Die Energiestrategie 2050 ist ein Monsterprojekt. Fast zwei Jahre haben es die eidgenössischen Räte hin- und hergeschoben, bevor sie das erste Massnahmenpaket letzten Herbst verabschiedeten. Weil die SVP erfolgreich das Referendum dagegen ergriffen hat, kommt es am 21. Mai zur Abstimmung.
Einer der grossen Streitpunkte findet sich ganz zu Beginn des Energiegesetzes: Nämlich dort, wo definiert wird, wie stark sich der Verbrauch pro Person bis 2035 senken soll – bei der Gesamtenergie sind es 43 Prozent, beim Stromverbrauch 13 Prozent.
Im ursprünglichen Gesetzesentwurf des Bundesrats war diese Absicht mit «Verbrauchszielen» überschrieben. Dem Parlament war der Begriff aber zu strikt, es änderte ihn in «Richtwerte» ab. Die Absicht dahinter ist klar: Ein Richtwert ist weniger zwingend als ein Ziel – womit deren Erreichen in den Augen manch eines Parlamentariers nicht mit gleicher Anstrengung verfolgt werden muss.
Das zuständige Bundesamt für Energie (BFE) schreibt: «Die Richtwerte sind weniger verbindlich, geben aber eine klare Marschrichtung vor.» Trotzdem sei es wichtig, dass die Richtwerte definiert seien. «Sie ermöglichen eine einfache Überprüfung der tatsächlichen Entwicklung und auch der Wirksamkeit der Massnahmen», so Sprecherin Marianne Zünd.
Die Gegner des neuen Energiegesetzes trauen solchen Worten nicht. «Der Unterschied zwischen Zielen und Richtwerten ist rein semantischer Natur», sagt Peter Dietrich, Direktor des einflussreichen Branchenverbandes Swissmem. Qualitativ sehe er «beim besten Willen keine Differenz».
Für die Energiewende-Skeptiker verfolgen Bund und Parlamentsmehrheit einen maliziösen Plan: In einem ersten Schritt würden nun überambitionierte Zielsetzungen definiert, ohne gleichzeitig zu präsentieren, wie man diese zu erreichen gedenke. «Der Stimmbevölkerung wird die sprichwörtliche Katze im Sack verkauft», sagt Dietrich.
In dieser Lesart war es eine rein abstimmungstaktisch motivierte Entscheidung des Nationalrats, das Klimalenkungssystem einstimmig zu versenken. Diese hätte die zweite Etappe der Energiestrategie dargestellt und Massnahmen vorgesehen, welche die Preise von nicht erneuerbaren Energien verteuert und deren Verbrauch damit gelenkt hätte. «Man wollte uns ganz einfach keinen Steilpass für den Abstimmungskampf liefern», sagt Dietrich.
Klar ist: Alleine mit den im ersten Paket enthaltenen Massnahmen sind die ambitionierten Zielsetzungen nicht zu erreichen. Fraglich ist insbesondere, ob und in welchem Umfang der Stromkonsum pro Kopf gedrosselt werden kann, wenn sich die Digitalisierung und Verkehrsrevolution so entwickelt wie von Fachleuten prognostiziert.
Kurz: Es braucht weitere Schritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Energieversorgung. Wie diese aussehen, ist allerdings offen. «Über die zusätzlich notwendigen Massnahmen lässt sich heute noch nichts sagen, da diese auf die künftigen Entwicklungen abgestimmt werden müssen», sagt BFE-Sprecherin Zünd.
SVP-Präsident Albert Rösti geht davon aus, dass zuerst die kostendeckende Einspeisevergütung und die CO2-Abgabe zusätzlich erhöht würden. Das sei aber erst der Anfang. «Letztlich darf man nicht mehr abwaschen, wenn sonst grad viel Strom gebraucht wird. Und duschen geht dann halt nur noch mit kaltem Wasser», sagt er.
Dass das Kaltdusch-Argument schon bei früheren Klima-Abstimmungen verwendet wurde und von den politischen Gegnern als masslos übertrieben abklassiert wird, beeindrucke ihn nicht.
Rösti beruft sich auf Artikel 55 des vorgeschlagenen Energiegesetzes. Dieser besagt, dass der Bundesrat die erwähnten «zusätzlich notwendigen Massnahmen beantragen» kann, wenn sich abzeichnet, dass die Richtwerte nicht erreicht werden können. Ein Freipass für den Bundesrat ist das allerdings keinesfalls, wie das BFE betont. Zusätzliche Massnahmen müssten stets vom Parlament verabschiedet werden – mit Referendumsmöglichkeit. (aargauerzeitung.ch)