Europäer nehmen Putins Schatzkiste ins Visier
Diesmal blieb es ruhig am Himmel über Kopenhagen. Ausser der einen oder anderen Polizeidrohne wurden am Mittwoch keine unbemannten Fluggeräte über der dänischen Hauptstadt gesichtet. Das liegt sicher am massiven Sicherheitsdispositiv, das für das Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs hochgezogen wurde. Im Grossen wie im Kleinen: Ein Kriegsschiff der deutschen Marine überwachte vom Hafen aus den nahen Luftraum. Auf den Kanälen rund um den Regierungssitz Schloss Christiansborg patrouillierten Spezialkräfte auf Schnellbooten und Jet-Skis.
Weit weniger ruhig ging es in den vergangenen Tagen zu und her, als Drohnenflüge über Militäranlagen und Flughäfen das halbe Land in Aufruhr versetzten. Woher die Drohnen kamen und wer sie gesteuert hatte, ist weiter nicht bekannt. Doch mehren sich immermehr Indizien, dass Russland hinter den Störmanövern steckt. Am Dienstag setzte die französische Marine einen Öltanker fest, der zur sogenannten «Schattenflotte» Russlands gehört. Das sind oft in die Jahre gekommene und schlecht gewartete Schiffe, deren Eigentümerschaft zur Umgehung von Sanktionen bewusst verschleiert wird. Die «Borocay» ist einer dieser Schattentanker.
Das 244 Meter lange Schiff sitzt jetzt in der Nähe von Saint Nazaire fest, der frazösischen Stadt an der Loire-Mündung im äusseren Westen der Republik. Zuvor durchfuhr die Borocay die Ostsee und passierte auch den Norden Dänemarks. Beobachter vermuten, dass von diesem oder einem anderen Schattentanker aus russische Agenten die Drohnen gestartet haben könnten. Es sei gut, dass einmal eines dieser Schiffe dingfest gemacht wurde, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron am Rande des Gipfeltreffens in Kopenhagen. Denn das Problem ist: Jedes Mal, wenn die EU einen dieser Tanker auf die Sanktionsliste nimmt, taucht er unter neuem Namen und anderer Flagge wieder auf. Macron schätzt, dass Russland zwischen 600 bis 1000 solche Schiffe betreibt und rund 40 Prozent seines Kriegsbudgets mit den Einnahmen des illegalen Ölgeschäfts einnehme.
Geld-Not macht erfinderisch – Risiken werden beiseite gewischt
Um dem Gegensteuer zu geben und die Ukraine weiter mit den notwendigen Milliarden zu versorgen, die das angegriffene Land für seine Verteidigung braucht, wollen die EU-Regierungschefs nun neue Wege gehen. Konkret planen sie rund 140 Milliarden Euro aus den russischen Zentralbankgeldern anzuzapfen, die seit bald vier Jahren eingefroren sind. Bislang galt eine direkte Nutzung dieser Gelder als politisch unmöglich. Die EU-Staaten fürchteten nämlich damit, die bereits angekratzte Finanzstabilität des Kontinents in die Luft zu jagen. Wenn man die Russengelder einzieht, so die Angst, könnten die Zentralbanken anderer Staaten sowie andere Investoren wie Staatsfonds das Vertrauen verlieren. Es käme dann, vereinfacht gesagt zu einem Banken-Run auf Europa, bei dem alle ihr Geld abziehen und unter anderem die Gemeinschaftswährung Euro in den Abgrund reissen könnten.
Warum aber soll jetzt möglich sein, was in den vergangenen Jahren stets ein Tabu war? Der Grund hat einen Namen: US-Präsident Donald Trump.
Seit die USA unter Trump zwar noch Waffen an die Ukraine liefern, aber Europa die Rechnung dafür bezahlen muss, hat sich die Lage zugespitzt. Mit der stagnierenden Wirtschaftslage und den angestiegenen Staatsschulden sind die Europäer immer knapper bei Kasse. Und Not macht erfinderisch.
Entscheidend ist auch, dass in Berlin mit Kanzler Friedrich Merz eine neue Regierung am Ruder ist, die mehr Risiken einzugehen bereit ist, als Vorgänger Olaf Scholz. Vergangene Woche brachte Merz in einem Gastbeitrag in der Zeitung «Financial Times» den russischen Zentralbankschatz persönlich aufs Tapet. Es sei jetzt an der Zeit, «einen neuen Impuls zu setzen, um Russlands Kalkulation zu ändern», schrieb Merz. Der Trick dabei: Die Gelder würden der Ukraine nur als «zinsloses Darlehen» zur Verfügung gestellt. Russland würde seinen rechtlichen Anspruch behalten. Sobald es die Ukraine mit Reparationszahlungen für die angerichteten Kriegsschäden entschädigt hat, erhielte es sein Zentralbankgeld zurück.
Kallas: Entweder zahlt Putin, oder der europäische Steuerzahler
Ob das juristisch wasserdicht ist, ist freilich alles andere als sicher. Am meisten Skepsis hat Belgien, wo die Zentralbankgelder beim Finanzdienstleister «Euroclear» in Brüssel deponiert sind. Bei einem Gerichtsverfahren, das Russland ohne Zweifel anstreben würde, müsste Belgien gerade stehen. «Putins Geld zu nehmen und das Risiko uns überlassen? Das werden wir nicht mitmachen», stellte Premierminister Bart De Wever kürzlich klar. Gleichzeitig liess er sich aber noch ein Schlupfloch offen. Die EU müsste demnach Garantien, dass man im Fall des Falles gemeinsam haftet. Zum Beispiel, wenn die Ukraine das Geld nicht zurückbezahlen kann oder will.
Zum globalen Finanzmarktrisiko und an die Adresse jener, die sich fragen, ob ihre Gelder in Europa dereinst auch eingezogen würden, sagte die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas: «Wenn sie keinen Krieg gegen ein anderes Land beginnen, dann gibt es kein Risiko». Auf der anderen Seite sei eines aber klar: «Wenn wir die eingefrorenen Gelder nicht berücksichtigen, dann geht es auf Kosten unserer Steuerzahler, das ist klar». (aargauerzeitung.ch)