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Interview

Russland: «Für China wäre der Sturz Putins das schlimmste Szenario»

FILE - Chinese President Xi Jinping, right, and Russian President Vladimir Putin talk to each other during their meeting in Beijing, Friday, Feb. 4, 2022. Following this month���s meeting in Beijing b ...
Haben viele gemeinsamen Interessen: Wladimir Putin und Xi Jinping.Bild: keystone
Interview

«Für China wäre der Sturz Putins das schlimmste Szenario»

China würde von einem Frieden in der Ukraine profitieren, sagt Experte Brian Carlson. Er erklärt, weshalb sich Xi Jinping trotzdem nicht von Wladimir Putin distanziert und schildert, wie in den chinesischen Medien über den Krieg berichtet wird.
12.05.2022, 04:5713.05.2022, 06:22
Corsin Manser
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Wie steht China aktuell zum Krieg in der Ukraine?
China hat die Invasion offiziell nie unterstützt oder verurteilt. Im Uno-Sicherheitsrat und bei der Uno-Generalversammlung hat es sich bei der Verurteilung der Invasion der Stimme enthalten. China versucht, einen Mittelweg zu gehen. Dieser Weg bringt die chinesische Regierung aber in eine schwierige Position.

Weshalb?
Russland verletzt mit der Invasion klare Grundsätze der chinesischen Aussenpolitik, in der normalerweise die Souveränität der Staaten und die territoriale Integrität hochgehalten werden. Die russische Aggression trifft mit der Ukraine ausserdem ein Land, mit dem China gute Beziehungen hatte.

Welche Gefahren birgt der Krieg für China sonst noch?
Durch den Krieg könnte die transatlantische Allianz und die globale Führungsrolle der USA wiederbelebt werden. Demokratien könnten ermutigt werden, sich Autokratien zu widersetzen. Zudem könnten für chinesische Unternehmen auch Sekundärsanktionen zum Problem werden, wenn sie wirtschaftliche Beziehungen mit Russland pflegen wollen. Aus all diesen Gründen muss man festhalten: Der Krieg macht den Chinesen Probleme.

Zur Person
Brian Carlson ist Leiter des Global Security Team des Think Tanks am Center for Security Studies (CSS) der ETH. Er promovierte in internationalen Beziehungen an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS) in Washington, D.C. Seine Doktorarbeit befasste sich mit den Beziehungen zwischen China und Russland in der postsowjetischen Ära.
Brian Carlson.
Brian Carlson.bild: zvg

Weshalb verurteilt China den Krieg trotzdem nicht?
China sieht Russland immer noch als wichtigen Partner an. Sie arbeiten eng zusammen, wenn es darum geht, die Macht der USA herauszufordern. Auch die liberale Weltordnung ist beiden Ländern ein Dorn im Auge. Deswegen unterstützt China die russische Argumentation, wonach der Westen wegen der Nato-Erweiterung verantwortlich für den Krieg ist.

Hat sich die Haltung Chinas im Laufe des Krieges verändert?
Nicht fundamental. China versucht Russland so weit zu unterstützen wie möglich, will sich damit aber nicht selber schaden. Deswegen halte ich Waffenlieferungen an Russland momentan für nicht realistisch, da China dann mit Sanktionen aus dem Westen rechnen müsste.

Vor den Olympischen Spielen in Peking zelebrierten Putin und Xi ihre Freundschaft. Ist die Beziehung wirklich so gut?
Ja, China und Russland haben schon während des Kalten Krieges sehr enge Beziehungen entwickelt. In den vergangenen zehn Jahren sind sie nochmals besser geworden. Sie arbeiten in diplomatischen und sicherheitstechnischen Bereichen zusammen. Auch die militärische Verteidigungszusammenarbeit ist sehr eng geworden. An den Olympischen Spielen erreichten die Beziehungen einen neuen Höhepunkt. Xi und Putin unterzeichneten eine Deklaration, in der es heisst, die Freundschaft habe keine Grenzen und es gebe keine verbotenen Zonen bei der Kooperation.

