Die Szene mahnt mehr an vorsätzliche Körperverletzung als an raues, körperbetontes Spiel. Die TV-Bilder zeigen, wie Sven Andrighetto seinen Gegenspieler Steven Strong «anvisiert» und ihm mit einem Kniestich das Knie «zerfetzt». Kreuz- und Seitenbänder des Verteidigers reissen. Er wird, wenn sich die erste Diagnose des Arztes bestätigt, monatelang ausfallen und es ist offen, wie lange er braucht, bis er wieder sein bestes Hockey spielen kann.
#SUIvsAUT After a massive hit on @hockeyaustria's Steven Strong, @SwissIceHockey's Andrighetto is thrown out of the game.
— IIHF (@IIHFHockey) 5. Mai 2018
Strong leaves the ice on a stretcher. pic.twitter.com/2OVvHCHXCt
Dieser Ausraster zieht einen Restausschluss nach sich und das fünfminütige Powerplay ermöglichte den Österreichern den Anschlusstreffer zum 2:1. Es ist die Wende, die schliesslich zum Punktverlust im WM-Startspiel führt (3:2 n.V).
Das ist die sportliche Seite. Solche Fouls haben heute aber auch eine nicht zu unterschätzende juristische Seite. Sven Andrighetto kann froh sein, dass er wohl kaum rechtliche Schritte zu befürchten hat: Der österreichisch-kanadische Doppelbürger Steven Strong (oder seine Versicherung) dürfte mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht grenzüberschreitend in der Schweiz klagen. Es könnte sonst für unseren NHL-Stürmer sehr teuer werden.
Es gibt einen Fall, der abschliessend vom Bundesgericht beurteilt worden ist und stark an den «Fall Andrighetto» erinnert.
Petr Malkow (Ambri) reichte 1993 gegen Misko Antisin Strafklage ein. Der Zuger hatte mit einem ähnlichen Foul das Knie des Russen demoliert. Der kanadisch-schweizerische Doppelbürger, damals der meistbestrafte Spieler der NLA, akzeptierte die erstinstanzliche Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung nicht. Aber er blitzte vor Ober- und Bundesgericht ab.
Auf der Basis dieses Strafurteils folgte eine Zivilklage und ein Urteil über eine Schadensersatzforderung von gegen 200'000 Franken. Im Rahmen eines Vergleichs blieben noch rund 75 Prozent der Summe an Misko Antisin hängen.
Juristische Folgen hatte auch ein Foul des Amerikaners Kevin Miller gegen ZSC-Stürmer Andrew McKim im Oktober 2000. Der HCD-Stürmer wurde nach einem langen juristischen Hin- und Her 14 Jahre später auf der Basis eines Strafurteils des Zürcher Obergerichtes (fahrlässige und einfache schwere Körperverletzung) von einem Gericht in Michigan (USA) zu einer Schadensersatzsumme von 1,1 Millionen Dollar verdonnert. Kevin Miller hatte seinen kanadischen Gegenspieler mit dem Ellenbogen in den Nacken getroffen, worauf dieser bewusstlos auf dem Eis aufschlug und sich ein schweres Schädel-Hirn-Trauma zuzog, von dem er sich nicht mehr vollständig erholt hat. Die Prozesse hatte Andrew McKims Versicherung durchgezogen.
Ein Foul muss nicht in jedem Fall eine böse Tat sein, die vor Gericht gehört. Ein Foul kann auch ein Unfall sein und für den Verursacher ohne juristische Folgen bleiben.
Im Frühjahr 2013 stürzte Oltens Verteidiger Ronny Keller nach einem Zweikampf mit Langenthals Stürmer Stefan Schnyder kopfvoran in die Bande. Er ist seither an den Rollstuhl gefesselt. Stefan Schnyder wurde zwar – wie Sven Andrighetto – mit fünf Minuten plus Restausschluss bestraft. Aber er ist durch drei Instanzen – Einzelrichter, Verbandssportgericht und dem internationalen Sportgerichtshof in Lausanne (CAS) – freigesprochen worden. Die Sportrichter hatten kein Verschulden im juristischen Sinne (Körperverletzung) festgestellt, das eine weitere Bestrafung nach sich hätte ziehen müssen. Damit hatte eine Strafanzeige wegen Körperverletzung keine Grundlage mehr. Es war ein Unfall.
Weil im Eishockey der Körperangriff ein legales Mittel ist, um den Gegner von der Scheibe zu trennen, gibt es einen Graubereich zwischen einem Foul, mit dem ein Spieler jederzeit rechnen muss (Inkaufnahme eines Risikos), und einem schweren Regelverstoss, mit dem er nicht rechnen muss.
Foul ist also nicht gleich Foul. Das Bundesgericht hat es etwas kompliziert so ausgedrückt: «Wird eine auch den Schutz der Spieler vor Verletzungen bezweckende Spielregel absichtlich oder in grober Weise missachtet, so darf keine stillschweigende Einwilligung in das der sportlichen Tätigkeit innewohnende Risiko einer Körperverletzung angenommen werden.»
Das Foul von Sven Andrighetto ist eine so grobe Missachtung der Spielregeln, dass er im Falle einer Strafanzeige von Steven Strong im Sinne unseres Bundesgerichtes mit einer Verurteilung rechnen müsste. Sein Foul wäre eigentlich ein Fall für ein ordentliches Gericht.