Eishockey bald auf Kunsteis? Schweizer Unternehmen gelingt Durchbruch
In dieser Woche klettern die Temperaturen in der Schweiz nochmal auf bis zu 30 Grad, uns winken also noch einige letzte Sommertage. Derweil wird in den Eishockey-Stadien bereits wieder gespielt. Damit das Eis bei diesen hohen Temperaturen den professionellen Anforderungen von National League und Co. gerecht wird, wird viel Energie für die Kühlung benötigt. In Zukunft könnte das aber obsolet werden. Denn dem Schweizer Unternehmen Glice ist es gelungen, Kunsteis herzustellen, das dem echten Eis sehr nahekommt.
«Wir haben das Geheimnis des Eises geknackt», frohlockt CEO Viktor Meier. Die Euphorie des Luzerners liegt an den Forschungsergebnissen des international anerkannten Fraunhofer-Instituts für Werkstoffmechanik. Demnach liege der Reibungskoeffizient der synthetischen Oberfläche von Glice bei 0,035, was bei niedrigen Geschwindigkeiten gar etwas tiefer sei als jener von natürlichem Eis. Damit gelang dem Schweizer Unternehmen ein Durchbruch. Bisher war der Nachteil von Kunsteis nämlich immer, dass es stärker bremst als gefrorenes Wasser – es brauchte also mehr Kraft, um gleich schnell zu gleiten. Ausserdem tauchten die Schlittschuhe zuvor tiefer in die Oberfläche ein als bei Natureis. Beides ist nun nicht mehr der Fall.
Tests bei Spitzengeschwindigkeiten von über 60 km/h, die zum Beispiel im olympischen Short Track erreicht werden, sind bisher nicht möglich. Glice-CEO Meier erklärt gegenüber watson jedoch, dass solche in Planung seien, und sagt: «Wir sind bescheiden. Wahrscheinlich ist das Eis bei den höheren Geschwindigkeiten noch schneller.» Auch das könnte sich in Zukunft aber ändern, schliesslich sei schon die neue Unterlage ein Riesenfortschritt. «Noch vor einem Jahr habe ich gedacht, dass es zehn Jahre dauern würde, bis wir einen solchen Durchbruch schaffen», so Meier.
Das Bremsverhalten hingegen sei bereits jetzt zu 100 Prozent identisch wie auf echtem Eis, sagt Meier. Dies hätten ihm auch professionelle Eishockey-Spieler, die mit ihren Eindrücken und Feedbacks an der Entwicklung mitgewirkt haben, bestätigt. Ohnehin seien diese begeistert von der Weltneuheit, die sich in ihren Augen nur noch marginal von echtem Eis unterscheide.
Im Eishockey ist das 2012 gegründete Unternehmen schon lange ein Begriff, da die Oberflächen von Glice bereits für Trainings- und private Eisfelder verwendet werden. Unter anderem der HC Davos verfügt über solche Flächen aus Polymeren, die mit ursprünglich für die Raumfahrt entwickelten Nanokomponenten versetzt sind. Auch der Schweizer NHL-Star Roman Josi hat in seiner Heimat ein solches Feld fürs Sommertraining. Mit der neuen Version erwartet Viktor Meier eine noch grössere Nachfrage.
Bisher wurden die Kunsteisfelder vor allem an Einkaufshäuser oder Event-Veranstalter vermietet, und das in mehr als 100 Ländern. Anders als Natureis schmilzt das synthetische nämlich nicht und ist bei jeder Temperatur verwendbar. Es benötigt weder Wasser noch Kühlung und ist damit deutlich ökologischer. Auch das ist ein Grund, weshalb die Glice-Felder auch auf professioneller Ebene immer interessanter werden.
Noch schreibt der Schweizerische Eishockeyverband zwar vor, dass die Eisflächen aus Wasser hergestellt werden. Die NHL habe Meier in diesem Sommer aber bereits nach New York eingeladen. «Sie sind sehr interessiert an einer Zusammenarbeit», so der Luzerner CEO. In den USA würden immer mehr Eishallen aus wirtschaftlichen oder umwelttechnischen Gründen schliessen, da könnte das deutlich günstigere und ökologischere Kunsteis Abhilfe schaffen. Auch die International Skating Union (ISU), der Weltverband für Eisschnell- und Eiskunstlauf, habe sich bereits mit ihm getroffen. Wettkämpfe auf dem neuen Material seien möglich. «Die Absicht ist auf jeden Fall da», sagt Meier und mutmasst, dass in den unteren Eishockey-Ligen bereits in weniger als einem Jahr auf Kunsteis gespielt werden könnte.
Zwar sei da der Verschleiss der Kufen etwas höher und müssten diese häufiger geschliffen werden, doch habe sich dieses Problem bei der neuesten Version einerseits wesentlich entschärft und verspricht Meier zudem eine lange Lebenszeit für die Felder: «Die können zehn Jahre verwendet werden, dann kann man die Paneele umdrehen und weitere zehn Jahre benutzen.»
Obwohl die Felder aus mehreren zwei Quadratmeter grossen Paneelen bestehen, sei der Übergang zwischen diesen kein Problem. Eine Rille sei nicht spürbar. Und dass die Verletzungsgefahr ähnlich wie bei Kunstrasen, wo sich Fussballer oder American-Football-Spieler immer wieder beschweren, grösser sein könnte als bei Natureis, verneint Meier. Vielmehr gebe es weniger Unfälle, da die synthetische Variante schockabsorbierend sei. Verbrennungen beim Ausrutschen gebe es ebenfalls nicht.
Bis in der Schweizer National League, bei Weltmeisterschaften oder gar in der NHL auf Kunsteis gespielt wird, dürfte noch einige Zeit vergehen. Zumal Fans wohl auch das Spritzen des Eises vermissen würden. Aber der Grundstein ist mit dem Durchbruch in Luzern gelegt.