Der Amokläufer von El Paso tat es. Der Mann, der in einer Synagoge in Poway mit einem Sturmgewehr auf die Gläubigen schoss, tat es. Und ebenso der Rechtsterrorist, der in zwei Moscheen in Christchurch mehr als 50 Menschen erschoss. Sie alle stellten vor ihren Bluttaten ein Manifest auf die Seite «8chan», auch «Infinitechan» genannt. Das ist eine Foren-Plattform, auf der unter anderem Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker ihre Hassbotschaften verbreiten.
Der jüngste Vorfall, bei dem der mutmassliche Attentäter von El Paso auch einen Link zu einem Facebook-Livestream seiner Tat auf dem Portal gepostet hatte, hat nun Konsequenzen für 8chan. Der IT-Sicherheitsdienstleister Cloudflare, der 8chan vor Cyberattacken wie DDoS-Angriffen schützt, hat nach anfänglichem Zögern seine Geschäftsbeziehung mit dem Portal beendet – das kurz darauf offline ging. Selbst 8chan-Gründer Fredrick Brennan, der seit Ende 2018 nichts mehr mit der Plattform zu tun hat, verlangt ihre Schliessung.
Cloudflare-CEO Matthew Prince schrieb in einer Mitteilung, der mutmassliche Täter von El Paso sei offenbar von 8chan zu seinem Verbrechen inspiriert worden. Und dies sei kein Einzelfall – die Plattform habe sich wiederholt als «Jauchegrube des Hasses» erwiesen. Man habe die Entscheidung, mit 8chan zu brechen, nicht leichtfertig getroffen. «Wir dulden widerwillig Inhalte, die wir verwerflich finden, aber wir ziehen die Grenze bei Plattformen, die gezeigt haben, dass sie direkt tragische Ereignisse auslösen und mit Absicht gesetzlos sind.»
Prince erinnerte an eine andere «abscheuliche Seite», der Cloudflare den DDoS-Support entzogen hatte: 2017 brach Prince die Geschäftsbeziehungen mit der Neonazi-Seite «The Daily Stormer» ab. Dort war nach dem Autoanschlag von Charlottesville, bei dem ein Rechtsextremer eine Gegendemonstrantin totgefahren hatte, ein Artikel erschienen, der das Opfer massiv erniedrigte. Prince begründete seinen Entschluss in einer E-Mail an seine Mitarbeiter wie folgt: «Die Leute hinter der Website sind Arschlöcher und ich hatte genug von ihnen.»
Die Erfahrung mit dem «Daily Stormer» zeigt allerdings, wie wenig es bringt, wenn Dienstleister wie Cloudflare solchen Plattformen den Support kappen. Zwar war die Hass-Seite danach kurzfristig offline – was Prince dazu verleitete, in internen Mails darüber zu sinnieren, dass er als Einzelperson über zu viel Macht verfüge und es nicht gut sei, wenn die Launen von Leuten wie Marc Zuckerberg, Jeff Bezos oder Larry Page darüber bestimmten, was online bleiben dürfe.
Doch dann fanden die Neonazis, die kurzzeitig ins Darknet abgetaucht waren, einen anderen Dienstleister, der sie gegen DDoS-Attacken schützte. «Heute ist der ‹Daily Stormer› immer noch erreichbar und immer noch abscheulich. Sie prahlen damit, dass sie mehr Leser als je zuvor haben. Sie sind kein Problem von Cloudflare mehr, aber sie bleiben ein Problem des Internet», so Prince.
So zweifle er kaum daran, dass mit 8chan dasselbe passieren werde. Der Rausschmiss der Plattform werde zwar Druck von Cloudfare nehmen, aber er werde nichts daran ändern, dass Hass-Seiten im Internet gärten, dass es zu Amokläufen komme und dass Teile der Bevölkerung so desillusioniert seien, dass sie «sich dem Hass zuwenden».
Tatsächlich dürften Seiten wie 8chan mehr Symptom sein denn Ursache. 8chan wurde 2013 vom Programmierer Fredrick Brennan aka «Hotwheels» als Ableger von 4chan gegründet. Brennan war der Ansicht, dass 4chan zu stark moderiert werde, und wollte den Usern eine offenere und anarchischere Plattform zur Verfügung stellen. Sie können dort anonym Foren zu den unterschiedlichsten Themen erstellen. Noch 2015 sagte Brennan in einem Interview mit «Ars Technica», die Anonymität dürfe nicht «wegen ein paar faulen Äpfeln» aufgehoben werden.
Heute glaubt Brennan, der sich mittlerweile entschieden von 8chan distanziert hat, dass die Schliessung der Plattform zwar den Extremismus nicht stoppen könnte, aber es den Extremisten erschweren würde, sich zu organisieren. Brennan hat den heutigen Besitzer von 8chan, seinen Nachfolger Jim Watkins, mehrmals dazu aufgerufen, die Seite zu schliessen – bisher vergeblich.
So konnte der Hass sich dort bisher ungebremst ausbreiten, konnten sich die Hasser gegenseitig aufschaukeln und radikalisieren. Frühere Amokläufe und Anschläge werden beurteilt und gelobt – oder kritisiert, wenn sie nicht blutig genug waren. Neben rassistischen und sexistischen Inhalten bietet 8chan aber auch Platz für vornehmlich rechtsextremistische Verschwörungstheorien. Ein Paradebeispiel dafür ist QAnon, das Pseudonym für eine Person oder Personengruppe, die unter anderem die Verschwörungstheorie verbreitet, demokratische Politiker und Hollywoodschauspieler hätten einen Kinderhändlerring aufgezogen und es gebe einen «Deep State», gegen den Präsident Trump nun ankämpfe.
Am Freitag kündigte der Attentäter von El Paso seine Tat auf dem Unterforum «/pol» auf 8chan an und bezog sich dabei auf den Attentäter von Christchurch. Der erste Kommentar wies darauf hin, das Board sei doch «eine Community des Friedens», was aber keine Rüge war, sondern eine ironisch gemeinte Anspielung auf den Islam als «Religion des Friedens». Der zweite Kommentar war der Wunsch «Jeden Sabbat» – die Aufforderung, jeden Samstag eine solche Tat zu begehen. Damit waren zugleich Muslime und Juden als vornehmlichste Ziele des rechtsextremen Vernichtungswillens benannt. Der Attentäter von El Paso hatte es dann auf Latinos abgesehen.
(dhr)
Übrigens ist die von der Formulierung im ersten Satz suggerierte Annahme, dass Verschwörungstheoretiker generell Hassbotschaften verbreiten, reichlich daneben.
Und man sollte m.M. nach diese Platformen mit in Verantwortung ziehen. Wenn jemand Amok läuft und die Platform sein Pamphlet, Livestream, etc veröffentlicht, dann soll diese dafür ebenfalls bestraft werden