um bei einer Drehung Pilgrims die Gegenspielerin zu treffen. «Wenn man die ins Gesicht kriegt, ist es nicht angenehm. Gerade am Sonntagabend, als es noch geregnet hat. Das will man nicht abbekommen», erklärt Merhawi mit einem Schmunzeln. Dieses Ablenkmanöver hätten sie sich so ebenfalls lange überlegt.
Doch sie räumt ein: Pilgrims Frisur wäre nicht optimal für Kopfbälle. «Ich schaue immer mit den Spielerinnen und ihren Positionen, was wichtig ist. Iman Beney zum Beispiel hat sich ein geflochtenes Muster und Extensions gewünscht. Das haben wir gemacht.» Und: «Beneys Haare sind optimal für Kopfbälle.»
Denn die Braids liegen bis in den Nacken eng am Kopf an, kommen also nicht in die Quere. Ob die Extensions stören? Merhawi winkt ab. «Wenn sie die Haare zusammenbindet, fühlt es sich an, als hätte sie eine Glatze. Es ist die beste Frisur, die man zum Fussballspielen und für Kopfbälle haben kann.»
Am Dienstagabend besuchte Merhawi die Nati wieder im Camp in Thun. Leila Wandeler erhielt neue Braids. «Sie lange und schwere Extensions. Das ist absolut Gewöhnungssache, aber kann schon stören. Leila ist damit aufgewachsen. Und sie stammt aus dem Senegal, hat einen Afro und damit dickere Haare.» Diese halten mehr aus.
Wenn die Schweiz am Donnerstag auf Finnland trifft, werden also vier Natispielerinnen mit Merhawis Kunst auflaufen. Dann zählt aber vor allem eines: der Einzug in den Viertelfinal. Doch sollte Pilgrims Frisur eine Gegenspielerin tatsächlich kurz aus dem Konzept bringen, wird sich im Schweizer Team wohl niemand beschweren. (aargauerzeitung.ch)
Ansonsten kommen wir nirgends hin mit der Emanzipation…
Aber wenn man es schmunzelnd sagt, ist es ja ok... 🙄