Vor einem Jahrhundert starben die Menschen in der Schweiz im Durchschnitt mit 50. Heute beträgt die Lebenserwartung für Frauen 84 und für Männer 80 Jahre. Jetzt sagen Wissenschafter einen weiteren, massiven Anstieg voraus: Im Jahr 2045 soll die Lebenserwartung der Frauen auf 89.4 und jene der Männer auf 86.2 Jahre zunehmen. «Diese Prognose entspricht unserem mittleren Szenario», sagt Corinne Di Loreto von der Sektion Demografie im Bundesamt für Statistik. Im optimistischen Szenario sprengen die Schweizerinnen gar die 90-Jahre-Marke.
Die Kurve zeigt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, innerhalb eines Jahres zu sterben. Bei einem 85-Jährigen ist das Risiko, dass er nur noch maximal ein Jahr lebt, 10 Prozent. Mit 90 Prozent Wahrscheinlichkeit wird er also mindestens 86. Bei einem 100- oder 110-Jährigen wiederum ist die Wahrscheinlichkeit, dass er innerhalb eines Jahres stirbt, zwar wesentlich höher, nämlich knapp 50 Prozent, aber das heisst auch: Mit gut 50 Prozent Wahrscheinlichkeit lebt er noch mindestens ein Jahr. © Quelle: Science
Der US-Medizinprofessor Thomas Perls sagt im Interview, die Lebenserwartung in der Schweiz sei heute zu tief beziehungsweise unter dem Potenzial: «Ihr Schweizer habt noch Luft nach oben. Das Land ist hoch entwickelt und verfügt über ein ausgezeichnetes Gesundheitssystem. Da müsste mehr drinliegen, denn die Menschen sind für längere Leben gebaut.»
Altersforscher gingen bislang davon aus, dass die Zunahme der Lebenserwartung endlich ist. Neuste Untersuchungen lassen daran Zweifel aufkommen. Letzte Woche wurde in der Fachzeitschrift «Science» eine Studie vorgestellt, deren Fazit lautet: Eine Lebens-Obergrenze ist nicht in Sicht. Untersucht wurde die Überlebenswahrscheinlichkeit von 4000 Personen, die 105 oder älter sind. Es zeigte sich, dass in diesem Alter die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres zu sterben, konstant unter 50 Prozent liegt. Mit anderen Worten: Dass ein 105-Jähriger den 106. Geburtstag erlebt, oder dass ein 110-Jähriger den 111. Geburtstag erlebt, ist wahrscheinlicher, als dass er innerhalb eines Jahres stirbt.
Vor allem in den USA ist eine ganze Industrie entstanden, die Medikamente entwickelt, welche das Leben verlängern sollen. Für Aufsehen sorgte kürzlich an einem Kongress in Boston der Harvard-Wissenschafter David Sinclair. Er stellte die Ergebnisse eines Tierversuchs vor. Sinclair gelang es, 20 Jahre alte Ratten mit einem Molekül zu behandeln, dass sie sich «wieder in gesunde junge Mäuse verwandelten», wie er sagte. Das Molekül wurde an Menschen bislang nicht ausprobiert.
Sinclair ist die treibende Kraft hinter fünf Start-up-Unternehmen, die sich der «Longevity» (Langlebigkeit) verschrieben haben. Noch vor wenigen Jahren wurden solche Projekte von Medizinern als Hokuspokus und Scharlatanerie abgetan, doch das hat sich geändert. Die Bemühungen werden inzwischen ernst genommen, weil die Biotech-Forscher argumentieren: Den Alterungsprozess zu bremsen, ist kein Selbstzweck, sondern der beste Weg, um Krebs und Demenzkrankheiten wie Alzheimer zu bekämpfen oder hinauszuzögern. Wissenschafter erwarten, dass die US-Gesundheitsbehörde in wenigen Jahren das erste Medikament genehmigen wird, das die Lebensspanne erhöht.