epa09727725 Russian President Vladimir Putin attends the Opening Ceremony for the Beijing 2022 Olympic Games at the National Stadium, also known as Bird's Nest, in Beijing, China, 04 February 202 ...
Wladimir Putin bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking: Wenige Wochen später fiel er in der Ukraine ein.Bild: keystone

Demnach will Xi, dass Putin an der Macht bleibt?
Davon gehe ich aus. Für China wäre eine totale Niederlage Russlands und ein Sturz Putins das schlimmste Szenario. Xi und Putin haben persönlich eine gute Beziehung und teilen viele Ansichten in nationalen und internationalen Angelegenheiten. Putin hat immer eng mit China zusammengearbeitet. Falls Putin stürzt, besteht die Möglichkeit, dass die zukünftige Führung nicht mehr so China-freundlich ist.

Es gab Berichte, wonach Xi von der Invasion wusste. Ist da was dran?
Das weiss niemand genau. Man kann aber davon ausgehen, dass Xi über das Ausmass der Invasion nicht genau informiert war. So gab es etwa keine Evakuationspläne für die rund 6000 chinesischen Staatsangehörigen in der Ukraine, als Putin einmarschierte.

Der Krieg bietet für Xi auch Chancen: China könnte darauf setzen, dass Russland wirtschaftlich ausblutet, um es dann auszunutzen.
Da werden sich tatsächlich interessante Möglichkeiten für China auftun. Russland wird in jedem Fall geschwächt aus diesem Krieg herausgehen und abhängiger von China werden. China dürfte so günstiger an russische Waffen und an russische Bodenschätze kommen. Zudem wird es die dominante Kraft in Eurasien. Ich glaube allerdings, China will nicht, dass der russische Niedergang zu weit fortschreitet.

«China würde von einem Frieden in der Ukraine profitieren.»

Warum nicht?
Aktuell stellt Russland Europa vor Herausforderungen. Zudem intervenieren die Russen im Nahen Osten. Dies hält Europa und die USA davon ab, den Fokus komplett auf China zu richten. Wenn Russland so schwach wird, dass es für Europa und die USA keine Bedrohung mehr darstellt, wäre das ein schlechtes Ergebnis für China.

epa09935294 Russian servicemen take part in the Victory Day military parade in the Red Square in Moscow, Russia, 09 May 2022. Russia marks Victory Day, Nazi Germany's unconditional surrender in W ...
Russische Soldaten während der Militär-Parade in Moskau am 9. Mai: Russland lenkt den Westen von China ab.Bild: keystone

Chinas Exportwachstum ist im April auf den niedrigsten Stand seit zwei Jahren gefallen. Schuld daran tragen die Corona-Massnahmen, aber auch der Krieg. China müsste doch interessiert an einem Frieden sein.
Klar. China wünscht sich, dass dieser Krieg nicht stattfinden würde. Er ist schlecht für Chinas Wirtschaft und das Land hatte gute Beziehungen zur Ukraine. Viele Infrastrukturprojekte für die neue chinesische Seidenstrasse hätten in der Ukraine realisiert werden sollen. China würde von einem Frieden in der Ukraine profitieren.

Ist es demnach möglich, dass China immer mehr Druck auf Putin ausübt, damit er den Krieg beendet?
Nein, das halte ich nicht für wahrscheinlich. China will seine engen Beziehungen zu Russland aufrechterhalten und will Russland nicht auf diese Weise verärgern. Wenn Russland den Krieg beendet, ohne den Sieg erklären zu können, wäre das eine Demütigung für Putin. Sie werden ihn nicht vor eine solche Wahl stellen.

«Die chinesischen Medien übernehmen grosse Teile der russischen Propaganda.»

