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Rupperswil und die Tätersuche in Datenbanken: Wie DNA-Tests helfen – und irritieren

Rupperswil und die Tätersuche in Datenbanken: Wie DNA-Tests helfen – und irritieren

Nach dem Vierfachmord von Rupperswil konnten die Ermittler DNA-Spuren sichern. Aus der DNA lässt sich einiges lesen, aber die Möglichkeiten der Ermittler sind gesetzlich eingeschränkt.
22.02.2016, 07:4522.02.2016, 08:29
Mario Fuchs / az Aargauer Zeitung
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Es sind drei Buchstaben, die in den letzten Tagen im Umfeld des Rupperswiler Vierfachmords grosse Aufmerksamkeit erhalten haben: DNA. Das Wort dahinter ist den wenigsten bekannt. Wohl, weil man es sich nicht so einfach merken kann: Desoxyribonukleinsäure.

Richtig: Das «A» fehlt darin. Der Grund dafür: DNA ist kein deutsches Wort, sondern ein englisches. Säure heisst übersetzt «acid». DNS ist entsprechend die korrekte deutsche Abkürzung – sie wird aber kaum mehr verwendet und gilt laut Duden als «veraltet».

DNA-Tests: Standardprozedere nach Mordfällen.
DNA-Tests: Standardprozedere nach Mordfällen.
Bild: EPA/DPA

Doch was ist sie genau, diese DNA? Vereinfacht erklärt ein winziges Teilchen, das in praktisch jeder Zelle eines Lebewesens vorkommt. In diesem Teilchen sind unsere Erbgutinformationen gespeichert. Das macht sie interessant für Ermittler, die Kriminalfälle aufklären.

Gemeindeammann Hediger: «Keine Reaktionen»

Rupperswils Gemeindeammann Ruedi Hediger hat zu den DNA-Test-Aufforderungen noch keine Reaktionen erhalten. Er kenne dieses Ermittlungsverfahren nicht im Detail und wolle es deshalb nicht kommentieren. «Ich bin auf jeden Fall nach wie vor überzeugt, dass Kantonspolizei und Staatsanwaltschaft sehr gute Arbeit leisten und den Fall aufklären werden», betont Hediger.

Zur jüngsten Pressekonferenz, an der die Ermittler durchblicken liessen, dass sie weiterhin keine konkreten Verdächtigen haben, sagt der Ammann: «Aufgrund der Komplexität des Falles bin ich nicht davon ausgegangen, dass entscheidende Neuigkeiten bekannt gegeben würden.»

DNA-Test per Blutprobe.
DNA-Test per Blutprobe.
Bild: JORGE CABRERA/REUTERS

Denn: Jeder Mensch verliert – unbemerkt – dauernd Tausende von Partikeln wie Haare, Schuppen oder abgestorbene Hautzellen. Einen Mord zu begehen, ohne eine einzige Spur zu hinterlassen, ist also kaum möglich, auch wenn der Täter nicht einmal etwas anfasst. Deshalb sind die Gene eines mutmasslichen Täters viel häufiger am Tatort zu finden als seine Fingerabdrücke.

Nur das Geschlecht

Nach dem Vierfachmord von Rupperswil konnte die Spurensicherung beides sichern. Ob die Spuren zu einer oder mehreren Personen gehören, sagte die Staatsanwaltschaft «aus ermittlungstaktischen Gründen» nicht. Klar ist: Im Labor konnten Spezialisten mit komplexen chemischen Methoden aus der DNA-Spur einen genetischen Abdruck erstellen. Wie ein Strichcode eindeutig zu einem Produkt führt, führt die DNA eindeutig zu einer Person.

Diese müssen die Ermittler nun noch finden. Aus dem erstellten Profil alleine können sie einzig das Geschlecht ablesen. Theoretisch kann aus einer DNA auch abgelesen werden, welche Krankheiten jemand hat oder schon hatte. Auch die Ethnie könnte grob eingegrenzt werden. Die Polizei wüsste dann, ob man etwa nach einem afrikastämmigen, asiatischen oder kaukasischen Menschen suchen müsste.

Bloss: Die Schweizer Gesetzgebung verbietet es, solche Informationen zu verwenden. 2005 trat das DNA-Profil-Gesetz in Kraft. Darin heisst es: «Bei der DNA-Analyse darf weder nach dem Gesundheitszustand noch nach anderen persönlichen Eigenschaften mit Ausnahme des Geschlechtes der betroffenen Person geforscht werden.»

