Kafi Freitag - Das Buch
Die 222 besten Fragen und Antworten in einem schön gestalteten und aufwendig hergestellten Geschenkband.
Liebe Josiane
Vom Regen in die Traufe nennt man so eine Entwicklung wohl. Es tut mir sehr leid, dass Sie diese Erfahrung machen müssen, das klingt alles sehr schmerzhaft und kompliziert. Wir kommen auf die Welt und werden in ein System hineingeboren, das wir uns (je nach Glaubenssystem) nicht wirklich aussuchen können. In diesem machen wir dann unseren Weg und entwickeln uns von unmündigen Bündeln zu Erwachsenen, die den Eltern plötzlich auf Augenhöhe begegnen. Nicht selten kommt es da zu totalen Verschiebungen, die Kinder müssen plötzlich Verantwortung für die Eltern übernehmen, oder machen sich zumindest die Sorgen, die man sich sonst eher um pubertierende Halbwüchsige macht.
In Ihrem speziellen Fall ist es ja tatsächlich eine verkehrte Welt, aber viele erleben diese Entwicklung auch ohne das Kiffen und die Alkoholsucht. Und was immer die Gründe sein mögen, es gibt darauf nur eine Antwort: Sie sind nicht verantwortlich für das Leben Ihrer Mutter. Das klingt hart und ist hart. Aber es ist dennoch wahr. Selbst wenn Ihre Mutter Sie unter Schmerzen in diese Welt gesetzt und danach grossgezogen hat, Sie sind Ihr null und nichts schuldig. Und das sage ich als Tochter und als Mutter.
Wenn Eltern und Kinder eine funktionierende Beziehung haben, ist das etwas sehr Schönes. Ich darf mir nicht ausmalen, wie es sich anfühlen würde, wenn der Kontakt zu meinem Sohn nicht mehr vorhanden wäre. Trotzdem muss man sich auch im Bezug zu familiären Beziehungen manchmal am nächsten sein und Verbindungen kappen, die einem mehr negative Gefühle bereiten, als dass sie gut tun.
Angehörige von Menschen mit Suchtproblemen haben es da besonders schwierig. Sie fühlen sich oft noch mehr verpflichtet, als dass man es eh schon tut. Darum gibt es viele Selbsthilfegruppen, die sich genau diesen Themen widmen. Wenn man einem suchterkrankten Menschen helfen will, stösst man schnell an eigene Grenzen. Der Gegner (in Ihrem Fall der Alkohol) ist einfach zu stark, als dass man gegen ihn ankommen kann. Sie können behilflich sein, wenn es darum geht, Ihrer Mutter Kontakte für die Suchtberatung zukommen zu lassen. Hingehen und sich helfen lassen kann nur Ihre Mutter allein. Das ist schmerzhaft, aber auch die Erfahrung vieler Eltern, die ein Kind an die Drogen verloren haben.
Mit herzlichem Gruss. Ihre Kafi.
Ich zuerst und danach lange nichts. Individualität über alles.