Welche Lehren wird China aus dem Krieg für die geplante Einverleibung Taiwans ziehen?
China wird sicher die Entschlossenheit des Westens und die strikten Sanktionen registriert haben. Dies könnte einen abschreckenden Effekt haben. Zudem dürfte China die Probleme der russischen Armee genau analysieren und vielleicht zum Schluss kommen, dass sie ähnliche Schwierigkeiten in Taiwan hätten. Schon vor der russischen Invasion ging ich davon aus, dass China noch eine Weile warten wird mit dem Angriff auf Taiwan, bis sich die militärischen Kräfteverhältnisse noch mehr zu seinen Gunsten entwickeln. Nun sind die Argumente für ein Abwarten noch etwas stärker geworden.

Wie wird in den chinesischen Medien über den Krieg berichtet?
Die chinesischen Medien übernehmen grosse Teile der russischen Propaganda. Sie wiederholen die russischen Lügen über den Krieg. Sie stellen etwa infrage, ob die Gräueltaten in Butscha wirklich passiert sind. Auch die Nazi-Vorwürfe der Russen haben sie wiederholt. Die chinesischen Medien sind äusserst pro-russisch eingestellt. Mehr noch als die eigene Regierung, die versucht, die Balance zu halten.

Hier in Europa ist die gängige Meinung, die Ukraine gewinne den Info-Krieg. In anderen Teilen der Welt scheint die russische Propaganda jedoch äusserst erfolgreich ...
Ja, sieht so aus. Zudem werden Nachrichten von ukrainischen Absendern auch immer wieder zensiert.

Wird sich Chinas Haltung zum Krieg in absehbarer Frist ändern?
Es gibt Fragezeichen, wie China reagieren würde, wenn Russland chemische oder nukleare Waffen einsetzen würde. Dann würde es für China immer schwieriger werden, Russland zu unterstützen. Aber ich glaube, selbst dann würde China einen Weg finden, um dem Westen die Schuld zu geben. China wird sich unter keinen Umständen komplett von Russland distanzieren.

Russlands Militärparade für den «Tag des Sieges»

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Russland begeht am 9. Mai mit dem «Tag des Sieges» über Nazi-Deutschland seinen wichtigsten Feiertag.
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96 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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RealAnd1
12.05.2022 05:09registriert März 2021
Wir sollten uns von China schon lange distanzieren. Kein Geld mehr in diesen Markt pumpen und ausbluten lassen. Diktatoren-Regime sollten in einer freien Welt keinen Halt mehr finden. Wir alle kennen die Geschichte und das Ende der Diktatoren.
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x%8Tz*3GsUf3
12.05.2022 06:27registriert Dezember 2020
mich macht das Freihandelsabkommen mit China Sorgen. Wir sehen mit Deutschland wie fiftig Abhängigkeiten zu Nationen sind die uns im "Westen" erobern wollen, und sogar Strategien dafür entwickelt haben die fast funktionieren. Unterstützt werden sie hier von Köppels und anderen Menschen die ihnen ständig Vorlagen geben, ja teilweise sogar die Propaganda fördern. Wenn ich mich ansehe wie die Ukraine überfallen wird, wo sie mit Nato-Beitritten die Werte sichern wollte die wir für selbstverständlich halten, dann mache ich mir Sorgen. Ich möchte weiterhin demokratische Rechtsstaaten haben.
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N. Y. P.
12.05.2022 07:09registriert August 2018
Der Westen sollte Russland komplett isolieren und die Sanktionen weiter verschärfen. Auch nach Kriegsende.

Und der Westen sollte einen Plan entwickeln, sich von China unabhängiger zu machen.

Es gibt noch viel zu tun.

Die NATO und die Europäische Union machen hervorragende Arbeit und scheuen sich nicht Putin entgegenzutreten.

Sprich: Sie belässt es nicht mit warmen Worten und Gesten. Nein, sie tritt dem Kriegsverbrecher entgegen und zeigt Stärke. Das Gegenteil von Feigheit und Duckmäusertum.
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