Auswertung von DNA-Spuren (in einem Labor in den USA).
Auswertung von DNA-Spuren (in einem Labor in den USA).
Bild: JIM YOUNG/REUTERS

Eine einzelne ausgewertete DNA-Spur nützt den Ermittlern also nur beschränkt. Deshalb wurden gleichzeitig mit Entwicklung der Methode Datenbanken angelegt. Sie speichern DNA-Spuren von Verdächtigen und Verurteilten.

Auch Profile von nicht identifizierten lebenden und toten Personen oder Vermissten dürfen im Schweizer Informationssystem namens Codis abgelegt werden. Nach einer Tat wie in Rupperswil werden die gesammelten Spuren mit der Datenbank abgeglichen, auch ausländische und internationale Datenbanken werden durchsucht.

Kein Treffer im Fall Rupperswil

Bislang gab es im Fall Rupperswil weder national noch international einen Treffer. Wie gestern die «Schweiz am Sonntag» unter Berufung auf das Bundesamt für Polizei berichtete, konnten im Jahr 2015 in der Schweiz total 5459 Spuren einer Person zugeordnet werden. Die Zahl der DNA-Spuren, die derzeit niemandem zugeordnet werden können, ist natürlich ein Vielfaches höher: 63'941.

DNA-Test beim mexikanischen Drogenkönig Joaquin Guzman.
DNA-Test beim mexikanischen Drogenkönig Joaquin Guzman.
Bild: HANDOUT/REUTERS

Nur das Geschlecht

In Rupperswil sorgte das Stichwort DNA für Irritation in der Nachbarschaft, weil Anwohner brieflich zu DNA-Tests aufgefordert wurden. Wie der «Blick» berichtete, wurde etwa ein junger Nachbar mit Tourettesyndrom zu einem Wangenschleimhautabstrich aufgeboten. «Ich kann nicht fassen, dass die Polizei meinen Sohn als Mehrfachmörder verdächtigt», zitiert «Blick» die Mutter des 20-Jährigen.

Auf Nachfrage der AZ bestätigt die Staatsanwaltschaft das Vorgehen und erklärt, dass es sich dabei um ein Standardprozedere handle. Konkret: Die Polizei darf auch die DNA von sogenannten «tatortberechtigten Personen» erfassen. Das können Verwandte, Freunde oder eben Nachbarn sein, die schon einmal im Haus waren.

Der junge Nachbar hatte einst mit dem späteren Mordopfer Dion Schauer die Primarschule besucht und besuchte ihn deshalb auch im Haus, das am 21. Dezember 2015 zu einem Tatort wurde. Die DNA des 20-Jährigen darf gemäss Gesetz aber nur abgeglichen, nicht aber in der Datenbank abgelegt werden.

DNA-Profile länger speichern?

Ebenfalls nicht erfasst werden dürfen Spuren von Verdächtigten, bei denen sich herausgestellt hat, dass sie als Täter eines konkreten Verbrechens oder Vergehens ausgeschlossen werden können sowie Personen, die in ein Verfahren verwickelt waren, das eingestellt wurde.

BDP-Aargau-Präsident und Nationalrat Bernhard Guhl findet das problematisch. Gegenüber Radio Argovia sagt er: «Wenn man irgendwo einen Einbruch hatte und man sich zu 99 Prozent sicher ist, dass es der XY war, aber man ihn nicht verurteilen kann, muss man seine DNA-Daten wieder löschen.»

Guhl sagt, wenn man nicht alle Daten von Verdächtigen und Freigelassenen «so restriktive» löschen würde, könnte man einen Fall wie Rupperswil «allenfalls viel schneller aufklären». Er will die Profile länger in der Datenbank behalten: «Nicht verurteilt zu sein, heisst nicht, dass man nie etwas gemacht hat. So lange die Person nichts macht, hat sie ja auch nichts zu befürchten.»

Jetzt auf

Datenschützer warnen vor einer solchen Vorratsdatenspeicherung. Guhl argumentiert, ihm sei «die Aufklärung von Verbrechen wesentlich wichtiger als der Schutz von Daten von möglichen Verbrechern». Er werde die Frage in der Rechtskommission des Nationalrats zur Diskussion bringen. 

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