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Booster-Idiotie zeigt einmal mehr: Schweiz kann Corona definitiv nicht!

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Booster-Idiotie zeigt einmal mehr: Schweiz kann Corona definitiv nicht!

Wer Eigenverantwortung wahrnehmen und sich «Off-Label»-mässig boostern wollte, wurde diese Woche in Zürich abgewiesen. Es ist nicht die einzige Peinlichkeit der Schweizer Pandemiepolitik.
11.12.2021, 08:5211.12.2021, 14:42
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Eigenverantwortung und Gemeinsinn: Die beiden Wörter beschreiben in der Pandemie eigentlich dasselbe. Es ist die Idee, dass eine Gesellschaft nur dann gut funktioniert, wenn alle auf irgendeine Art und Weise anpacken. Das Geniale an ihr ist: Sie funktioniert ohne eine einzige Gesetzesänderung.

Eigenverantwortung und Gemeinsinn waren der grosse Antreiber der Impfkampagne. Wer es verstanden hat, dass das Vakzin ein sehr wirksames Werkzeug zur Bewältigung des Virus ist, liess sich impfen. Die staatlichen Behörden sorgten sich um die medizinische Zulassung, die Logistik und die Bezahlung.

Impfen lassen mussten wir uns aber immer noch selbst. Und das klappte einigermassen gut. 5'748'798 – also ziemlich genau zwei von drei Menschen hierzulande – sind «vollständig» geimpft – 996'271 haben sich zusätzlich «geboostert». Es könnten aber mehr sein, es müssten sogar mehr sein, um Spitälerüberlastungen und viel Leid zu verhindern.

Was wir aber in den vergangenen Monaten erlebten, kann nur noch als Idiotie bezeichnet werden: Der Bund nahm fast 100 Millionen Franken in die Hand, um während der Aktionswoche die Impfquote zu steigern. Gekommen sind aber viele Geimpfte, die sich boostern wollten. Sie wurden aber beispielsweise am Zürcher Hauptbahnhof weggeschickt.

Diese Woche passierte dasselbe: Im Impftram durfte man sich kurzzeitig «off label» boostern lassen. Das bedeutet, dass es die Auffrischimpfung bereits fünf Monate nach der ersten Impfung gab – statt wie offiziell zugelassen, erst nach sechs Monaten. «Off-Label-Use» nennt sich das und wird in zahlreichen Arztpraxen zelebriert: Man musste nur eine Erklärung unterschreiben, dass man das Risiko selbst auf sich nimmt.

Als die Behörden Wind davon bekamen, verschwand das Angebot und damit die Möglichkeit für hunderte oder tausende Impfwillige. Das ist stossend und macht zu Recht den Durchschnittsbeobachter wütend: Die Bürokratie stoppte all jene, die eigenverantwortlich und gemeinsinnig handeln wollten und dafür auch stundenlanges Anstehen in der nassen Kälte auf sich nahmen. Und das praktisch zum selben Zeitpunkt, als die Europäische Arzneimittelbehörde die Auffrischimpfung schon nach drei Monaten Wartezeit zulässt.

Es mag Zufall sein, dass das schon wieder in Zürich passierte. Das Problem ist aber ein schweizweites: Vom Boosterstopp durch die Zürcher Behörden sind in der kleinräumigen Schweiz alle betroffen, die sich «off label» boostern lassen wollten, um die Festtage zuhause bei den Eltern – sei es in einem anderen Kanton oder einem anderen Landesteil – geschützt feiern zu können.

Diese Idiotie schmerzt und zeigt, wie absurd manch eine Behörde die pandemische Verantwortung wahrnimmt: Die Leute wollen sich durch selbstständiges Handeln schützen und dürfen nicht. Besonders bitter ist, dass sich dieses Verhalten zunehmend wie ein roter Faden durch die Schweiz zieht: Lehrpersonen fordern vorgezogene Weihnachtsferien, um den Kindern und Erwachsenen einige Tage «Puffer» vor Familienfesten zu gönnen – doch grünes Licht gibt es nicht überall. Der Bundesrat schlägt repetitive Tests an Schulen vor, zivilgesellschaftliche Gruppen wollen proaktiv CO2-Sensoren in Klassenräumen installieren – doch die Kantone wollen nicht.

Und wie reagiert der Bund in dieser höchst kritischen Phase? Er lässt vier Tage über Massnahmen diskutieren, die allenfalls erst in einer Woche beschlossen werden.

Was man in den Vorschlägen des Bundes aber vermisst, sind konkrete Massnahmen, um eine lösungsorientierte Gesprächskultur zu schaffen, in der die Verantwortung wahrgenommen werden kann. Es braucht nun dringender denn je einen Krisenstab mit Kantonen, dem Bund, den Spitälern, Ärztinnen und Forschern, um schnelle Entscheidungswege schaffen zu können und sich auf minimale Standards zu einigen: Wie können wir die Impfquote noch weiter steigern? Wie können wir verhindern, dass in Obwalden anteilsmässig neunmal weniger Leute geboostert sind als in Basel-Stadt? Wie können wir Kinder und Jugendliche zeitnah und schnell impfen, sobald die Zulassung folgt? Und vor allem: Mit welchen Massnahmen können wir der Bevölkerung eine Perspektive geben, die auch wissenschaftlich Hand und Fuss hat?

Wir können das: Die Demokratie und der Föderalismus lehrten uns, wie trotz Meinungsunterschieden grosse gesellschaftliche Erfolge erreicht werden können. Momentan scheinen wir das aber vergessen zu haben.

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329 Kommentare
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Phteven Phtiz
11.12.2021 09:05registriert Oktober 2016
Wahre Worte, perfekt auf den Punkt gebracht. Selbst nach knapp zwei Jahren Pandemie bringt mich dieses ständige reaktive Verhalten der Behörden auf die Palme. Wieso nicht einfach auch mal proaktiv handeln?
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Spassthis
11.12.2021 09:02registriert Juni 2021
Das Problem liegt ganz klar auf Seiten der Kantone. Ihre Spitäler sind voll, ihre Impfangebote sind zu knapp, sie sind gegen schärfere Massnahmen. Sie nehmen ganz einfach ihre Verantwortung nicht wahr!
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Bitsundbites
11.12.2021 09:04registriert Juli 2019
Die Schweiz kann Pandemie effektiv nicht.

Konsultationsverfahren dauern von Idee bis Einführung 3 Wochen.
Niemand will entscheiden. Und der Bundesrat glaubt immer noch dass er es allen recht machen muss.

Demokratie und Föderalismus ist nicht Pandemie tauglich.

Nur will die Schweiz nicht dazu lernen.

Und somit wird die Schweiz einmal mehr das Weihnachtsgeschäft retten und dann aufs Neue Jahr vieles schliessen.

Versagen total.!

Einmal mehr steht die Wirtschaft über der Gesundheit. Die Zeche bezahlt unser Spitalpersonal.
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