Mein Sohn entdeckt gerade die Welt. Er ist noch kein Jahr alt, hat aber längst ein Lieblingsspielzeug: eine zerdrückte PET-Flasche. Es gibt für ihn nichts Grösseres, als das quietschende Geräusche machende Plastikding, das ich normalerweise achtlos in die PET-Sammlung schmeisse. Wir können ihm die pädagogisch wertvollsten Spielsachen, die leuchtendsten, blinkendsten, klirrendsten und farbigsten Erfindungen der Babyindustrie hinlegen – die PET-Flasche bleibt sein absoluter Favorit.
Mir erschliesst sich die Faszination nicht. In der Erwachsenenwelt hat eine zerdrücke PET-Flasche keinen Wert. So ähnlich scheint es bei vielen National-League-Klubs, Fans und Medien mit dem Eishockey-Cup zu sein, als dieser vor vier Jahren wiedereingeführt wurde. Auch wir bei watson lachten in den letzten Saisons über den Wettbewerb, den niemand ernst nimmt, keine Zuschauer anzieht und für eine der grössten Blamagen unserer Sportgeschichte sorgte. Wir können natürlich nicht versprechen, dass wir in Zukunft den Cup ernst nehmen und euphorisch für den Event ins Feld ziehen werden.
Aber heute mache ich das.
Denn ich war gestern mal wieder in Rapperswil-Jona. Nicht weil ich die Lakers mag. Im Gegenteil. In meiner Jugend gingen wir regelmässig ins Lido. Immer in die Gästekurve. Egal wer kam. Lugano, Fribourg, Lausanne, Herisau, Ajoie, Olten, Sierre, La Chaux-de-Fonds, der Zürcher SC, Ambri, nochmals Lugano, wieder Fribourg – wirklich egal: Ich war gegen Rappi. So auch gestern. Nicht mehr auf den Stehplätzen, sondern gemütlich sitzend. Und mit jedem Tor kleiner werdend.
Trotzdem machte es grossen Spass. Denn das Stadion war mit 6100 Zuschauern ausverkauft (letztmals kamen im dritten Spiel der Ligaqualifikation gegen Langnau in der Abstiegssaison 2014/15 über 6000 Zuschauer). Ich traute meinen Augen kaum, als ich 15 Minuten vor Spielbeginn das Stadion erreichte. Schon kurz nach dem Bahnhof waren Fangesänge zu hören. Vor der Arena standen sich die Fans die Beine in den Bauch, um auf die Stehplatz-Tribüne zu kommen. Nicht alle schafften es pünktlich zum Spielbeginn.
Auch die Ajoie-Kurve platzte aus allen Nähten. 800 Jurassier seien angereist, heisst es. Über zwei Stunden dauert die Autofahrt von Pruntrut in die Rosenstadt. Nicht schlecht für einen Donnerstagabend. Sie trugen ihren Teil zur grossartigen Stimmung bei – selbst noch beim 0:4.
800 supporters jurassiens annoncés ce soir à Rapperswil. @lakers_1945 @HC_Ajoie_off #hcajoie #LQJ pic.twitter.com/yd0yFnvh3p
— Raffi Kouyoumdjian (@rklqj) 4. Januar 2018
Es fehlte an diesem Abend an nichts, was eine Hockey-Party ausmacht: Zwei offensiv ausgerichtete Teams, schöne Choreographien der Fanlager – inklusive nettem «Liga Mafia»-Gruss an den Verband –, die Forderung nach Freiheit für Ultras, Drittelspausen-langes Anstehen am völlig überforderten Verpflegungsstand, eine kurze Bierbecher-Wurf-Auseinandersetzung. Halt wie richtig.
Es war den Spielern, Fans und Zuschauern völlig egal, dass in der «grossen Eishockey-Welt» ihre Partie belächelt und der Wettbewerb nicht ernst genommen wird. Es lebe die zerdrückte PET-Flasche! Schade, dass viele von uns deren Faszination nicht mehr sehen. Es gibt nämlich manchmal nichts Besseres.
Selbst der Stadionspeaker liess sich nach der Schlusssirene von der Atmosphäre mitreissen: «Merked eui dä 4. Februar, dänn isch dä Cupfinal. Gägä wer, wüssedmer nonig. Die andere spieled na. Aber es isch au egal, die butzedmer sowieso weg.» Die Menge tobte und er verabschiedete sich treffender als alle langen Worte je könnten: «Merci villmal. Alles geili Sieche!»