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Reisen in Krisenzeiten: Sogar der Experte ist überrascht

Jürg Stettler, Experte für Tourismusfragen, Dozent, Leiter Institut für Tourismus und Mobilität an der Hochschule Luzern (HSLU), Vize-Direktor Dep. Wirtschaft HSLU
Die derzeit überraschende Normalbetrieb im internationalen Tourismus kann trügerisch sein, mahnt Jürg Stettler. Bild: flavia parli, FH SCHWEIZ
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Nachhaltig Reisen? In Umfragen top, in der Realität flop

Trotz weltweiter Krisen reisen wir derzeit so viel wie vor Corona. Tourismusexperte Jürg Stettler ist überrascht. Und sagt, warum sich dies sehr schnell ändern könnte.
28.07.2025, 14:02
guy studer
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Für uns ist sie weit weg. Der Tourismusbranche sitzt die Corona-Krise noch immer in den Knochen. Noch immer werden Ankunfts- und Übernachtungszahlen an denen von vor dieser Zäsur gemessen. Immerhin: «Dank einer sehr dynamischen Erholung sind wir weltweit gesamthaft betrachtet praktisch wieder bei back to normal», sagt Jürg Stettler. Er ist Leiter des Instituts für Tourismus und Mobilität sowie Vizedirektor des Departements Wirtschaft an der Hochschule Luzern und analysiert seit Jahrzehnten die Veränderungen in den Tourismusmärkten. Im Gespräch analysiert er die derzeitige Weltlage und leitet ab, was das für den Tourismus und für Reisende bedeutet.

Jürg Stettler, Tourismusexperte Hochschule Luzern
Jürg Stettler, Hochschule LuzernBild: patrick kälin

Herr Stettler, die Tourismusindustrie brummt wieder. Hat sich trotzdem etwas verändert seit Corona?
Jürg Stettler: Wir sehen durchaus Veränderungen bis heute. Nehmen wir zum Beispiel Luzern, hier hinken die Gruppenreisen aus China und Asien immer noch hinter den Zahlen von 2019 her. Dafür haben wir deutlich mehr Touristen aus den USA. Es gab zudem eine Verschiebung von grossen zu kleinen Gruppen. Weil man bei den Gruppenreisen eine längere Erholung erwartet hat, ist noch nicht klar, ob es sich um eine strukturelle Veränderung handelt oder ob diese nur temporär ist. Eine Möglichkeit wäre auch, dass Chinesen inzwischen häufiger in kleineren Gruppen reisen, weil sie sich das vermehrt leisten können.

Nun aber leben wir wieder in einer aussergewöhnlichen Zeit. Strafzölle und Kriege sorgen für Unsicherheit. Dämpft dies nicht auch unsere Reiselust?
Grundsätzlich bin ich überrascht, dass das Tourismusgeschäft relativ normal weiterläuft. Hätte ich eine Prognose machen müssen aufgrund des Ukrainekriegs, dazu die Trump-Regierung, hätte ich stärkere Auswirkungen auf die Buchungen erwartet.

Haben Sie eine Erklärung?
Ja, wirtschaftlich ist effektiv noch nicht so viel passiert. Die Konjunktur ist überraschend stabil. Und der Konsum richtet sich nach der Konjunktur. Hat man eine Wohnung, genug zu essen und etwas übrig, beginnt man zu reisen. Auch die Börsen sind derzeit stabil, bis auf den einen Dämpfer Anfang April. Gerade für die Amerikaner ist dies relevant, denn bei ihnen ist der Wohlstand viel direkter an die Börse gekoppelt als bei uns. Wenn ich die Reisefrequenz aus den USA sowie die Prognosen für die zweite Jahreshälfte und 2026 betrachte, ist gemäss den Prognosen sogar ein leichtes Wachstum zu erwarten.

Bleibt das wirklich so?
Das ist die grosse Frage: Wie stabil ist dieses Gefüge derzeit? Ich mache keine politischen Prognosen. Aber so gut die Zahlen derzeit erscheinen mögen, ich schätze die Lage als sehr fragil ein. Bisher wurde auf der politischen Bühne vor allem gedroht, zuletzt gab es eine Einigung zwischen den USA und China. Geht der Zollkrieg wirklich los, kann die Lage schnell kippen.

«So gut die Zahlen derzeit erscheinen mögen, ich schätze die Lage als sehr fragil ein.»
Jürg Stettler

Der Wechselkurs ist für die Amerikaner also weniger wichtig?
Jene, die zu uns kommen, haben viel Geld. Sie können es sich auch bei einem ungünstigen Wechselkurs leisten. Nach wie vor ist die Schweiz hervorragend positioniert und sehr attraktiv für die Amerikaner. Die Schweiz ist dort top gelistet.

