Wie immer erzählen Zahlen nur die halbe Wahrheit. Ja, es ist keine halbe Million wie 2019, vermutlich sind es eher Zehntausende. Doch an der lauten, fröhlichen und violetten Menge führt an diesem Mittwoch auf dem Bundesplatz kein Weg vorbei. «Genug! Basta! Ça suffit!» Nicht nur in Bern reicht es vielen Frauen. In 20 Schweizer Städten – von Aarau bis Zürich - sind sie auf die Strasse gegangen, um für «Zeit, Respekt, anständige Löhne und Renten» zu demonstrieren.
Was hatte man den Streik im Vorfeld schlecht geredet. Linke hätten den Frauenstreik gekapert. Er sei ein gewerkschaftliches Vehikel. Bürgerliche Frauen fühlten sich deshalb vom «feministischen Streik» nicht mehr angesprochen. So hatten ihn die Organisatorinnen umgetauft, um auch Männer, nicht-binäre und trans Personen anzusprechen. Über die Umbenennung lässt sich streiten. Auch stammen einige Forderungen in der Tat aus der linken Ecke.
Wer sich am Mittwoch auf den Strassen umhört, erntet trotzdem meistens Kopfschütteln. Ohne Druck gebe es keine weiteren Fortschritte, sagt eine ältere Frau, die sich selbst als Mitte-Wählerin zu erkennen gibt. Sie sei bereits beim ersten Frauenstreik 1991 dabei gewesen. Den Frauenstreit zwischen den politischen Lagern taxiert sie als Politgeplänkel. «Wir Frauen haben doch in den meisten Bereichen dieselben Anliegen.»
Während draussen demonstriert wird, ziehen unter der Bundeshauskuppel im Zimmer 301 fünf Politikerinnen Bilanz. «Es wird uns zwar nichts geschenkt, aber unsere Anliegen werden nicht mehr einfach weggelächelt», sagt die Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy. Die Kultur habe sich definitiv verändert. Bertschy spielt auf den Frauenstreik 2019 an, als die violette Welle auch ins Bundeshaus übergeschwappt ist und im Nationalrat 42 Prozent Frauen sitzen.
Seither sind Frauen-Allianzen öfter von Erfolg gekrönt. «Wenn wir gemeinsam Politik machen, können wir etwas erreichen», sagt die Bündner SP-Nationalrätin Sandra Locher Benguerel. Zur Diskussion eingeladen hat der Frauendachverband Alliance F. Die Botschaft an diesem Tag ist klar: Wir packen gemeinsam an.
Doch es dauert nicht lange, bis die Harmonie erste Risse erhält. Als die verbilligten Kita-Tarife zur Sprache kommen, werden die unterschiedlichen Werthaltungen sichtbar. Während die Baselbieter Grüne-Ständerätin Maya Graf von einem «Meilenstein» spricht, sind die Kosten von 710 Millionen Franken für die St.Galler FDP-Nationalrätin Susanne Vincenz-Stauffacher nur schwer verdaulich. «Frausein heisst nicht, dass man immer gleicher Meinung ist.»
Sind sie es doch, müssen bürgerliche Politikerinnen in ihren Parteien oft Überzeugungsarbeit leisten. Beim neuen Sexualstrafrecht sei das harte Arbeit gewesen, sagt Vincenz-Stauffacher und strahlt. Am Ende hat sie die FDP rumgekriegt. Weniger zu behagen scheint der Anwältin der aktionistische Charakter des Frauenstreiks. Erst kurz vor der Diskussion hat sie sich das rosa T-Shirt übergezogen. Es ist vielleicht ein Dilemma auf der bürgerlichen Seite: Nicht richtig dabei sein, aber doch Farbe bekennen wollen.
Auf dem Panoramaweg im zürcherischen Zumikon scheint an diesem sonnigen Morgen der Frauenstreik weit weg zu sein. Vor einer Spazierbank versammelt sich ein Grüppchen Frauen. In Gedenken an die Anfang April verstorbene erste Bundesrätin Elisabeth Kopp wird an ihrem Heimatort ein Bänkli eingeweiht. Nach dem Fototermin für die lokale FDP-Prominenz folgt eine Schweigeminute.
Dass der Anlass just am Frauenstreiktag stattfindet, ist kein Zufall. Kopp sei «eine unermüdliche Kämpferin für die Gleichberechtigung» gewesen, sagt Sibylla Stoffel-Hahn, Vorstandsmitglied der FDP Frauen, in ihrer Rede. Sie ruft auch ihr viel beachtetes Zitat in Erinnerung: «Man kann nicht ein bisschen gleichgestellt sein. Entweder man ist es, oder man ist es nicht.»
Trotzdem möchte keine der anwesenden Frauen auf die Strasse gehen. «Wir müssen nicht mehr streiken. Wir haben so viel erreicht», sagt stellvertretend die Zürcher FDP-Kantonsrätin Sonja Rueff-Frenkel. Vielleicht ist es das, was ihre Parteikollegin Vincenz-Stauffacher im Bundeshaus beim Thema Lohnungleichheit mit Blick auf die jüngere Generation gemeint hat: «Meine Töchter werden mehr Lohn einfordern.»
Fragt sich: Werden das alle Töchter tun? Oder müssen nicht Unternehmen sanktioniert werden, wenn sie Frauen weniger Lohn bezahlen als Männern? Für die Streikenden am Nachmittag auf dem Bundesplatz war klar. An einer feministischen Landsgemeinde schworen sie, so lange für die Gleichstellung aller Menschen in diesem Land zu kämpfen, bis diese erreicht ist. (aargauerzeitung.ch)
Auf Zeile drei dann "lauten, fröhlichen, violetten Menge".
Was ist denn nun richtig? Also ich als Mann bin entweder das Eine oder das Andere. Wütend oder fröhlich. Aber ganz bestimmt nicht beides gleichzeitig.
Übrigens: Nur weil jemand wütend ist, ist das noch lange kein Grund, etwas zu ändern. Was nicht heissen soll, dass es keine Gründe gibt. Aber Wut ist kein Argument.
Fröhlichkeit dagegen kann ansteckend wirken. Ein Ansatz, über den es sich lohnen könnte, nachzudenken.