Letzte Woche hab ich wieder einmal meine bleichen Füsse auf Kreta gesetzt. 1066 Kilometer Küste hat die griechische Insel zu bieten, zerklüftet von Felsen, zwischen denen das stahlblaue Meer sich ins Land frisst. Tiefe Schluchten ziehen sich durchs Gebirge und in den Hainen stehen erhaben die Olivenbäume und recken ihre knorrigen Arme in den blauen, manchmal etwas staubigen Himmel.
Einer steht da seit geschätzten 4000 Jahren. Genau weiss man das aber nicht, denn das Innere des Olivenbaums verrät sein Alter nicht.
Und über alledem singen Millionen von Zikaden, ein riesenhaftes Orchester der Liebe – mit dem ewig gleichen Instrument.
Wahrscheinlich haben ihre Urururahnen ein Trauerlied angestimmt, als sich der mythische König Aigeus von der Klippe in die Fluten stürzte und damit dem Meer seinen Namen gab.
Aigeus hatte genug gekämpft. Jeden Tag, wenn es hiess: «δεῖπνον!». Das bedeutet Deipnon und meint die Hauptmahlzeit, die der alte Grieche des Abends einzunehmen pflegte. Nur Aigeus konnte nicht mehr länger. Er ertrug den elenden Frass einfach nicht mehr – und sprang.
Sein Körper zerschellte an den Klippen und manche wollen gesehen haben, dass das Meer sich nicht rot, sondern gelblich färbte. Es war das Öl, das aus seinen kaputten Gliedern rann.
Das elende Olivenöl.
Na gut, ich hab den Mythos im Ouzo-Rausch erfunden. Aber ihr werdet schon bald einsehen, wie sinnreich er ist.
Denn das Einzige, was man in Griechenland bedenkenlos essen kann, ist griechischer Salat. Eventuell noch Joghurt – und was sie am liebsten daraus machen: Tzatziki.
Daneben kocht der Grieche Moussaka (Auflauf mit Kartoffelscheiben, Hackfleisch, Auberginen und Béchamelsauce), Stifado (Schmortopf aus Kalb-, Lamm- oder Kaninchenfleisch), Gyros (Schweinefleisch-Häppchen mit Pitabrot oder Pommes Frites) und Souflaki (in Oregano, Salz, Pfeffer und Zitronensaft eingelegte Schweinefleisch-Spiesse).
Die Fleischeintöpfe kommen mit einer unanständigen Menge Öl daher. Vielleicht will man damit über das zähe Fleisch hinwegtäuschen. Es gelingt nicht. Dafür kann man im Falle des Nichtaufessen-Könnens behaupten, das fasrige Kaninchen oder das ledrige Lamm seien in dem beschaulichen Ölbad leider überhaupt nicht gefunden worden.
Zu allem gibt's übrigens Pommes Frites als Beilage. Aber selbstverständlich nicht die knusprigen, sondern deren verweichlichte Cousins; die sogenannten Pflotschfritten.
Ein kulinarisches Fegefeuer ist das. Hell-enisch eben. Wo zum Teufel ist der Ausgang?
«Im Fisch!», sagt man sich da sofort als verzweifelter Tourist und bestellt erstmal mutig eine Platte mit Barsch, Tintenfisch, Kraken, Kalmare, Miesmuscheln, Sardellen, Sardinen, Salmonellen, Krevetten und anderem Meeresgetier.
Aber mit dem Fisch ist das auch so eine Sache. Denn dafür wird gleichermassen das allseits beliebte Öl in rauen Mengen verwendet. Glück hast du, wenn die Fischlein frittiert sind. Unglück dann, wenn über das Ganze einfach ein herzhafter Gutsch Öl geleert wurde. Dem Untergang geweiht bist du, wenn beides gleichzeitig verbrochen wurde.
Die reinste ApokÖLypse ist das.
Selbst die streunende Katze, die eine halbe Stunde zugeschaut hatte, wie ich mein Fischmassaker anrichte, roch kurz am Happen, den ich ihr zuwarf. Nur um sich dann entschieden dagegen zu entscheiden und in einer Selbstgefälligkeit davon zu stolzieren, wie es nur Katzen vermögen.
Noch bedenklicher kann es nur werden, wenn man dazu Rotwein bestellt. Die Strengen sagen jetzt natürlich, dass Fisch und Rotwein sowieso nicht zusammenpassen. Ich sag euch: In Griechenland hat diese Regel eine noch nie dagewesene Steigerung erfahren. Sie ist auf kretischem Boden quasi zur Absolution gelangt:
Griechischer Rotwein passt zu überhaupt nichts.
Vor allem nicht, wenn der Kellner eine 30 Grad warme Flasche Cabernet Sauvignon auftischt. Diese überrascht den Trinker mit ihrem strengen Salzsäure-Bouquet und vollmundigem Lava recht unangenehm. Am Gaumen wächst sich die Verblüffung allmählich in einen harzigen Brechreiz aus. Es schleicht sich eine Note längst vergessener, mager gewordener Sehnsucht nach einem liebenswürdigen Charakter hinein und im Abgang wirkt die herbe Enttäuschung bis tief in die Nacht nach.
Eins steht nach dieser Erfahrung fest: Udo Jürgens ist ein Lump. Er hat gelogen. Die sehnsüchtigen Griechen in seinem Lied vermissen garantiert nicht ihren Rotwein.
Dennoch versucht man all diese ekelhaft frittierten Fischköpfe aus der guten Erziehung heraus herunterzuwürgen, eins nach dem anderen. Runterspülen muss man es jetzt natürlich mit der sauren roten Brühe, für die man wiederum etwas bräuchte, um diese würdig in Richtung Blase schicken zu können.
Und dann folgt eben der grosse Auftritt des Ouzos. Er ist das Heiligste, was dir in Griechenland passieren kann. Ich hab ihm gehuldigt, ihm sogar einen winzigen Schrein gebaut. Er errettet dich. Denn selbst wenn du die Sünde begehst und ihn erst nach dem Hauptgang bestellst, kannst du mit ihm noch immer das Dessert herunterspülen.
Dieses kommt nämlich vollkommen unaufgefordert und vollkommen gratis. Als wärst du nicht schon genug gefoltert worden, folgt auf die physischen Strapazen auch noch die emotionale Erpressung kellnerseits. Denn wieder verbietet es einem die gute Kinderstube, diese Gabe einfach so stehen zu lassen. Selbst wenn es sich um die miserabelsten aller Wassermelonen handelt, die du je gegessen hast.
Sogenannte WasserMEHLonen.
Und was bleibt? Suizidgedanken. Man will dem Aigeus direkt hinterherspringen.
Stattdessen trinkt man einen letzten Ouzo und sagt sich ganz ehrlich: Der Grieche kann einfach nicht kochen. Demeter hat ihm so viel geschenkt, aber er weiss leider nicht, wie er damit umzugehen hat.
Oder er weiss es ganz genau, aber er behält es für sich. Und gibt den dummen Touristen das Restöl, das von seinen köstlich zubereiteten Speisen heruntertropft.
P.s. Gutscheine für griechische Restaurants oder Einladungen in dieselben werden gerne entgegengenommen.