Warum?
Es sind mehrere Faktoren, die zusammenkommen: die Grundattraktivität der Landschaft mit Bergen und Seen, die attraktiven Städte, dazu eine hervorragende Infrastruktur. Amerikaner lieben die Erlebniszüge durch die Berge, wie den Bernina Express oder den Glacier Express. Wir haben in der Hotellerie eine breite Vielfalt im gehobenen Segment. Die Erlebnisdichte ist zudem sehr hoch, für Amerikaner liegt gefühlt alles vor der Haustüre. Die USA als Reisemarkt und die Schweiz als Destination sind einfach ein Magic Fit – das passt.

Umgekehrt sieht es anders aus: Das Reisen in die USA ist für uns teurer geworden. Und Trump ist nicht gerade ein Magnet.
Derzeit sind Flüge nach Nordamerika weniger ausgelastet. Einige werden wohl ihre Reise absagen. Die weitere Entwicklung ist aber schwer zu deuten. Eine Ansage, wie stark die Buchungen in nächster Zeit abnehmen werden, mache ich nicht.

Buchen wir Schweizer nicht grundsätzlich weniger aufgrund der Weltlage?
Es wird derzeit gebucht wie eh und je. Reisen ist ein grosses Bedürfnis. Die Motive verändern sich nur langsam und vor allem aufgrund der Möglichkeiten. Während Corona konnte man nicht. Nun ist es möglich, und obwohl etwas teurer geworden, können wir es uns leisten, da wir wirtschaftlich nach wie vor gut dastehen.

«Die USA als Reisemarkt und die Schweiz als Destination sind einfach ein Magic Fit – das passt.»
Jürg Stettler

Was wurde aus dem erhofften Boom beim nachhaltigen Reisen?
Diese Hoffnung hat sich nicht bewahrheitet. Insgesamt sind wir wirklich sehr nah am Verhalten von vor Corona. Das bewusste, nachhaltige Reisen bleibt eine Nische und macht sich in Umfragen viel eher bemerkbar als im eigentlichen Verhalten.

Sie bieten einen Bachelorstudiengang in Tourismus an. Wie geht eine Fachhochschule eigentlich mit Schwankungen in den Märkten um?
Grundsätzlich ist der Tourismus ein globaler Wachstumsmarkt. Das Unternehmen Oxford Economics prognostiziert bis 2030 einen Anstieg der Ankünfte auf über zwei Milliarden. Heute sind wir bei rund 1,4 Milliarden, 1995 war es noch eine halbe Milliarde. Daher rechnen wir grundsätzlich auch bei unseren Angeboten mit einer weiteren Erholung und einem Wachstum. Letzteres ist aber sehr anspruchsvoll geworden.

Warum?
Auch bei uns hat Corona einiges auf den Kopf gestellt. Wir mussten zwei Vertiefungsrichtungen für Tourismus im Bachelorstudiengang mangels Nachfrage einstellen. Zusammen mit UN Tourism haben wir inzwischen einen neuen Studiengang entwickelt, bei dem die Studierenden je ein Jahr in Madrid, ein Jahr online und ein Jahr bei uns studieren. Denn wachsen müssen wir international. Studierende im Ausland anzusprechen sowie der teure Standort Schweiz ist aber eine Herausforderung. Bei Schweizer Studierenden sind wir erfolgreich unterwegs.

Und was spricht überhaupt für einen Einstieg in einen Tourismusberuf heute?
Zwei Gründe. Der rationale: Bei all dem Auf und Ab ist das Grundwachstum im Tourismus weltweit unglaublich stabil. Solange die Weltwirtschaft wächst, wächst der Tourismus. Geht sie bachab, wird auch nicht mehr gereist. Grundsätzlich ist das eine gute Perspektive, solange man mobil ist und nicht den Anspruch auf eine Arbeitsstelle um die Hausecke hat.
Der zweite Faktor ist der emotionale: Reisen bleibt ein tolles Produkt. Und bei aller Digitalisierung und KI bleibt es ein Geschäft für Menschen. Auch in dieser Hinsicht bietet die Branche Zukunftsperspektiven. Insofern gibt es für den Einstieg auch keinen schlechten Moment.

Auch nicht vor fünf Jahren?
Für einige lohnt sich der Einstieg auch, wenn alle anderen wegrennen. Es können sich durchaus Chancen eröffnen, wenn man antizyklisch denkt.

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