Vor zehn Jahren ist der EV Zug in ein neues Stadion eingezogen und verfügt inzwischen über das modernste Trainingszentrum Europas (OYM). Das Unternehmen ist rasant gewachsen, geschäftet erfolgreich auch in der Gastronomie und wird seit 2016 von einem Milliardär geführt. Innert einem Jahrzehnt ist aus einem kecken Aussenseiter sportlich, infrastrukturell und wirtschaftlich ein erstklassiges Hockeyunternehmen geworden, das jedes Jahr den Titel zum Ziel hat. Aber wann wird diese grandiose Erfolgsstory endlich mit dem Titel gekrönt?
Die Ungeduld wächst. Weil den Zugern die Zeit davonläuft. Captain und Abwehrchef Raphael Diaz ist zwar noch immer der beste, kompletteste Schweizer Verteidiger der Liga. Aber er wird im Januar 35 Jahre alt. Und Leonardo Genoni, der teuerste Torhüter der Ligageschichte, ist auch schon 33. Beide stehen jetzt im goldenen Herbst ihrer Karriere.
Titanen wie Diaz und Genoni können auf dem Transfermarkt auf Jahre hinaus nicht ersetzt werden. Die Uhr tickt. Wenn der grosse Triumph im Frühjahr 2021 nicht gelingt – wann dann? Nicht nur der Druck auf Trainer Dan Tangnes, der noch nie eine Meisterschaft gewonnen hat, ist enorm. Das gesamte Unternehmen muss mit himmelhohen Erwartungen leben: Nur der Titel ist gut genug.
Das gilt für Zug mehr als für jede andere Mannschaft, mehr auch als für die ZSC Lions, die bloss einen weiteren, den zehnten Titel anstreben. Was für die Zürcher Routine ist, das ist für die Zuger ein Jahrhundert-Ereignis. Die ZSC Lions gelten zwar als klare Favoriten. Aber diese Rolle werden die Zürcher noch auf Jahre hinaus jedes Jahr spielen. Diesen Titanen zu besiegen ist einfacher, wenn Raphael Diaz und Leonardo Genoni noch ihr bestes Hockey zu spielen vermögen.
Tangnes ist auf dem Weg zur Meisterschaft eine Schlüsselfigur. Er ist eines der grössten Trainertalente in Europa und vielleicht sogar ein zukünftiger NHL-Bandengeneral. In seinem Wesen und Wirken durchaus mit Zürichs Rikard Grönborg vergleichbar. Seine Bilanz in Zug kann sich nach zwei Jahren sehen lassen: ein Cup-Sieg, ein verlorener Playoff-Final und zwei zweite Plätze in der Qualifikation.
Zug ist unter Dan Tangnes taktisch von der Steinzeit ins 21. Jahrhundert katapultiert worden. Und mehrere Talente sind unter dem Norweger noch besser geworden. Er hat Zugs Spiel modernisiert und dynamisiert, was nach vier Saisons mit striktem Resultathockey unter dem freundlichen, erzkonservativen taktischen «Dinosaurier» Harold Kreis dringend notwendig war.
Zug ist auf und neben dem Eis gut genug für den nächsten Titel. Präsident Hans-Peter Strebel garantiert als Milliardär die wirtschaftliche Stabilität. Manager Patrick Lengwiler verfügt über kompetentes Personal im Büro, in der Gastronomie und an der Bande und hat aus Zug eine formidable moderne Hockey-Firma gemacht.
Fehlt noch etwas? Ja, es fehlt die Selbstsicherheit eines grossen Sportunternehmens. Eine bedingungslose Erfolgskultur wie beispielsweise bei Bayern München oder in Bern, als Kari Jalonen die Sportabteilung noch im Griff hatte. Wortreich wird in Zug in falsch verstandener Bescheidenheit tagein, tagaus erklärt, wie billig die Mannschaft sei und wie viel mehr Geld die Konkurrenz ausgebe. Vorauseilende Entschuldigungen für den Fall, dass es halt doch wieder nicht für den Titel reichen sollte.
Meisterwerden beginnt in den Köpfen auf der Chefetage und wenn es schon das Management nicht wagt, kompromisslos vom Titel zu reden, dann fehlt auch in der Kabine die letzte Entschlossenheit, die nun mal einen Titelkampf entscheidet. Wer davor Angst hat, sich vorbehaltlos zum grossen Ziel zu bekennen, wird dieses Ziel nicht erreichen. Wer den Bären waschen will, muss ihn nass machen. Es ist kein Zufall, dass die Zuger mit Fredy Egli beim einzigen Titel 1998 den charismatischsten, streitbarsten Präsidenten ihrer Geschichte hatten.
Die Zuger haben die Infrastruktur, das Geld und die Mannschaft für den Titel – aber im Herbst 2020 noch keine meisterliche Mentalität. Vielleicht haben sie diese Mentalität im Frühjahr 2021. Aber nur vielleicht.
Platz 2.