So weist Kamala Harris gerade alle Kritiker in die Schranken
Kamala Harris ist zurück. Und das Interesse an der ehemaligen Präsidentschaftskandidatin der Demokraten, die Washington vor acht Monaten unfreiwillig verlassen musste, ist gross. Viele Stationen der Lesetour, auf der Harris ihre jüngst publizierten Wahlkampf-Memoiren «107 Days» vorstellt, sind bereits ausgebucht. In einigen Grossstädten tritt die ehemalige Vizepräsidentin gleich zweimal am gleichen Tag auf, um mit ihren Fans «ein Gespräch» zu führen.
Dumm nur, dass viele Menschen immer noch wütend auf Harris sind. Schon am ersten Tag ihrer Tournee wurde sie am Mittwoch in New York von einigen Aktivistinnen und Aktivisten unterbrochen. Diese zeigten sich empört über den Gaza-Krieg und warfen der ehemaligen Vizepräsidentin vor, einen Genozid am palästinensischen Volk toleriert zu haben. An den Händen von Harris «klebt das Blut der Palästinenser»», rief ein Demonstrant.
«Ich bin nicht Präsidentin», sagt Harris
Sicherheitskräfte entfernten die Zwischenrufer aus dem Publikum, zur grossen Freude der restlichen Anwesenden, die ein teures Ticket erstanden hatten. Harris sah sich dennoch bemüssigt, auf die Kritik der Aktivisten einzugehen.
Protesters in support of Gaza have interrupted Kamala Harris several times during the first stop of her book tour tonight in NYC.
— Sabrina Rodríguez (@sabrod123) September 24, 2025
At one point, she responded to a protester: “I’m not president right now. There’s nothing I can do.” pic.twitter.com/3oGdLnHzp6
«Ich bin nicht Präsidentin», sagte sie, «ich kann nichts tun.» Im Gegensatz zu Donald Trump aber verstehe sie, was sich derzeit in Gaza abspielt. «Was dem palästinensischen Volk widerfährt, ist ungeheuerlich und bricht mir das Herz», sagte sie. Diese Meinung habe sie bereits vertreten, als sie noch Stellvertreterin von Joe Biden gewesen sei — aber letztlich habe sie über keine Entscheidungsbefugnis verfügt, weil in den USA der Präsident die Richtlinien der Aussenpolitik definiert.
Biden war im Weissen Haus, als Hamas am 7. Oktober 2023 Israel überfiel und gegen 1200 Menschen ermordete. Biden sei «loyal gegenüber Israel» gewesen, schreibt Harris in ihrem Buch. Und Ministerpräsident Benjamin Netanyahu habe dies ausgenutzt, als Israel an Hamas Vergeltung übte. Auch spekulierte der israelische Rechtspolitiker darauf, dass Trump die amerikanische Wahl gewinnen und er dann einen grösseren Handlungsspielraum besitzen würde.
Das trifft sicherlich zu. Auch ist es tatsächlich störend, dass die propalästinensischen Aktivisten einen Auftritt einer Demokratin im Ruhestand unterbrechen — während Vertreter der aktuellen Regierung ungehindert über ihre Pläne für den Nahen Osten sprechen können. Was sicherlich auch damit zu tun hat, dass die Sicherheitsvorkehrungen im Weissen Haus grösser sind als in einem Veranstaltungslokal in New York.
Schuld sind immer die anderen
Aber Harris macht es sich zu einfach, wenn sie die Fehler nur bei anderen sucht und in ihrem Buch zahlreiche Parteifreunde kritisiert. Sie hätte sich während ihres Wahlkampfes im vorigen Jahr, der nur 107 Tage dauerte, in deutlicheren Worten von Biden distanzieren können. Darauf verzichtete sie aber weitgehend. In Erinnerung geblieben ist ein Auftritt in der Fernsehsendung «The View». Im Oktober 2024 antwortete sie auf die Frage, was sie in den vergangenen vier Jahren anders als Biden gemacht hätte, mit der Aussage: «Mir kommt nichts in den Sinn.»
Auf ihrer Buch-Tour machte Harris diese Woche bei «The View» Station. Dort wurde sie gefragt, ob dieser Moment vor fast einem Jahr letztlich die Wahl entschieden habe. «Nein», antwortete Harris. Und dann sagte sie: «Ich glaube, einer der wichtigsten Faktoren für den Ausgang dieser Wahl war, dass die Amerikaner es satthatten, dass die Dinge so teuer waren.» Sie erweckte damit den Eindruck, als hätte die Regierung Biden nichts mit der hohen Inflation zu tun gehabt. (aargauerzeitung.ch)