Kafi Freitag - Das Buch
Die 222 besten Fragen und Antworten in einem schön gestalteten und aufwendig hergestellten Geschenkband.
Liebe Lena
Nochmal 20 sein und diese Frage noch vor sich haben, wie grossartig und schwierig zugleich ich mir das doch vorstelle! Mit 20 hatte ich gerade meine verhasste KV-Lehre abgeschlossen und in einem zweifelhaften Unternehmen angeheuert, um ahnungslosen Kleinunternehmern unnötige Inserate zu verkaufen. Darin war ich bald so gut, dass ich es mir leisten konnte, meinen Wagen konstant in der Solothurner Innenstadt direkt vor der Wohnung zu parken. Gegen ein kleines Entgelt an die Solothurner Stadtpolizei, versteht sich. (Aber man gönnt sich ja sonst nichts.)
Seither hat es mich beruflich dermassen herumgewirbelt, dass mein CV eher einem Abenteuerroman gleicht, als einen geordneten Werdegang wiedergibt. Und das ist, im Nachhinein gesehen, auch vollkommen ok so. Weil es für den Beruf als Coach, den ich heute ausübe, von grossem Vorteil ist, dass ich viel Verschiedenes gesehen und gelernt habe. Aber ich musste erst über 30 werden, um mir wirklich im Klaren darüber zu sein, was ich genau machen will. Davor hatte ich keinen Plan und kein wirkliches Ziel vor Augen. Und ich denke, dass das auch normal ist und Ihre Situation so schwierig macht.
Sie stehen noch ganz am Anfang von allem und haben vermutlich auch noch nicht wirklich herausgefunden, was es genau sein soll. Wie auch? Sie sind eben erst halbwegs erwachsen geworden und sollen bereits solch langfristig wirksame Entscheidungen treffen, das geht doch eigentlich gar nicht! Und darum entscheiden sich viele junge Menschen für ein Studium oder eine Ausbildung, in der sie wirtschaftlich gesehen möglichst gut positioniert sind. Vollkommen unabhängig davon, ob Herzblut in diese Richtung fliesst oder nicht. Also wird erst einmal Wirtschaft studiert. Oder Jura.
Und die Eltern finden das vernünftig, denn die haben ja auch ein Wörtchen mitzureden, schließlich bezahlen sie das WG-Zimmer in der Stadt. Mich beelendet es immer etwas, wenn ich mit einem kreativen jungen Menschen rede und dann hören muss, dass er aus Vernunftgründen etwas studiert, das in erster Linie möglichst viel Kohle einbringen soll. Der Trend geht in die Richtung, dass wir immer länger und auch mehr arbeiten (müssen), und darum ist es so immens wichtig, dass man eine Aufgabe findet, die einem noch etwas anderes gibt als einen guten Lohn am Ende des Monats.
Natürlich ist es schön und befriedigend, wenn man einen gut bezahlten Job hat. Aber das allein macht nicht glücklich. Sonst würde ich noch immer Inserate verkaufen. Ich habe in keinem Job danach jemals wieder so viel Geld verdient wie damals Anfang 20.
Hören Sie darum in erster Linie auf Ihr Herz. Was macht Ihnen Freude, was weckt Ihre Begeisterung? Suchen Sie sich etwas aus, was Ihrem Naturell und Ihrer persönlichen Begabung entspricht. Die Ausbildung, die Sie wählen, muss nicht für die nächsten 50 Jahre passend sein. Die Zeiten, in denen man im gleichen Beruf pensioniert wurde, den man gelernt hat, sind längst vorbei! Ich habe fast 15 Jahre gebraucht, um herauszufinden, was mein Ding ist. Inzwischen kenne ich meine Stärken und Schwächen haargenau und weiss, was ich will und was nicht. Dieser Prozess lässt sich leider nicht abkürzen, weil man sich im Laufe des Lebens immer wieder verändert und weiterentwickelt.
Von der Ausbildung zur Pilotin würde ich eher abraten. Man sitzt lange und wird in der Regel drogenabhängig. Tierärztin macht da schon eher Sinn. Das neue Tierspital der Uni Zürich ist sehr weitläufig, und das Personal, das mir dort begegnet ist, hat beeindruckende Waden. Aber die können Sie natürlich auch beim Durch-die-Welt-Wandern bekommen …
Ich wünsche Ihnen für die Zukunft alles Gute und Liebe! Und einen herzlichen Gruss auch an die Schwester! Ihre Kafi