Experte zu Pharma-Zöllen: «Sie könnten die Verluste in Europa wieder reinholen»
Der nächste Zollhammer von US-Präsident Donald Trump: Ab dem 1. Oktober sollen alle patentierten Medikamente beim Import in die USA mit 100 Prozent Zoll belegt werden. Für die Schweiz ist das eine Ankündigung mit Sprengkraft.
Kaum ein anderes Land ist so abhängig von der Pharmaindustrie: Zehn Prozent des BIP, über die Hälfte aller Exporte – und ein grosser Teil davon geht in die USA. Politikerinnen warnten sofort vor «zehntausenden gefährdeten Jobs», sollten die Zölle in dieser Höhe bleiben.
Doch während in Bern die Alarmglocken schrillen, arbeiten die Unternehmen längst an ihren eigenen Lösungen und hoffen, dadurch verschont zu bleiben.
Nicht nur die Grossen sichern sich ab
Die beiden Basler Pharmariesen Roche und Novartis haben ihre Vorkehrungen bereits getroffen. Beide investieren zweistellige Milliardenbeträge in neue Werke in den USA – 23 Milliarden Dollar bei Novartis, 50 Milliarden bei Roche. Damit sichern sie sich nicht nur gegen Trumps Zollhammer ab, sondern stellen ihre gesamte Lieferkette für den US-Markt neu auf.
Auch ‹kleinere› Unternehmen reagieren noch eher gelassen auf Trumps Zollankündigung. Die Siegfried AG aus Zofingen, ein Auftragsfertiger für Wirkstoffe und Medikamente, schätzt die direkten Folgen als gering ein. «Am Ende sind weniger als fünf Millionen Franken unseres Umsatzes von den Zöllen betroffen», schreibt das Unternehmen auf Anfrage von watson.
Zudem würden die Kunden für die Zölle aufkommen, nicht die Firma selbst. «Unsere Verträge sind so, dass die Kunden die Ware kaufen und somit für die Zölle verantwortlich sind.» Dank Werken in den USA, Europa und China könne man flexibel reagieren: «Wir sind weltweit einer der einzigen Auftragsfertiger, der ein solches Netzwerk anbieten kann.»
Auch die Lonza-Gruppe, einer der grössten Pharma-Dienstleister des Landes, gibt sich betont ruhig. «Wir erwarten keine wesentlichen finanziellen Auswirkungen der geplanten Änderungen der US-Handelspolitik auf das Geschäftsjahr 2025», schreibt das Unternehmen. Lonza baut seine Präsenz in den USA bereits seit Jahren massiv aus. Rund 500 Millionen Franken fliessen derzeit in ein Werk im kalifornischen Vacaville. Zudem entsteht in New Hampshire eine Grossanlage für einen Grosskunden, die 300 neue Arbeitsplätze schaffen soll.
Verband warnt vor globalen Engpässen
Der Verband Scienceindustries mahnt hingegen zur Vorsicht. «Zölle und Handelshemmnisse verschärfen die ohnehin bereits belasteten globalen Lieferketten für Arzneimittel und gefährden die rechtzeitige Versorgung von Patienten in den USA, aber auch weltweit.»
Gleichzeitig weist der Verband auf offene Fragen hin – etwa, wie Unternehmen behandelt werden, die bereits Milliardeninvestitionen in den USA angekündigt haben.
Genau darin liegt die Krux: Wer in den USA baut, dürfte vielleicht verschont bleiben. Doch die Rechnung könnte woanders präsentiert werden – nämlich in Europa. Diese Woche forderte etwa Novartis-Chef Vas Narasimhan höhere Medikamentenpreise in der Schweiz.
Investitionen in der Schweiz unter Druck
Dass es zu höheren Preisen kommen wird, hält Ökonom Jan-Egbert Sturm, Direktor des KOF Instituts der ETH Zürich, nicht für abwegig. Denn: «Die Pharmafirmen können sagen: Wenn wir bei Trump nachgeben müssen, holen wir die Verluste in Europa wieder rein.» Die Frage sei nur, in welchem Ausmass das geschehe – und auf welche Weise die Unternehmen es überhaupt umsetzen können.
Gleichzeitig mahnt Sturm zur Nüchternheit. «Meistens wird die Suppe nicht so heiss gegessen, wie sie gekocht wird.» Die Pharmabranche habe in den letzten Jahren massiv zum Wachstum der Schweiz beigetragen und es seien viele neue Stellen geschaffen worden: «Im Moment finde ich es deshalb schwer vorstellbar, dass es zu einem radikalen Abbau kommt.»
Ganz unproblematisch sei die Lage jedoch nicht. «Die Branche beginnt umzudenken und ist nun vielleicht noch vorsichtiger, wenn es um neue Expansionspläne in der Schweiz geht.» Sturm betont, dass er nicht damit rechnet, dass die Pharmaunternehmen den Standort Schweiz aufgeben. «Doch die Bereitschaft, hier weiter stark zu investieren, könnte sinken.»
